Natascha Ickert und das Pferd Finn stehen nebeneinander, beide sichtlich gut gelaunt.
Finn und Natascha Ickert nach erfolgreichem Abschluss der kleinen Übungseinheit.
Sylvia Bauer

Groß, braun und massig steht das Pferd vor mir. Vor ihm fürchte ich mich nicht – eher vor dem Urteil der Trainerin. Gleich wird sie meine Führungsqualitäten analysieren. Elisabeth Proksch ist Coach und gibt seit 20 Jahren für Führungskräfte Seminare mit Pferden. Ihre Kunden sind hochkarätig. Sie kommen unter anderem von Rewe, A1, Erste Bank, Microsoft, Chanel. Heute bin ich dran. Es geht darum, eigene Verhaltensweisen, Umgangs- und Kooperationsmuster zu erkennen und zu verbessern. Funktioniert das, und, wenn ja, wie?

Der Test

Das Pferd und ich stehen in einer großen Reithalle auf dem Gut Fabricius in Lanzendorf unweit von Wien. Wir mustern einander. Ich soll Finn, den großen Braunen, im Achter um zwei Hütchen führen. Mal schneller, mal langsamer, mal mit mehr, mal mit weniger Abstand. Nur Körpersprache ist erlaubt, keine verbalen Kommandos.

Leichter gesagt als getan. Zumal Elisabeth Proksch in diesen drei Minuten mein Verhalten ganz genau beobachtet. "In meinen Seminaren filme ich diese erste Begegnung von Mensch und Pferd. Daraufhin analysiere ich das Führungsverhalten meiner Teilnehmenden", erklärt sie.

Gruppe mit Pferden in überdachtem Reitplatz. Elisabeth Proksch erklärt im Vordergrund. Im Hintergrund steht ein vollgeschriebenes Flipchart.
Im Seminar lernen die Teilnehmenden nicht nur etwas über Pferde, sondern auch über sich selbst.
Marian Inhouse Agentur

Diese erste Übung ist ein Teil des zweitägigen Seminars "Leading Alpha". Es geht darum, die eigenen Führungsqualitäten zu erkennen und zu verbessern. Und schließlich: Wie kann ich das mit dem Pferd Erlernte in der Kommunikation in meinem Team erfolgreich anwenden. Bin ich dabei konsequent und klar? Klingt nach klassischem Führungskräftetraining. Wieso braucht es dafür Pferde?

"Pferde wollen nicht gefallen, sie verstellen sich nicht, sie reagieren stark auf Körpersprache und zeigen einem klar die eigenen Grenzen auf. Auf jede Aufforderung gibt das Pferd direktes Feedback. Man muss demnach klar und deutlich kommunizieren, sonst ist es verunsichert oder macht es, was es will und ist im Zweifelsfall sogar der oder die Stärkere", sagt Proksch.

Kontakt zu den führenden Alphas

Wie kam Elisabeth Proksch dazu, ausgerechnet Pferdecoach werden zu wollen? Beim Rundgang über den Hof erzählt sie, dass sie aus einer klassischen Arbeiterfamilie stammt. Mit dem Reitsport hatten ihre Eltern nichts am Hut. Mit acht Jahren musste sie bitten und betteln, dieses Hobby anfangen zu dürfen. Ihr Wunsch wurde ihr schließlich gewährt.

"Als ich vor über 40 Jahren begonnen habe zu reiten, war die Szene sehr elitär. Später öffnete sie sich etwas, aber seit einigen Jahren habe ich nun wieder da Gefühl, dass es wieder elitärer wird", meint Proksch. Just in dem Moment reitet der international erfolgreiche Dressurreiter Florian Bacher vorbei. Seine blonden Haare sind perfekt gestylt, die Stiefel gewienert, sein prächtiges Pferd unter ihm glänzt.

Elisabeth Proksch studierte auch Sportwissenschaften und promovierte im Bereich Sportmanagement. Leichtathletik war ihre Lieblingsdisziplin. Noch heute läuft sie, "aber nur noch Halbmarathondistanz – um fit zu bleiben". Gleichzeitig arbeitete sie neben dem Studium als Assistenz im Bereich Finanzwissenschaften.

So gelang es ihr, mit 31 Jahren Projekt- und Produktmanagerin im Banken- und Börsenwesen zu sein. Dann kam der Bruch: "Ich fragte mich, ob ich diese Art von Arbeit nun bis zur Pension weitermachen möchte. Ich kam zum Schluss: nein. Kündigte und machte mich als Reittrainerin und Beraterin selbstständig", erzählt Proksch. Durch zahlreiche Weiterbildungen und langjährige Unternehmensberatung läuft ihr Geschäft nun schon seit 20 Jahren gut.

Elisabeth Proksch und ihr Pferd Finn traben gemeinsam über den Reitplatz.
Ihr Pferd Finn ist bei jedem Workshop von Elisabeth Proksch dabei.
Marian Inhouse Agentur

Zeig mir, wie ich bin

In der Reithalle versuche ich gerade – mit mäßigem Erfolg –, das Pferd Finn davon abzuhalten, mich abzudrängen. Florian Bacher, der Dressurreiter, ist mittlerweile ebenfalls in der Halle. Mit prüfendem Blick über die Schulter in den Spiegel an der Wand beobachtet er jede noch so kleine Bewegung der Kür seines Wettkampfpferdes. Ich hingegen frage mich, warum es mir nicht gelingt, das Pferd in die richtige Bahn zu lenken. Hat das etwa mit meinen Führungsfähigkeiten zu tun? "Finn ist sehr dominant und testet gerade die Grenzen aus", erklärt Proksch.

Dass Pferde und Menschen sich unterschiedlich verhalten und kommunizieren, steht außer Frage. Wie wir Menschen auf das Verhalten von Pferden reagieren, sagt laut Proksch einiges über uns selbst aus: wie wir uns durchsetzen, interagieren, wie schnell wir uns ärgern, aufgeben oder kreativ werden und wie wir in solchen Frustrationsmomenten agieren. Das zeigt sich in den kleinen Übungseinheiten mit dem Pferd – zumindest in Ansätzen.

Mit diesen Erkenntnissen geht es dann wieder in den Seminarraum. Zeit, sich selbst und andere zu hinterfragen: Wer bin ich, wer will ich sein, was verlangt die Aufgabenverteilung im Team von mir als Führungskraft, und so weiter und so fort. So lernt man nicht nur etwas über Pferde, sondern auch über sich selbst.

Das Seminar "Leading Alpha" ist nicht ganz billig: Es kostet mehrere Tausend Euro. Gezahlt werden damit auch die zwei bis drei weiteren Trainerinnen, die vor allem für die Arbeit mit den Tieren benötigt werden, die vier bis sechs Pferde und die Raummiete vor Ort.

Finn und ich schnauben zum Abschluss zufrieden. Wir haben die Aufgabe (zumindest fast erfolgreich) gemeistert und kennen uns nun ein wenig besser. (Natascha Ickert, 12.9.2023)

Elisabeth Proksch hält ihr Pferd beim Führen auf Abstand.
Pferd führen mit zwei Meter Abstand: leichter gesagt als getan.
Marian Inhouse Agentur