Zahlreiche Wecker, die kurz vor zwölf anzeigen, auf orangem Untergrund
Auch die Zeit des Essens beeinflusst den Stoffwechsel, nicht nur die Menge. Denn am Abend ist der Stoffwechsel mehr auf Speichern eingestellt. Späte Mahlzeiten könnten sich daher stärker anlegen.
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Rhythmus ist ein extrem wichtiger Faktor im menschlichen Leben. Er ist nicht nur in der Musik bestimmend, sondern auch in der Biologie. Denn in uns ticken mehrere inneren Uhren, die unseren Tagesablauf steuern: den Schlaf-wach-Rhythmus, die Hormone, die Nervenaktivität, die Körpertemperatur, den Stoffwechsel – und damit durchaus auch das Körpergewicht. Der wichtigste Taktgeber für diese inneren Uhren ist das Tageslicht. Die meisten haben einen 24-Stunden-Rhythmus, es gibt aber auch kürzere und längere Zyklen.

Die Wissenschaft, die sich mit diesen Zyklen und ihrer Steuerung beschäftigt, heißt Chronobiologie. Und spätestens seit die drei US-Forscher Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young im Jahr 2017 den Medizinnobelpreis für ihre Erkenntnisse zur Funktionsweise der inneren Uhr bekommen haben, ist das Wissen darüber auch im Mainstream angekommen.

Doch immer noch ist vieles unklar. Immerhin weiß man mittlerweile, dass es nicht egal ist, zu welchem Zeitpunkt äußere Einflüsse auf den Organismus einwirken. Es macht nämlich einen Unterschied, wann man schläft – oder wie man zu welcher Tageszeit isst. Im STANDARD-Interview erklärt der Chronobiologe Maximilian Moser, Physiologe an der Med-Uni Graz und Autor des Buchs "Vom richtigen Umgang mit der Zeit: Die heilende Kraft der Chronobiologie", warum man am Morgen wie ein König essen sollte, was der Schlaf mit dem Gewicht zu tun hat und warum regelmäßige Arbeitspausen so wichtig sind.

STANDARD: Das Wissen um die inneren Rhythmen scheint noch nicht wirklich in den medizinischen Alltag eingedrungen zu sein. Warum wird die Chronobiologie so vernachlässigt?

Moser: Es stimmt, sie führt tatsächlich ein Orchideendasein. Es wurde immer argumentiert, dass der medizinische Alltag es nicht zulässt, dass man etwa Medikamente zur richtigen Zeit verabreicht. Das ist sehr schade, weil etwa Medikamentennebenwirkungen deutlich geringer sind, wenn man Medikamente zur chronobiologisch richtigen Zeit verabreicht. Man weiß ja eigentlich schon seit Jahren, dass unsere innere Uhr nicht nur die Genetik, sondern auch die gesamte Stoffwechselsituation und andere Abläufe im Körper steuert.

STANDARD: Das macht sich auch beim Essen bemerkbar, hört man. Stimmt es, dass die gleiche Nahrung in der Früh eine andere Wirkung auf den Körper hat als am Abend?

Moser: Ja. Es gibt Studien, die gezeigt haben, dass jemand, der bestimmte Nahrungsmittel am Morgen isst, kontinuierlich abnimmt, sofern man nicht zu viel davon isst. Wenn dieselbe Person das Gleiche in der gleichen Menge am Abend isst, nimmt sie aber zu.

STANDARD: Hat das damit zu tun, dass man ein Morgen- oder ein Abendmensch ist? Von diesen chronobiologischen Typen hört man ja immer wieder ...

Moser: Die sogenannten Eulen und Lerchen gibt es wirklich. Etwa ein Drittel aller Menschen sind entweder ein extremer Morgen- oder ein extremer Abendmensch. Die anderen zwei Drittel befinden sich mehr oder weniger in der Mitte. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Ernährung, aber eher in der Art, dass Eulen eben etwas später frühstücken als Lerchen. Es bedeutet aber nicht, dass Abendmenschen erst am Abend essen sollten. Für alle gilt nach wie vor die alte Regel "Frühstücken wie ein König, Abendessen wie ein Bettler". Und vor allem sollte man nicht zu spät zu essen.

STANDARD: Aber was passiert am Abend, das in der Früh nicht passiert?

Moser: In der Früh wird die Nahrung in einem höheren Maß in Wärme umgewandelt, da ist der Organismus auf Katabolie eingestellt, also auf Verbrennen. Am Abend arbeitet der Stoffwechsel anabol, da werden die angebotenen Nährstoffe eher gespeichert, weil der Organismus sich in einer Abkühlungsphase befindet. Und die beste Zeit zum Einschlafen ist auch die, wo die Körpertemperatur am stärksten sinkt.

Messungen der Körperkerntemperatur bestätigen diesen Rhythmus. Beim Morgentyp erreicht sie ihr Minimum gegen zwei Uhr früh, beim Abendtyp etwa zwei Stunden später, gegen vier Uhr früh. Der Mitteltyp hat den Tiefpunkt um drei Uhr morgens. Das Maximum der Kerntemperatur ist dann jeweils zwölf Stunden später, also am Nachmittag.

STANDARD: Da kommt sofort der Gedanke ans Intervallfasten auf. Dabei macht man eine lange Essenspause, die 14 oder sogar 16 Stunden dauert. Manche sagen, es ist egal, wann man die Pause macht, andere meinen, es sei wichtig, das Abendessen wegzulassen, nicht das Frühstück. Wie sehen Sie das?

Moser: Als Chronobiologe sehe ich das Intervallfasten prinzipiell sehr positiv. Und man sollte unbedingt am Morgen essen, nicht am Abend. Das Frühstück weglassen und dafür am Abend viel essen ist keine gute Idee. Gelegentliches Fasten scheint wirklich einen sehr positiven Einfluss auf den Organismus zu haben. Mehrere Studien, wenn auch nicht am Menschen, zeigen, dass eine geringere Kalorienzufuhr letztlich das Leben verlängert. Leider gehen viele Studien nicht auf die chronobiologischen Unterschiede ein. Die haben halt gedacht, man muss irgendwann am Tag 16 Stunden nichts essen, egal wann.

STANDARD: Wenn nun eine abnehmwillige Person eine Lebensstilumstellung überlegt, wie soll sie das angehen? Zuerst die Chronobiologie in Ordnung bringen und dann schauen, was sie isst? Umgekehrt? Oder beides auf einmal?

Moser: Ich denke, man sollte so viele Hebel wie möglich bewegen, ohne sich dabei das Leben übermäßig schwerzumachen. Langsame Übergänge wären wichtig, damit es auch gelingt. Ein ganz wichtiger Ansatzpunkt wäre, regelmäßig und relativ früh schlafen zu gehen. Es hat sich klar gezeigt, dass regelmäßiger ausreichender Schlaf mit geringerem Körpergewicht verbunden ist. Da kann man schon einmal ohne Qual mit einfachen Mitteln eine Verbesserung erreichen.

Bei der Ernährung sollte man darauf achten, hochwertige Lebensmittel zu sich zu nehmen, etwa solche, die einen hohen Gehalt an Omega-3-Fettsäuren haben. Das Fettgewebe ist ja mitverantwortlich für stille Entzündungen im Körper, Omega-3-Fettsäuren wirken da dagegen.

STANDARD: Und wenn man es nicht schafft, das Abendessen wegzulassen? Was eignet sich dann als Snack?

Moser: Das ist individuell wirklich sehr verschieden. Manche vertragen zum Beispiel Obst am Abend recht gut, andere gar nicht. Rezentere Studien empfehlen vor allem eiweißreiche Nahrung am Abend.

STANDARD: Sie haben schon erwähnt, dass auch der gute Schlaf beim Abnehmen eine wichtige Rolle spielt. Worauf sollte man da achten?

Moser: Definitiv. Man sollte sich deshalb bewusst machen, dass die Basis für einen guten Schlaf bereits am Tag gelegt wird. Der Schlaf-wach-Rhythmus ist ja auch ein chronobiologischer Rhythmus. Der nächtliche Schlaf setzt sich aus mehreren Zyklen zusammen, die jeweils 1,5 bis zwei Stunden dauern. Diese bestehen immer aus einer Tief- und einer Traumschlafphase. In der ersten Nachthälfte sind die Tiefschlafphasen ausgiebiger, gegen Morgen werden die Traumschlafphasen länger.

Diese Rhythmik kann man am Tag üben, zum Beispiel indem man sich die Arbeit so einteilt, dass man alle 1,5 bis 1,75 Stunden eine Pause macht. Das setzt sich dann in die Nacht hinein fort und verbessert die Schlafarchitektur. Das haben wir auch in einigen Projekten beobachtet, für die wir mit Bauarbeitern, Ärztinnen oder Krankenschwestern gearbeitet haben.

STANDARD: Kann man diese Zyklen auch auf das Essen anwenden, als Maß für die Abstände zwischen Mahlzeiten?

Moser: Man sollte nicht öfter als dreimal pro Tag essen. Aber wenn man zum Beispiel zwei solche Zyklen zusammenschließt, dann kann das gut der Abstand zwischen Frühstück und Mittagessen oder Mittag- und Abendessen sein. (Norbert Hasenöhrl, 21.8.2023)