Am Foto breitet sich das Feuer im Wald aus, nur wenige Bäume stehen noch. 
Im Amazonas-Gebiet wird Feuer zur Verbrennung verbleibender Biomasse und zur Landgewinnung für Landwirtschaft und Viehzucht eingesetzt.
APA/AFP/CARL DE SOUZA

Im Supermarktregal, beim Ticketkauf für Busreisen oder Flüge oder in der Luxusparfümerie. "Klimaneutrale" Produkte finden sich im Alltag immer öfter. Viele große Unternehmen kaufen sich mittlerweile freiwillig CO2-Zertifikate, um damit ihren ökologischen Fußabdruck zu verbessern oder komplett auszugleichen. Jedes Zertifikat steht dabei für eine Tonne klimaschädlicher Emissionen, die im Zuge eines Projekts verhindert werden, beispielsweise durch den Schutz eines Waldstücks.

In der Theorie können mit dieser Idee große Waldflächen vor der Rodung geschützt werden. Wo genau diese Projekte stattfinden, ist aufgrund der Verteilung der Treibhausgase in der Atmosphäre relativ unerheblich. Dass sie aber reines Greenwashing sind, wurde den Anbietern solch freiwilliger CO2-Zertifikate sowie auch den Unternehmen, die sie kaufen, schon oft vorgeworfen.

Kritikerinnen und Kritiker dieser Methode können sich nun auch wissenschaftlich bestätigt wissen. Ein Forschungsteam rund um Thales West analysierte 26 solcher Projekte der Organisation Verra in sechs Ländern, darunter Gebiete in Afrika und Südamerika. Die meisten der Projekte trugen kaum dazu bei, Abholzung zu verhindern. Der Grund dafür: Viele der geschützten Flächen sind ohnehin kaum von Waldrodungen bedroht. Und in den wenigen Fällen, in denen die Projekte tatsächlich Einfluss auf die Abholzung hatten, war der Effekt für das Klima wesentlich geringer als von Verra angegeben.

Teils wertlose Zertifikate für den Schutz von Regenwald

Die Forschenden stellten fest, dass die meisten Projekte die Abholzung der Wälder nicht wesentlich reduzierten, und die wenigen, die dies taten, die Abholzung in viel geringerem Maße reduzierten, als behauptet worden war. Der Grund dafür: Unternehmen, die die CO2-Zertifikate anbieten, schätzen das Risiko der Abholzung höher ein, als es tatsächlich ist. Der "Verified Carbon Standard" ist relativ flexibel in der Vorgabe, wie genau das Waldrodungsrisiko berechnet wird. Das Verfahren lässt also einiges an Freiraum. Beispielsweise werden die Projekte in Gebieten angesiedelt, die nicht so stark von der Abholzung betroffen sind oder in denen der Schutz für die Betreiber mit besonders wenig Aufwand einhergeht. Die Forschenden suchten nun für jedes durch CO2-Zertifikate geschützte Gebiet ein Vergleichsgebiet, also einen Wald, der ähnlichen Umständen und Risiken ausgesetzt ist wie der geschützte. Die Forschenden konnten dabei in vielen Fällen kaum Vorteile für den geschützten Wald finden. Die Zertifikate sind somit großteils ein nutzloses Tool.

Zusätzlich fand das Forschungsteam heraus: Im Rahmen einiger Projekte wurden so viele Zertifikate verkauft, dass fast die dreifache Menge an Kohlendioxidemissionen "ausgeglichen" wurde, als das Projekt tatsächlich beim Schutz vor Waldrodung vermeiden könnte.

Die Ergebnisse bestätigen frühere Studien zum Thema und decken sich großteils mit einem bereits Anfang des Jahres veröffentlichten Investigativbericht über CO2-Ausgleich-Zertifikate. Die Investigativplattform "Source Material", der britische "Guardian" und die "Zeit" deckten dabei auf: Über 90 Prozent der CO2-Ausgleichszertifikate sind wertlos.

Unregulierter Markt hält klimaschädliche Geschäfte am Laufen

In einer Presseaussendung zur Studie äußert sich Hannes Böttcher vom Öko-Institut Berlin kritisch zum Thema. Eine Kompensation des CO2-Ausstoßes auf der Ebene von Unternehmen findet er "grundsätzlich nicht sinnvoll". Böttcher: "Die Klimakompensation sollte auf keinen Fall dazu genutzt werden, klimaschädliche Geschäftsmodelle länger aufrechtzuerhalten."

Auch Julia Pongratz, Direktorin des Instituts für Geografie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, sieht die Studie aufgrund ihrer neuartigen Vergleichsmethode mit ähnlichen Waldflächen als wichtige Kritik am System der Ausgleichszahlungen. Sie weist auch darauf hin, dass unsere Ökosysteme nicht beliebig viele Emissionen kompensieren können: "Wir müssen unsere Emissionen aus den fossilen Quellen wie aus Entwaldung und Degradierung von Ökosystemen so weit wie möglich auf null bringen. Nur der Rest kann sinnvoll – ohne massive Nebenwirkungen und sozial- wie umweltverträglich – durch CO2-Aufnahme kompensiert werden."

CO2-Zertifikate sind – überspitzt gesagt – Wetten auf die Zukunft. Ob der Wald ohne die CO2-Zertifikate und den daraus finanzierten Schutz gerodet worden wäre oder nicht, ist im Vorhinein meist schwer zu sagen. Aber auch bei Aufforstungsprojekten bleibt der positive Effekt fürs Klima in vielen Fällen stark hinter den Erwartungen zurück.

Foto von einem Hubschrauber aufgenommen zeigt inmitten des Waldes eine Fläche der Abholzung in Brasilien. 
Entgegen vielen Versprechen: Die Kohlendioxidemissionen des Amazonas-Regenwaldes haben sich 2019 und 2020 sogar verdoppelt. CO2-Zertifikate sollen Wälder vor Abholzung schützen und so zusätzlichen Emissionsausstoß verhindern.
AP/Eraldo Peres

CO2-Ausgleich auch für private Konsumenten fraglich

Nicht nur Unternehmen, auch Privatpersonen können CO2-Emissionen mit einem Zertifikat ausgleichen. Ob man solche Zertifikate beispielsweise zum Flugticket dazukauft oder nicht, muss jeder für sich selbst entscheiden. Oft kostet der "Service" nur ein paar Cent bis wenige Euro zusätzlich.

Die Hauptprobleme bei dem Emissionsausgleich sind für Privatpersonen und Unternehmen letztlich die gleichen. Kompensation regt nicht an, Emissionen zu vermeiden. Anstatt also zu kompensieren, sollten der Ressourcenverbrauch und die klimaschädlichen Gase besser direkt vermieden werden. Viele Unternehmen präsentieren sich als ökologisch und ressourcensparend, während in Wirklichkeit nur CO2-Zertifikate zugekauft werden. Kritikern zufolge ist die Kompensation daher nur zusätzliche Motivation, die Greenwashing-Maschinerie voll anlaufen zu lassen.

Die Haupteinnahmen von Unternehmen wie Verra gehen ohnehin auf Unternehmen zurück. Die entscheiden sich im Normalfall, Projekte mit einem möglichst geringen Preis pro Tonne CO2 zu unterstützen.

Unterschied zum europäischen Emissionshandel

Verwechslungsgefahr besteht mit dem EU-Emissionshandel. Der gesetzlich vorgeschriebene Zertifikatshandel ist ein verpflichtendes System für Industrie- und Energiekonzerne. Diese Firmen sind daran gebunden, Zertifikate für jede ausgestoßene Tonne CO2 zu erwerben. Die Zertifikate werden immer knapper, und so auch immer teurer. Sie können aber auch untereinander ein- und verkauft werden. Die Idee dahinter: In den betroffenen Branchen sinken die Emissionen zwangsläufig, da Investitionen in die Dekarbonisierung für Unternehmen immer attraktiver werden. (Sebastian Lang, 25.8.2023)