Der Kosmos ist unvorstellbar groß und bietet entsprechend viel Platz für wahrhaft gigantische Objekte. Eine solche riesige Struktur haben nun Astronomen in vergleichsweise geringer Entfernung wahrgenommen. Es handelt sich um eine Versammlung von Galaxien in einer Art Blase, deren Ursprung nach Ansicht der Fachleute bis in die Anfangszeit des Universums zurückreicht.

Die Forschenden haben der rund eine Milliarde Lichtjahre durchmessenden sphärischen Region den Namen Ho'oleilana verliehen. Die Bezeichnung entstammt dem Hawaiianischen und geht auf einen traditionellen Gesang zurück, der von der Geburt des Universums erzählt. Bisherige Untersuchungen deuten darauf hin, dass man es hier mit einer sogenannten Baryonischen Akustischen Oszillation (BAO) zu tun hat, gleichsam eine eingefrorene Dichtewelle, die sich im jungen Universum konzentrisch ausgebreitet hat.

Kosmologie, Galaxien, Supercluster, BAO, Ho'oleilana
Ho'oleilana liegt gleich neben unserem eigenen Supercluster Laniakea. Die riesige Blase dürfte ein Relikt aus der Zeit kurz nach dem Urknall sein.
Illustr.: Frédéric Durillon/Daniel Pomarède/IRFU/EA University Paris-Saclay

Verblüffend nahe

Derartige erstarrte Dichtefluktuationen sind im Kosmos – zumindest der Theorie nach – keine Seltenheit. Dass nun jedoch tatsächlich eine solche Struktur durch Zufall in einer Distanz von nur 820 Millionen Lichtjahren zur Milchstraße entdeckt wurde, ist für die Astronomen durchaus verblüffend. "Wir haben nicht nach ihr gesucht, aber sie ist so riesig, dass sie bis an den Rand des Himmelssektors reicht, den wir gerade untersucht haben", sagte Brent Tully von der University of Hawai'i, der gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen nun im "Astrophysical Journal" darüber berichtet hat.

"Der gewaltige Durchmesser von einer Milliarde Lichtjahren liegt jenseits aller theoretischen Erwartungen. Wenn seine Entstehung und Entwicklung mit den Theorien übereinstimmen, ist diese BAO näher als erwartet", meinte der Astrophysiker weiter. "Und sie deutet auf eine äußerst rasche Expansion zu Beginn des Universums hin."

Video: Was ist die Baryonische Akustische Oszillation?
CAASTRO

Der Glücksfund gelang, als Tully und seine Gruppe eine von ihnen zusammengestellte neue Karte der Galaxienabstände mit dem Namen Cosmicflows-4 näher analysierten. Die Forschenden haben die Distanzen von 55.877 Galaxien in einem bestimmten Sektor des Himmels gemessen und dabei acht verschiedene Methoden eingesetzt. Erst durch die exakte Bestimmung der Entfernungen von Galaxien lassen sich im kosmischen Maßstab Auffälligkeiten bei der Dichte und Verteilung der Galaxien erkennen.

Kompaktes Zentrum

Dabei wurde das Team nahe der Grenze zu unserem heimatlichen Supercluster Laniakea auf ein ganz charakteristisches Muster aufmerksam: Die Dichteverteilung der Galaxien ergab eine kugelförmige Struktur mit einem Durchmesser von etwa einer Milliarde Lichtjahren. An den Außenbereichen dieser Sphäre sind die Galaxien am Rand dichter gruppiert und auch im Zentrum stellten die Forschenden eine sehr kompakte Zusammenballung von Galaxien fest – alles in allem die klassische Form für eine Baryonischen Akustischen Oszillation.

Strukturen wie Ho'oleilana entstanden, als das Universum noch sehr jung und mit heißem, dichtem Plasma gefüllt war. In diesem Plasma spielte sich ein fortwährendes Hin und Her zwischen gravitativer Anziehungskraft nach innen und nach außen gerichtetem Druck durch die starke Strahlung ab. Das Ergebnis dieser Vorgänge waren kugelförmige Zonen wechselnder Dichte, die durch das Plasma pulsierten.

Als die Dichtewellen erstarrten

Als das Universum ein Alter von etwa 380.000 Jahren erreichte, hatte es sich weit genug abgekühlt, dass sich aus den frei umher schwirrenden Protonen und Neutronen endlich stabile Atome bilden konnten, die wegen der großen Hitze nicht gleich wieder zerfielen. Zu diesem Zeitpunkt kamen auch die Schwingungen im Plasma zum Stillstand, die neugeborene Materie verharrte und formte kugelförmige Regionen höherer Dichte mit Durchmessern von rund einer Milliarde Lichtjahren.

Den Astrophysikerinnen und Astrophysikern liefern solche Strukturen wertvolle Informationen über das Universum. Da ihre Größe aufgrund der theoretischen Annahmen bekannt ist, könnte sie beispielsweise dabei helfen, kosmische Entfernungen zu bestimmen. Auch lässt sich aus ihnen auf das Tempo schließen, mit dem sich der Kosmos ausdehnt. "Die Kartierung von Ho'oleilana in drei Dimensionen hilft uns auch, ihren Inhalt und ihre Beziehung zu ihrer Umgebung zu verstehen", sagte der Kosmograf Daniel Pomarede von der CEA Paris-Saclay Universität in Frankreich.

Kosmologie, Galaxien, Supercluster, BAO, Ho'oleilana
Die Baryonische Akustische Oszillation (BAO) zeigt sich auch in der kosmischen Hintergrundstrahlung und ist ein wertvoller Maßstab zur Bestimmung der Größe des Universums.
Illustr.: Zosia Rostomian, Lawrence Berkeley National Laboratory

Blase mit bekanntem Inhalt

Zu den Strukturen, die sich innerhalb von Ho'oleilana befinden, zählt etwa die Boötes-Leere, eine kugelförmige Zone mit einem Durchmesser von 400 Millionen Lichtjahren, die nur wenige Galaxien enthält. Die Coma Great Wall und die Sloan Great Wall wiederum sind dichtere Regionen und bilden Teile der Schale von Ho'oleilana. Genau im Zentrum der riesigen Blase steht der Boötes-Superhaufen, eine dicht gepackte Ansammlung mehrerer Galaxiencluster.

Dass sich Ho'oleilana doch als etwas größer erwies, als man für eine BAO eigentlich erwartet hatte, spricht nach Ansicht der Forschenden dafür, dass sich das Universum möglicherweise mit höherer Beschleunigung ausdehnt als bisher angenommen. Die Schätzungen für diese sogenannte Hubble-Konstante liegen im Allgemeinen zwischen 67 und 74 Kilometern pro Sekunde pro Megaparsec. Ho'oleilanas Existenz jedoch deutet eher auf eine Expansionsrate von 76,9 Kilometern pro Sekunde pro Megaparsec hin. Um diese erstaunliche Beobachtung zu untermauern, bedarf es jedoch noch weiterer Analysen, meinten die Astrophysiker. (Thomas Bergmayr, 10.9.2023)