Der Eingang von Lehman Brothers in New York. Davor ist eine Ampel zu sehen, mit der roten Hand, die
Die US-Investmentbank Lehman Brothers hat die Finanzkrise nicht überlebt. Die Bank musste Konkurs anmelden, wurde von der US-Regierung nicht aufgefangen. Das hat für ein Beben in der Finanzwelt gesorgt. Die geplatzte Spekulation mit US-Hypothekenpapieren hat den Instituten enorme Verluste beschert.
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Es ist ein Montag im September 2008. An den Finanzmärkten ist Durchatmen schon länger nicht mehr angesagt. Die Bankenkrise, die durch hypothekenbesicherte Wertpapiere ("mortgage-backed securities") ausgelöst wurde, spitzt sich täglich zu. Um 16.47 Uhr an jenem 15. September vor 15 Jahren tickerte es dann über die Agenturen: "Lehman-Brothers-Konkurs verschärft Finanzkrise". Die 1850 gegründete Bank, die bis in die 1980er-Jahre ein Anhängsel von American Express war, ist gefallen.

Die damals viertgrößte US-Investmentbank hatte einen Konkursantrag eingebracht. Zähe Verhandlungen um eine Rettung des Instituts waren vorausgegangen. Henry Paulson war damals US-Finanzminister und lehnte es ab, Lehman zu retten. 24.988 Mitarbeiter verloren in den Tagen darauf ihre Jobs. An den Börsen setzte ein Beben ein. Banken verloren das Vertrauen untereinander. Kein Haus borgte dem anderen mehr Geld aus Angst davor, es nicht mehr zurückzubekommen. Die auf steigende Immobilienpreise aufgebaute Spekulation mit Hypothekarkrediten platzte.

Milliarden ohne Zinsen

In diesen Stunden wurde die ebenfalls angeschlagene Bank Merrill Lynch an die Bank of America verkauft. Die Zentralbanken in den USA, der Eurozone und Großbritannien pumpten dutzende Milliarden in den Markt. Zehn große internationale Banken legten einen Notfallfonds in der Höhe von 70 Milliarden Dollar (49,5 Mrd. Euro) auf. Die Leitzinsen wurden rapide gesenkt, die Ära der Nullzinsphase begann. Nichts ging mehr in der Finanzwelt, die Angst vor einem Systemkollaps war enorm.

Monatelang ging die Angst um, welche Bank es noch treffen werde, wie viel Geld für die Rettung der vor allem großen Häuser noch gebraucht werden würde. Die Hypothekenkredite der beiden US-Finanzierer Fannie Mae und Freddie Mac wurden im großen Stil notleidend. Die beiden Hypothekenbanken wurden mit einem Rettungskredit von 187 Milliarden Dollar vor dem Bankrott bewahrt. Allein Fannie Mae verbuchte 2008 einen Verlust von 58 Milliarden Dollar.

Das führte auch zu unzähligen Demonstrationen. Denn während die großen Banken gerettet wurden, verloren viele Eigenheimbesitzer ihre Häuser, weil sie ihre Kredite nicht mehr bedienen konnten. Ende 2011 wurde die Wall Street besetzt: Die Gruppierung Occupy Wall Street forderte eine stärkere Kontrolle des Banken- und Finanzsektors durch die Politik, die Verringerung des Einflusses der Wirtschaft auf politische Entscheidungen und die Reduzierung der sozialen Ungleichheit zwischen Arm und Reich.

Krise wurde überwunden

15 Jahre nach dem Fall von Lehman ist klar: Die Finanzwelt hat diese Krise überlebt. Sie ist stabiler geworden – auch weil die Banken sich neuen Regeln unterwerfen mussten. Das System der Bonuszahlungen wurde hinterfragt, weil Banker mit dem Blick auf den nächsten Bonus zu große Risiken eingegangen waren.

In den USA wurde der Dodd-Frank Act ins Leben gerufen, der den Banken neue Regeln für ihre Geschäftsgebarung vorschreibt. Ein zentraler Bestandteil ist die Volcker Rule, die US-Banken den Eigenhandel mit Wertpapieren in weiten Teilen verbietet.

Auch in Europa wurden die Zügel für die Banken gestrafft. Kapitalvorgaben wurden erhöht (Basel III), alle zwei Jahre müssen sich systemrelevante Banken zudem einem Stresstest unterziehen. In der EU wurden mehrere Institutionen zur Kontrolle von Finanzinstituten geschaffen, etwa das Finanzmarktstabilitätsgremium, das als Teil des europäischen "Systemic Risk Board" vorausschauende Risikoabschätzungen vornimmt.

Risiko hat höheren Stellenwert

"Das Risikomanagement hat einen viel höheren Stellenwert bekommen", sagt Peter Brezinschek, früherer Raiffeisen-Chefanalyst und nun Chefökonom beim Börsianer, zur APA. Gelernt habe man auch, "dass es fatal ist zu glauben, dass der Wert von Immobilien immer nur steigen kann", so Brezinschek.

Ein Mitarbeiter von Lehman Brothers verlässt das Gebäude der Bank mit einem Karton in der Hand.
Mehr als 24.000 Mitarbeiter verloren ihren Job, als Lehman Brothers 2008 im Zuge der Finanzkrise nicht gerettet wurde.
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Eine Lektion, die wohl noch einer Nachhilfestunde bedarf. Aktuell sind es nämlich wieder Immobilien, die vor allem den US-Regionalbanken Sorgen bereiten. Der Leerstand bei den Gewerbeimmobilien ist enorm. 70 Prozent der Kredite für Gewerbeimmobilien haben in den USA die Regionalbanken in ihren Büchern. Wells Fargo, unter den Großbanken der größte Kreditgeber für Gewerbeimmobilien, warnte bereits im April davor, dass sich die Probleme noch zuspitzen werden.

Die Dramatik in Zahlen ausgedrückt: Allein heuer werden Kredite für Gewerbeimmobilien von 450 Milliarden Dollar fällig. Sie müssen in einem Umfeld refinanziert werden, in dem die Zinsen deutlich höher liegen und die Bewertungen der Immobilien abgenommen haben. "Denn die Rückkehr ins Büro nach der Pandemie hat sich zum Zankapfel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer entwickelt", sagt Monika Rosen, Börsenexpertin der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft und Marktexpertin bei E-Fundresearch. Während die Arbeitgeber ihre Mannschaft zurück ins Büro holen wollen, wollen viele Arbeitnehmer das Homeoffice nicht aufgeben. "Die Ausstattung der Büros wird in diesem Spannungsfeld zum wichtigen Thema", sagt Rosen. Gewerbeimmobilien, die nicht in Toplagen liegen, sind besonders unter Druck.

Immobilien als Belastung

Das spiegelt sich bei Banken durch das hohe Refinanzierungsrisiko wider. Bis Ende 2025 werden laut Bloomberg fast 1,5 Billionen Dollar an Schulden für gewerbliche Immobilien fällig. In den nächsten vier Jahren müssen Inhaber von Gewerbeimmos Schulden abbezahlen, die 2027 ihren Höhepunkt bei 550 Milliarden Dollar erreichen werden.

"Der Immobilienmarkt wird immer wieder zum Wetterwinkel", sagt Rosen. Aufgrund der Größe des Marktes und seines Transmissionmechanismus schlage das Thema immer wieder auf Banken durch. Das zeigt auch ein aktueller Blick nach China, wo der Immobilienriese Evergrande seit Monaten gegen seinen Zusammenbruch kämpft. Auch andere Immobilienentwickler, etwa Country Garden, sind schwer angeschlagen. Zuletzt haben Gläubiger dem Unternehmen mehrmals Zahlungsaufschub gewährt, um einen Zahlungsausfall zu verhindern. Die verschärften Regelungen für die Vergabe von Immobilienkrediten haben das Beben in China ausgelöst.

Auf einem Boden wird der Schriftzug von
Von Lehman blieb nicht viel. Der Name verschwand von der Wall Street. Barclays hat große Teile des US-Geschäfts einschließlich der Infrastruktur mit 9000 Mitarbeitern übernommen.
AFP/ Ben Stansall

Der Schock der Finanzkrise aber sitzt tief. Vertrauen wird rascher entzogen. Mit dem Ende des Tech-Booms haben viele Start-ups, die ihre Gewinne bei der Silicon Valley Bank angelegt hatten, auf diese zugreifen wollen. Das führte dazu, dass die Bank zur Herbeischaffung von Liquidität Anleiheninvestments auflösen und damit hohe Verluste realisieren musste. Das hat viele Kunden sehr rasch sehr nervös gemacht, sie zogen ihr Geld ab. An einem einzigen Tag flossen 42 Milliarden Dollar aus der Bank, die auf der Liste der größten US-Banken Platz 16 eingenommen hatte und letztlich behördlich geschlossen wurde. Der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank war der größte Kollaps einer Bank seit der Finanzkrise.

Digitalisierung und Vertrauen

"Die Digitalisierung hat den Run auf die Silicon Valley Bank beschleunigt", sagt Rosen. 2008 standen die Menschen noch Schlange vor den Instituten, um ihr Geld abzuholen. Heute werden via Onlinebanking Guthaben in Sekundenschnelle verschoben.

Wie rasch das Vertrauen weg sein kann, zeigt auch der Fall der Credit Suisse. Die Bank hatte zwar bei vielen Skandalen ihre Finger im Spiel, galt aber bis zuletzt als solvent. Doch als die Saudi National Bank, seit Oktober 2022 größter Aktionär der Schweizer Traditionsbank, eine weitere Kapitalspritze verweigerte, ging alles sehr schnell. Die Nachricht über die Schieflage der Bank verbreitete sich in den sozialen Medien, die Kundengelder flossen ab. Allein im vierten Quartal 2022 zogen Kunden 110 Milliarden Franken (damals rund acht Prozent des verwalteten Vermögens der Bank) ab. Die UBS musste die Credit Suisse für drei Milliarden Euro übernehmen. Damit entstand ein Institut, dessen Bilanzsumme doppelt so groß ist wie das Schweizer BIP.

Die Macht des großen Finanzsektors ist nach wie vor ungebrochen, kritisiert das globalisierungskritische Netzwerk Attac. Das Risiko einer schweren Finanzkrise sei nicht geringer als 2008. In den USA halten die "Big Six" (JPMorgan Chase, Citigroup, Wells Fargo, Bank of America, Goldman Sachs und Morgan Stanley) heute fast doppelt so hohe Vermögenswerte wie vor zehn Jahren. (Bettina Pfluger, 15.9.2023)