Karoline Edtstadler, Europa- und Verfassungsministerin Österreichs
Laut Europaministerin Edtstadler (ÖVP) soll die EU "ihre Hausaufgaben machen und einen funktionierenden EU-Außengrenzschutz sicherstellen".
EPA/ OLIVIER HOSLET

Wien/Brüssel – Nach der Klagsdrohung Rumäniens, wenn Österreich sein Veto gegen den Schengen-Beitritt des Landes aufrechterhalten sollte, hat Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) die Bedenken Österreichs gegen eine Schengen-Erweiterung bekräftigt. "Das österreichische Schengen-Veto richtet sich nicht gegen Rumänien, sondern gegen ein System, das nicht mehr funktioniert", teilte Edtstadler am Freitag auf APA-Anfrage in einem Statement mit.

Edtstadler zeigte jedoch auch Verständnis für die Haltung Bukarests. "Wir respektieren die Haltung und verstehen die Interessen unseres Partners Rumänien. Zugleich können wir jedoch nicht die Augen verschließen und ein kaputtes System auch noch erweitern", betonte die Europaministerin.

Die EU sei gefordert, "ihre Hausaufgaben zu machen und einen funktionierenden EU-Außengrenzschutz sicherzustellen. Nur sichere Grenzen nach außen ermöglichen unsere Vision eines Europas ohne Grenzen nach innen", so Edtstadler.

Ciolacu: Schaden von zwei Prozent des BIP

Der rumänische Regierungschef Marcel Ciolacu sagte im Gespräch mit dem STANDARD (Freitag-Ausgabe), falls Österreich erneut sein Veto gegen die Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in den Schengen-Raum einlege, sobald das Thema wieder auf die Tagesordnung kommt, wolle Bukarest Klage einbringen. "Kategorisch, ja", sagte Ciolacu auf eine entsprechende Rückfrage des STANDARD. Der Regierungschef schätzt den Schaden, der Rumänien durch den Nichtbeitritt zum grenzkontrollfreien Raum entstanden ist, auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte am Mittwoch einen Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien "ohne weiteren Verzug" gefordert. Beide Länder hätten bewiesen, dass sie die nötigen Bedingungen erfüllen, sagte sie bei ihrer Rede zur Lage der Union in Straßburg. Ihre Aufforderung dürfte sich vorrangig an Österreich richten, das den Beitritt der beiden Länder weiterhin blockiert. Namentlich nannte von der Leyen Österreich aber nicht.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) reagierte mit Verweis auf die aktuell steigenden Migrationszahlen in Europa: "Zu so einem Zeitpunkt macht es für mich daher keinen Sinn, über eine Erweiterung des Schengen-Raums zu sprechen. Wir brauchen mehr und nicht weniger Kontrollen."

"Kein Recht auf Schengen-Vollbeitritt"

Der Europarechtsexperte Walter Obwexer von der Universität Innsbruck gibt der von Rumänien angedrohten Klage gegen Österreich keine Chance. "Eine Schadenersatzklage gegen Österreich vor dem EuGH ist offenkundig unzulässig", sagte Obwexer am Freitag im Telefonat mit der APA: "Eine Schadenersatzklage gegen Mitgliedsstaaten ist in den EU-Verträgen nicht vorgesehen."

Eine Schadenersatzklage gegen die Europäische Union wäre formal zulässig, "hätte aber keine Aussicht auf Erfolg", so Obwexer weiter. Als Gründe nannte er das in der EU-Beitrittsakte mit Rumänien und Bulgarien festgeschriebene Verfahren laut Artikel 4, Absatz 2. Demnach erfolge die Abschaffung der Binnengrenzkontrollen nach Evaluierung des Rates, indem der Rat eine Bewertung vornehme. Selbst wenn Rumänien argumentiere, dass die illegale Migration nicht über sein Gebiet laufe, bleibe das Argument des nicht funktionierenden Schengen-Systems mit den derzeit vielen Binnengrenzkontrollen. "Es gibt kein Recht auf Schengen-Vollbeitritt", sagte Obwexer.

Verletzung der Russland-Sanktionen durch Wien

Die rumänischen EU-Parlamentarier Eugen Tomac und Vlad Botoș hatten am Donnerstag außerdem die Europäische Kommission in einem Brief an den für die EU-Sanktionen gegen Russland zuständigen Beauftragten David O'Sullivan aufgefordert, eine Untersuchung zur Einhaltung der Sanktionen durch Österreich einzuleiten. Sie hegten den Verdacht einer möglichen Verletzung der Russland-Sanktionen durch Wien, schrieb Eugen Tomac am Donnerstag auf Facebook.

Die ÖVP-Delegationsleiterin im Europaparlament, Angelika Winzig, bezeichnete die Aussagen ihrer rumänischen Kollegen als "falsch und mehr als entbehrlich". "Sie haben mit uns nicht einmal das Gespräch gesucht. Die Aussagen sind weit weg von objektiver Kritik und aufs Schärfste zurückzuweisen. Die österreichische Regierung arbeitet seit Beginn des Ukraine-Kriegs daran, die Gasversorgung zu diversifizieren, und hat dabei bereits wichtige Fortschritte erzielt. Dass das kein Prozess ist, der von heute auf morgen beendet ist, war immer klar. Österreich hat auch alle Sanktionen gegen Russland mitgetragen." (APA, 15.9.2023)