Nasenhaare eines Mannes
Mit einer Studie an Nasenhaaren will eine Forschungsgruppe mehr über Haarausfall lernen. Das brachte ihr den Ig-Nobelpreis ein.
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Im September ist es alljährlich Zeit für einen wissenschaftlichen Kultpreis: Dann wird der Ig-Nobelpreis verliehen. Er hat mit dem Nobelpreis zumindest so viel gemeinsam, als dass Wissenschafterinnen und Wissenschafter prämiert werden, die ernsthafter Forschung nachgehen, auch wenn sich die Themen und Methoden des Ig-Nobelpreises insbesondere durch ihre Skurrilität auszeichnen. Das englische Wort "ignoble" bedeutet in etwa "unwürdig", wobei der Preis in der Forschungsgemeinschaft eher mit "Schmäh" als mit "Schmähung" in Verbindung gebracht wird. Außerdem wird der Ig-Nobelpreis mitunter von Nobelpreisträgern verliehen, wenn auch nur bei einer virtuellen Zeremonie, wie es seit der Pandemie Usus ist.

Bereits zum 33. Mal wurde der satirische Forschungspreis vergeben: für Studien, die "erst zum Lachen und dann zum Denken anregen" sollen. Einem eigenartigen Trend ging ein britisch-polnischer Forscher in einem Aufsatz auf den Grund: In "Eating Fossils" schreibt er darüber, dass er und auch etliche andere Forschende gerne Steine ablecken, da so selbst kleine Details einer Struktur deutlich werden. "Geologen machen das die ganze Zeit, weil etwas, das nicht ganz klar ist, deutlich klarer wird, wenn die Oberfläche nass ist", sagte Jan Zalasiewicz bei der Verleihung. Es bereite ihm große Freude, den Preis für eine so "fundamentale Sache" zu erhalten.

Seltsame Wiederholung

Mit dem Gegenteil eines Déjà-vus befassten sich Forscherinnen und Forscher aus Frankreich, Großbritannien, Malaysia und Finnland. Dabei handelt es sich um sogenannte "Jamais-vus": Etwas kommt einem unbekannt vor, obwohl man eigentlich damit vertraut ist. Dies lässt sich offenbar reproduzieren, wenn man ein Wort viele Male wiederholt und es einem dadurch irgendwann eigenartig und fremd vorkommt. Der passend-repetitive Titel der Studie: "The The The The Induction of Jamais Vu in the Laboratory: Word Alienation and Semantic Satiation".

In den Bereich der Kognitions- und Sprachwissenschaften fällt auch die Arbeit eines Team von Forscherinnen und Forschern aus Argentinien, Spanien, Kolumbien, Chile, China und den USA. Es wurde für die Erforschung der Gehirnaktivität von Menschen geehrt, die Experten im Rückwärtssprechen sind. "Danke für diesen spaßigen Preis, wir freuen uns, ihn anzunehmen", sagten María José Torres-Prioris und ihr Kollege Adolfo García – vorwärts und rückwärts.

Morbide wurde es bei Wissenschafterinnen und Wissenschaftern aus den USA, Kanada, dem Iran und Vietnam, die eine der zehn Auszeichnungen für die Nutzung von Leichen erhielten – zur Erforschung der Frage, ob ein Mensch die gleiche Anzahl von Haaren in beiden Nasenlöchern hat. Sie hätten an rund 20 Leichen geforscht und pro Nasenloch etwa 110 bis 120 Haare gefunden, teilte die Forschungsgruppe in ihrer Dankesrede mit. Dahinter steckt eigentlich die Untersuchung von Haarausfall, bei dem auch Nasenhaare ausfallen. Die Fachleute wollen herausfinden, ob das Fehlen von Nasenhaaren eine Auswirkung auf die Lebensqualität hat.

Koprophile Studien

Auch ein Team aus Indien, China, Malaysia und den USA beschäftigte sich mit den Toten. Es belebte tote Spinnen wieder, um sie als mechanische Greifwerkzeuge zu benutzen (DER STANDARD berichtete), betrieb also quasi Nekrobotik. Auch diese Studie wurde beim Ig-Nobelpreis ausgezeichnet.

Ansonsten beschäftigten sich die diesjährig prämierten Fachleute eher wenig mit Tieren. Ein südkoreanisch-amerikanischer Forscher erfand die sogenannte Stanford-Toilette – ein Klo, das mittels verschiedener Hilfsmittel die von Menschen ausgeschiedenen Substanzen analysiert. "Verschwendet eure Ausscheidungen nicht", sagte Seung Min Park bei seiner kurzen Dankesrede zur Preisvergabe.

Dem Thema Fäkalien bleibt das ignoble Komitee treu: Schon im Vorjahr wurde eine Studie mit österreichischer Beteiligung prämiert, die "rituellen Darmspülungsszenen auf antiken Maya-Tonwaren" nachging. Leer ging diesmal allerdings eine Ende 2022 veröffentlichte Studie aus, die das Rätsel löste, weshalb Kot bei Menschen und Mäusen oft im Wasser schwimmt (Spoiler: Bakterien sind schuld). Wer weiß, vielleicht wird sie in Zukunft noch ausgezeichnet: Beim Ig-Nobelpreis geht es wie beim großen Vorbild nicht darum, Studien aus den vorigen zwölf Monaten auszuzeichnen (wenngleich das Testament des Alfred Nobel zumindest den Anspruch weckte, jene auszuzeichnen, "die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben").

Das andere Milgram-Experiment

So gewann diesmal auch eine weit zurückliegende Studie aus dem Jahr 1969 – von einem Wissenschafter, dessen Name weltweit bekannt ist: Der US-Psychologe Stanley Milgram legte nicht nur das nach ihm benannte Experiment an, das Autoritätshörigkeit analysierte. Er beobachtete offenbar auch mit zwei Kollegen, wie viele Passantinnen und Passanten auf einer Straße stehen bleiben und nach oben schauen, wenn sie sehen, dass andere Menschen nach oben schauen.

Kolleginnen und Kollegen aus China, Kanada, Großbritannien, den Niederlanden, Irland, den USA und Japan erhielten einen Preis in der Kategorie "Bildung" für ihre methodische Untersuchung der Langeweile bei Lehrpersonal und Schülerinnen und Schülern. Unter anderem sei es wahrscheinlicher, dass Letztere im Unterricht gelangweilt seien, wenn sie das schon im Vorfeld erwarteten, sagte das Forschungsteam in seiner Dankesrede. Außerdem seien Schülerinnen und Schüler mit einer höheren Wahrscheinlichkeit im Unterricht gelangweilt, wenn sie den Eindruck hätten, dass der Lehrer oder die Lehrerin gelangweilt sei. Ein Teufelskreis.

Elektrizität und Geschmack

Nützlich könnten die Ergebnisse einer Forschungsgruppe aus Japan sein: Sie fand heraus, dass elektrische Essstäbchen und Strohhalme den Geschmack von Nahrungsmitteln verändern können. Außerdem ging ein Preis an Wissenschafter und Wissenschafterinnen aus Spanien, der Schweiz, Frankreich und Großbritannien für die Erforschung der Frage, inwiefern sich die sexuelle Aktivität von Sardellen im Meereswasser niederschlägt.

Vor der Corona-Pandemie war die Gala alljährlich von mehr als 1.000 Zuschauern in einem Theater der Elite-Universität Harvard verfolgt worden. Aber auch bei der rund eineinhalbstündigen Online-Preisverleihung, die diesmal unter dem Oberthema "Wasser" stand, flogen die traditionellen Papierflieger. Es gab Sketche, bizarre Kurzmusikstücke und noch viel mehr skurrilen Klamauk – beendet von den traditionellen Abschlussworten des Moderators Marc Abrahams, Herausgeber einer wissenschaftlichen Zeitschrift zu kurioser Forschung: "Wenn Sie dieses Jahr keinen Ig-Nobelpreis gewonnen haben, und besonders dann, wenn Sie einen gewonnen haben: mehr Glück im nächsten Jahr!" (sic, APA, 15.9.2023)