Es werden, wie hier an der deutsch-polnischen Grenze, mehr Asylsuchende in Deutschland registriert.
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"Wir sind am Ende unserer Kapazitäten": Diese Klage hört man aus Deutschlands Gemeinden von Flensburg bis Passau. Überall fehlen Unterkünfte für Geflüchtete.

Viele Kommunalpolitiker wissen nicht mehr, wo sie die Asylsuchenden noch unterbringen sollen. In Odenthal, einer Gemeinde in Nordrhein-Westfalen, denkt man nun sogar darüber nach, eine Trauerhalle als Notunterkunft auszustatten.

Aminata Touré, die grüne Integrationsministerin Schleswig-Holsteins, bekam gerade erst einen Brandbrief von Kommunalpolitikern. In diesem heißt es zwar, die Bereitschaft, geflüchteten Menschen Schutz und Hilfe zu gewähren, bestehe unverändert fort. Aber auch: "Wir sehen, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt und die Akzeptanz für die Aufnahme von Geflüchteten schwinden, wenn sich die Entwicklung der letzten Monate unverändert fortsetzt."

Von Jänner bis August 2023 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mehr als 204.000 Erstanträge registriert, das sind 77 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum 2022. Es kommen vor allem deutlich mehr Menschen aus Syrien, Afghanistan und der Türkei.

Zwar ist die Zahl der Erstanträge für Asyl weit von der Zahl des Jahres 2016 entfernt – damals waren es 722.370. Doch das Thema bewegt die Menschen, zumal sich derzeit auch noch etwas mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine in Deutschland aufhalten.

Schafft Deutschland das?

"Schaffen wir das noch mal?", fragt das Magazin Spiegel auf seiner dieswöchigen Titelseite und zeigt eine lange Schlange von Geflüchteten. Nein, sagt CDU-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz. Er machte am Wochenende beim Parteitag der CSU in München einen ungewöhnlichen Schritt und schlug dem deutschen Kanzler Olaf Scholz Zusammenarbeit vor.

Zur Not solle Scholz die Grünen aus der Regierung werfen. "Ich biete Ihnen an: Lassen Sie uns das zusammen machen. Wir müssen dieses Problem lösen", so Merz. Denn es gebe einen "solchen Sprengstoff für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft", dass ein Weg gefunden werden müsse.

In der Union erinnern dieser Tage viele an den sogenannten "Asylkompromiss" des Jahres 1993. Damals wollte die von Helmut Kohl geführte Regierung aus CDU/CSU und FDP die Rechte von Asylwerbern beschneiden. Für die nötige Änderung des Grundgesetzes brauchte sie die oppositionelle SPD, die die Entscheidungen nach harten Auseinandersetzungen schließlich mittrug.

Merz hat, wie andere auch, die Umfragewerte der AfD im Blick. Diese liegt mittlerweile bundesweit bei 20 bis 22 Prozent. In den ostdeutschen Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen ist sie die Nummer eins. In diesen drei Ländern wird in einem Jahr gewählt.

Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) kann dem Vorschlag von Merz durchaus etwas abgewinnen. "Wenn wir nicht wollen, dass der Rechtspopulismus dieses Thema ausbeutet, dann sind alle demokratischen Parteien verpflichtet, bei der Suche nach Lösungen zu helfen", sagt er. Dies könne auch bedeuten, "moralisch schwierige Entscheidungen" zu treffen, sagte Habeck. Denn: "Wir wissen, dass wir eine Verantwortung für den Zusammenhalt in diesem Land tragen."

Was er damit genau meinte, blieb offen. Die Grünen haben zugestimmt, Georgien und Moldau auf die Liste der sicheren Herkunftsstaaten zu setzen. Doch eine Forderung der CDU, auch Tunesien, Marokko, Algerien und Indien als sicher anzusehen, lehnen sie ab.

Grüne als Sicherheitsrisiko

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai wirft ihnen vor, "in der Migrationspolitik ein Sicherheitsrisiko" zu sein. Unklar ist auch, wo sich alle Parteien, außer der AfD, einigen könnten, wenn schon die Bruchlinien innerhalb der Ampel zwischen Grünen und FDP verlaufen.

Dass die Ampel auch nicht unbedingt auf die Vorschläge der Union gewartet hat, zeigte sich bei der Neuauflage der "Obergrenze", die jetzt "Integrationsgrenze" heißt. Wie schon 2017 fordert die CSU nun, nur noch 200.000 Geflüchtete im Jahr aufzunehmen. Allerdings sind Grüne und SPD dagegen und verweisen, wie schon vor sechs Jahren darauf, dass dies nicht praktikabel sei.

An anderer Stelle bewegt sich Innenministerin Nancy Faeser (SPD) auf die Union zu. Sie prüft jetzt doch die Einführung stationärer Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien. Diese gibt es derzeit ja nur an der deutsch-österreichischen Grenze. Die Union will sie seit langem auch an anderen Grenzen.

Scholz bekannte sich bei einem Wahlkampfauftritt in Bayern zum Grundrecht auf Asyl. Er kündigte schnellere Abschiebungen an und forderte von Polen Aufklärung von Vorwürfen, wonach gegen Geldzahlungen massenhaft Schengen-Visa an Antragsteller in Afrika und Asien vergeben worden sind. "Ich möchte nicht, dass aus Polen einfach durchgewinkt wird", sagte er. Denn dann werde das Problem in Deutschland nur noch größer. (Birgit Baumann aus Berlin, 25.9.2023)