Peter Bofinger, Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre.
Ökonom Peter Bofinger lässt wenig Gutes am Vorhaben der EZB, den digitalen Euro einzuführen.
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"Hohe Kosten, hohes Risiko, geringer Nutzen" – es ist eine klare Ansage, die Peter Bofinger in Bezug auf den von der EZB geplanten digitalen Euro von sich gibt. Der deutsche Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre hat im Auftrag der WKO-Bundessparte Bank und Versicherung eine Studie erstellt, die den digitalen Euro beleuchten soll. Die Analyse lässt kein gutes Haar am Vorhaben der EZB.

Bofinger sieht den digitalen Euro als grundlegenden Eingriff in die derzeitige Ordnung der verfügbaren Zahlungsmittel. So ein Eingriff erfolge normalerweise dann, wenn es Annahmen über ein Marktversagen bisheriger Systeme gibt. Die EZB verneine dies als Grund aber. So stelle sich die Frage, warum es einen digitalen Euro überhaupt brauche. Denn mit dem digitalen Euro mische sich die EZB auch in einen Bereich ein, der bisher privatwirtschaftlich geregelt war.

3.000 Euro am EZB-Konto

Angedacht ist, dass Bürger im Euroraum ein Konto direkt bei der EZB einrichten können. Aktuell gilt für diese Konten eine Höchstgrenze der Einlage von 3.000 Euro. Welchen Vorteil das für die Bürger bringen soll, konnte die EZB laut Bofinger bisher nicht darlegen. Im Gegenteil: Der Ökonom sieht damit das Bankensystem geschwächt. Denn wenn die Mehrheit der Bankkunden 3.000 Euro zur EZB transferiert, könnte das die Banken in ihrer Funktion als Refinanzierer schwächen. Zudem seien Bankeinlagen bis 100.000 Euro ohnehin gesichert.

Hinzu komme, dass die EZB eine Gratis-Kontoführung garantieren will. Also werden die Kosten für die Errichtung der EZB-Konten an die Banken abgewälzt, die "ihre Konkurrenz damit auch noch finanzieren müssen", sagt der Ökonom. Wie hoch diese Kosten sein könnten, konnte Willibald Cernko, Chef der Erste Group und Obmann der WKO-Bankensparte, noch nicht beziffern.

Ebenso auf die Banken abgewälzt würden so die Kosten für den Aufbau der Infrastruktur und Transaktionen. Und all das in einem Umfeld, in dem jede Einschätzung über künftige Akzeptanz und Nutzung fehle. Der Vorteil dieses Parallelkontos sein nur schwer zu erkennen. "Das ist wie der Bau einer Autobahn, wo man heute noch nicht weiß, wer die später nutzen soll", fasst es Bofinger zusammen. Kontoinhaber müssten zudem aufpassen, dass sie ihr Bankkonto nicht mit Transfers auf das EZB-Konto überziehen. Denn das Geld, das bei der EZB liegt, liege dort unverzinst. Wird das normale Bankkonto überzogen, fallen aber sehr wohl Verzugszinsen an. Ebenso würde die Transaktion zwischen den beiden Konten Kosten verursachen.

Bargeld sichert Anonymität

Dem Argument, dass EZB-Geld anonyme digitale Zahlungen ermöglichen soll, kann Bofinger ebenfalls wenig abgewinnen. "Wer anonym bezahlen will, kann weiterhin jederzeit Bargeld verwenden." Die angedachte Obergrenze für EZB-Geld hält Bofinger hingegen für sinnvoll. Gäbe es diese verbindliche Obergrenze nicht, würden die Bürger wohl unbegrenzt Geld zur EZB transferieren – das würde die Banken in die Bredouille bringen. Auch die Möglichkeit eines digitalen Bank-Runs würde vereinfacht, wenn alles Geld zur EZB transferiert werden könnte. Einen Vorteil für die breite Bevölkerung sieht Bofinger in Summe dennoch nicht. Eher die Gefahr, dass viele mal ein Konto eröffnen, um zu sehen, wie das funktioniert. Und dann liege die Infrastruktur brach.

Billigere Alternative, Souveränität sichern

Die Frage, die Bofinger aber in den Raum stellt, ist, ob es denn nicht günstigere Alternativen gäbe. Etwa das System, das in der Schweiz verwendet werde. Dort gibt es die Bezahl-App Twint. Jeder Händler habe einen QR-Code, über den Kunden via Twint-App ihre Bank anweisen, Geld an den betreffenden Händler zu überweisen. Die Akzeptanz dieses Systems sei hoch, die Schweizer sprechen im Zusammenhang mit Bezahlen bereits vom "twinten". In Deutschland werde Giropay als Online-Zahlverfahren benutzt, in dem die deutschen Banken und Sparkassen zusammengeschlossen sind. Denn für die Souveränität eines Staates und der EU wäre ein eigenes System von Vorteil.

Derzeit sei der Zahlungsverkehr an US-Anbieter wie Mastercard, Visa oder Paypal ausgelagert. Die Ereignisse der vergangenen Monate hätten aber gezeigt, dass eine zu hohe Abhängigkeit in sensiblen Bereichen auch gefährlich sein könnte. Dass US-Unternehmen den europäischen Markt für Zahlungsverkehr beherrschen, sei jedenfalls zu überdenken. Es sei also sinnvoll, über ein System nachzudenken, das alle Europäer nutzen können und nicht nur jene im Euroraum.

Falsche Richtung

Noch einen Fall skizziert Bofinger: Trete ein Land aus der EU aus, würden das Bargeld und die Guthaben bei den Banken in die neue nationale Währung getauscht. Diese neue Währung könnte auch weniger wert sein als der Euro. Ein vorher eingebuchtes Guthaben bei der EZB bliebe aber im Wert bestehen. Würden das alle Bürger eines Landes ausnutzen, kämen die lokalen Banken unter Druck.

In Summe gehe der digitale Euro in die falsche Richtung, resümiert Bofinger. Zudem stelle die EZB die Fragen nach der tatsächlichen Nutzung nicht. Das Interesse wurde nicht ausgelotet, ein Use-Case nicht geschaffen. Nur die Möglichkeit der technischen Umsetzung zu prüfen, sei für so ein Vorhaben zu wenig. (Bettina Pfluger, 12.10.2023)