Unterschiedliche Getränke
Der Zuckergehalt ist in diversen Getränken sehr unterschiedlich – und für Konsumentinnen und Konsumenten nicht immer auf den ersten Blick erkennbar.
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Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt sie, und mehr als 100 Länder haben sie auch bereits umgesetzt: die Zuckersteuer auf gezuckerte Getränke. Das sei eine wichtige Stellschraube im Kampf gegen Übergewicht und Adipositas, argumentiert man vonseiten der WHO. Denn gerade Limonaden und andere Softdrinks seien für den Überkonsum von Zucker verantwortlich. Und durch diese Form der Prävention könnte man im Gesundheitswesen Milliarden bei der Nachsorge sparen, heißt es. Ist da etwas dran?

Forscherinnen und Forscher der TU München und der britischen Universität Liverpool haben nun berechnet, welche Auswirkungen eine solche Steuer in Deutschland hätte. Das Ergebnis: Mit einer Steuer auf Süßgetränke könnten in den nächsten zwanzig Jahren mehr als 100.000 Fälle von Typ-2-Diabetes verhindert und bis zu 16 Milliarden Euro an Gesundheits- und Sozialkosten eingespart werden, schreiben die Forschenden in der Fachzeitschrift "Plos Medicine".

Produkt oder Hersteller besteuern?

In jenen Ländern, die bereits eine derartige Steuer umgesetzt werden, kommen unterschiedliche Modelle zum Einsatz. Ansätze gibt es in der Praxis viele. Mexiko zum Beispiel besteuert seit 2014 gezuckerte Drinks mit einem Peso pro Liter. Das entspricht einer Steuer von etwa zehn Prozent. Damit werden die Produkte für die Konsumentinnen und Konsumenten teurer und weniger attraktiv.

In Großbritannien hingegen gibt es seit 2018 die sogenannte Soft Drinks Industry Levy. Das ist eine gestaffelte Steuer, die die Hersteller von zuckergesüßten Getränken zahlen müssen. Ab fünf Gramm Zucker pro 100 Milliliter müssen 18 Pence (umgerechnet 21 Cent) pro Liter gezahlt werden, ab acht Gramm Zucker 24 Pence. Die Einführung wurde zwei Jahre im Voraus angekündigt, sodass die Hersteller rechtzeitig den Zuckergehalt senken konnten – und dies auch umgesetzt haben.

In der aktuellen Studie modellierten die Forschenden unterschiedliche Versteuerungsszenarien. Dabei zeigte sich, dass die alleinige Besteuerung der Getränke den geringsten Effekt hätte. Damit würde die Bevölkerung in Deutschland im Durchschnitt ein Gramm weniger Zucker pro Tag konsumieren. Das würde mehr als 132.000 Fälle von Typ-2-Diabetes verhindern oder zumindest den Ausbruch der Krankheit hinauszögern. Und man würde 9,6 Milliarden Euro an Kosten sparen.

Am wirksamsten wäre die Besteuerung der Unternehmen. Dadurch würde sich der tägliche Zuckerkonsum um 2,3 Gramm reduzieren, und in der Folge würden 244.000 Fälle von Typ-2-Diabetes verhindert und 16 Milliarden Euro eingespart werden.

Effekt möglicherweise noch unterschätzt

Für Fachleute sind diese Ergebnisse im Grunde nicht überraschend. Wenngleich solch umfassende Daten wie jene der aktuellen Studie für Deutschland noch fehlten, war davon auszugehen, dass sich eine Zuckersteuer positiv auf die Gesundheit der Bevölkerung und die damit verbundenen Kosten auswirken würde.

Möglicherweise hätten die Autorinnen und Autoren der Studie den Nutzen sogar noch unterschätzt, glauben Fachleute. Das habe aber vor allem mit einem methodischen Problem der Studie zu tun. "Die Hauptgruppe der Konsumenten zuckergesüßter Getränke, nämlich Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, ist in dieser Analyse nicht enthalten", kritisiert etwa Hans Hauner, Direktor des Else-Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin an der Technischen Universität München.

In der Studie wird nur die Altersgruppe der 30- bis 90-Jährigen berücksichtigt. Das sei allerdings keine Kritik an den Forschenden, sondern an der schlechten Datenlage zur jungen Generation in Deutschland generell: Für junge Menschen gab es zu wenige Ausgangsdaten, die in der Modellstudie hätten berücksichtigt werden können. Dabei wären junge Menschen die Hauptzielgruppe für etwaige Präventionsmaßnahmen. "Ein weiterer wichtiger Punkt, der in dieser Publikation wenig adressiert wird, ist die Bedeutung des sozioökonomischen Status. Wie Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, sind die Effekte einer Zuckersteuer bei sozial schwachen Personen deutlich stärker ausgeprägt als bei Personen mit höherem Einkommen", berichtet Hauner.

Möglicher Ausweicheffekt

Dennoch sind sich Fachleute einig: Eine Zuckersteuer würde – in welcher Form auch immer – grundsätzlich Sinn machen. "Es gibt Evidenz aus Regionen, in denen eine Zuckersteuer eingeführt wurde, dass der Zuckerkonsum insgesamt durchaus sinkt. Es ist aber davon auszugehen, dass es Ausweichphänomene geben wird", sagt Hauner und meint damit, dass Konsumentinnen und Konsumenten statt zuckerhaltiger Getränke bei höheren Preisen dann zu anderen gesüßten Lebensmitteln als Ersatz greifen. Einen ähnlichen Effekt gibt es auch beim Thema Tabak, etwa dass manche Menschen auf E-Zigaretten umsteigen.

Michael Stolpe, Leiter des Projektbereichs Globale Gesundheitsökonomie am Institut für Weltwirtschaft in Kiel, teilt die Sorge über einen Ausweicheffekt. Er sagt: "Eine isolierte Besteuerung zuckerhaltiger Getränke könnte mittelfristig zu einem verstärkten Konsum zuckerhaltiger Snacks und anderer nichtflüssiger zuckerhaltiger Lebensmittel führen. Gewinnorientierte Unternehmen der Lebensmittelindustrie könnten zudem das Marketing solcher zuckerhaltiger Alternativen verstärken." Das könne mittel- bis langfristig dazu beitragen, dass der Pro-Kopf-Konsum von Zucker weniger stark sinkt oder es sogar eine Art Rebound-Effekt gibt.

Nichtsdestotrotz könnte eine Steuer "ein Puzzleteil bei der Bekämpfung von Übergewicht sein", ist Sarah Forberger überzeugt. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie. Aber eine solche Steuer sei nur ein Start, sagt sie. "Hoher Zuckerkonsum und Übergewicht sind zu komplex, um sie allein mit einer Besteuerung wirkungsvoll bekämpfen zu können. Es sollte daher ein holistischer Ansatz genutzt werden, der neben einer Besteuerung Werbeverbote, Aufklärung, aber auch Food-Labeling und Schulverpflegung berücksichtigt." (Magdalena Pötsch, 27.11.2023)