Frisches Geld für die Wissenschaft: 15 Forschende, die in Österreich tätig sind, wurden mit dem "Consolidator Grant" ausgezeichnet.
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Fünfzehn in Österreich tätige Forscher erhalten vom Europäischen Forschungsrat (ERC) einen "Consolidator Grant". Die mit rund zwei Mio. Euro (in bestimmten Fällen bis zu drei Mio. Euro) dotierte Auszeichnung fördert Wissenschafter mit sieben bis zwölf Jahren Erfahrung nach ihrem Doktorat bzw. PhD, die ihre eigene Gruppe aufbauen bzw. stärken wollen, um "ihre vielversprechendsten wissenschaftlichen Ideen" zu verfolgen, hieß es am Donnerstag seitens des ERC.

Aus 2.130 Bewerbern um einen "Consolidator Grant" sind laut Mitteilung insgesamt 308 Antragsteller für die Förderung ausgewählt worden. Insgesamt schüttet der ERC in dieser Vergabe-Runde 627 Mio. Euro aus. Die aus 43 Ländern stammenden Fördernehmer werden an Einrichtungen in 23, hauptsächlich EU-Staaten ihre Projekte realisieren. Laut ERC-Angaben sind 14 bewilligte Projekte an österreichischen Einrichtungen angesiedelt, hinzu kommt ein weiteres, bisher noch Großbritannien zugeordnetes Projekt durch eine Neubesetzung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Vier gehen an die Uni Wien

Vier der vom ERC bewilligten "Consolidator Grants" gehen an die Universität Wien: Caroline Berghammer vom Institut für Soziologie wird sich der Frage widmen, wie Familien heute Beruf und Familie im Kontext flexibler Arbeit kombinieren sowie welche sozialen Ungleichheiten mit flexibler Arbeit assoziiert sind. Das Thema soll auch in Europa ländervergleichend betrachtet werden, unter Berücksichtigung der verschiedenen institutionellen und kulturellen Kontexte.

Exoplaneten faszinieren den Mensch vor allem auch bei der Frage nach anderen habitablen Orten im Weltraum. Kristina Kislyakova, Astrophysikerin an der Uni Wien, wird mit ihrem Projekt die langfristige Evolution der Atmosphären und spektralen Fingerabdrücke von Erde, Venus und Mars erforschen, um letztlich auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Gesteinsplanet zu einem habitablen Planeten entwickelt, besser abschätzen zu können. Sie sucht nach der Kombination von Faktoren, die entscheidend für die Evolution erdähnlicher Planeten sind.

Meeresmikrobiologin Jillian Petersen von der Uni Wien wird sich einer in küstennahen marinen Ökosystemen weit verbreiteten Art von mikrobiellen Symbionten widmen, die für den Erhalt dieser Ökosysteme, darunter die für die Gesundheit der Meere wichtigen Seegraswiesen und Salzmarschen, zentral ist. Sie will die Biodiversität der Symbiontengruppe Sedimenticolaceae untersuchen, Theorien zu ihren ökologischen Funktionen prüfen sowie die Funktion solcher Symbiosen im Kontext der zunehmenden Meereserwärmung betrachten.

Zukunft der Meere

Die Zukunft der Meere ist auch Thema des ERC-Projektes von Alice Vadrot, Politikwissenschafterin an der Uni Wien: Die Europäische Kommission baut derzeit einen digitalen Zwilling des Ozeans (DTO), um Notwendigkeiten in Bezug auf Klimawandel und biologische Vielfalt ergänzend analysieren zu können. Vadrot wird die Entwicklung digitaler Zwillinge als (geo-) politisches Phänomen untersuchen und - auch beispielhaft - der Frage nachgehen, ob und wie digitale Zwillinge künftig zu einer gerechteren Ausgestaltung multilateraler Verhandlungen beitragen können.

Zwei Auszeichnungen gehen jeweils an die Technische Universität (TU) Wien, die Universität Graz sowie an die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW): Sozialanthropologin Judith Bovensiepen, zuvor an der University of Kent tätig und seit 1. September neue Direktorin des ÖAW-Instituts für Sozialanthropologie, wird sich in ihrem Projekt der Mensch-Umwelt-Beziehung widmen: Dabei stehen Animismus (Vorstellung von beseelter Natur) und Extraktivismus (Abbau und Export von Rohstoffen für Weltmarkt) in Südostasien im Fokus.

Kulturwissenschaftlerin Ariane Sadjed vom Institut für Iranistik der ÖAW wird in den nächsten fünf Jahren dem jüdischen Leben im persischen Raum nachgehen, wobei die Mehrheit der Juden und Jüdinnen diese Region ab Mitte des 20. Jahrhundert nach einer fast 3000-jährigen Geschichte verließ. Anhand von Familiengeschichten, Archivmaterial und Oral History will Sadjed die Kontakte innerhalb und außerhalb jüdischer Gemeinden im Alltag und die Vielschichtigkeit des Zusammenlebens von Juden und Muslimen im Iran, in Zentralasien und in Afghanistan analysieren.

Goldcluster als Katalysatoren

Noelia Barrabés vom Institut der Materialchemie der TU Wien befasst sich mit der Chiralität als eine besondere Moleküleigenschaft, bei der sich die in zwei Varianten auftretenden Moleküle wie Spiegelbilder zueinander verhalten. Die Forscherin nutzt Goldcluster als Katalysatoren, um eine Oberfläche mit Nanopartikeln herzustellen, die ganz bestimmte Chiralitäts-Eigenschaften haben und auch chemische Reaktionen an dieser Oberfläche gezielt beeinflussen können.

TU Wien-Kollege Michael Feischl vom Institut für Analysis und Scientific Computing wird im Rahmen seines ERC-Projektes untersuchen, wie man bei komplizierten Rechenaufgaben mit minimalem Computeraufwand maximale Genauigkeit erreicht. Im Fokus stehen dabei partielle Differentialgleichungen, die bei physikalischen Computersimulation im Bereich der Geophysik oder Astrophysik wie auch in der Finanzmathematik oder bei Machine Learning eine Rolle spielen.

Die in puncto Herstellung und Entsorgung für die Umwelt problematischen Kunstharze bzw. duroplastischen Kunststoffe stecken in vielen Alltagsgegenständen. Katalin Barta Weissert vom Institut für Chemie der Universität Graz will alternative Methoden zur Herstellung und zum Recycling von duroplastischen Kunststoffen aus nachwachsenden Rohstoffen entwickeln. Als Ausgangsmaterial dient dabei Biomasse aus Holz.

Historische Kommentare

Philologe Bernhard Bauer von der Uni Graz wird in seinem ERC-Projekt mit computergestützten Methoden sogenannte Glossen, von Gelehrten in historischen Handschriften hinterlassene Kommentare, analysieren, um den Einfluss der inselkeltischen Sprachen (das Altirische, Altbretonische und Altwalisische) auf das im Karolingerreich verwendete Lateinische zu erheben. Als Basis dienen Glossen zu den Werken zur Kalenderberechnung des englischen Gelehrten Beda Venerabilis (672-735 n. Chr.) und zur lateinischen Grammatik des Byzantiners Priscian (um 500 n. Chr.).

Silke Felber vom Institut für Kulturmanagement und Gender Studies der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw) interessiert sich für die Performativität von Gerüchen: "Sie wird die stigmatisierende und disziplinierende Wirkmacht von Gerüchen untersuchen und überprüfen, inwieweit olfaktorische Kunst in historisch gewachsene Stereotype eingreifen kann." Inwiefern mit Duft und Gestank interveniert werden kann, testet sie im Kontext von den darstellenden Künsten sowie im polizeilichen und militärischen Kontext von Crowd Control, heißt es seitens der mdw.

Der Einfluss der Epigenetik von Keimzellen auf das Leben steht im Zentrum des Interesses der Pflanzenforscherin Xiaoqi Feng vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg (NÖ). In ihrem ERC-Projekt wird sie Mechanismen und biologische Funktionen der Umprogrammierung von H3K27me3 in pflanzlichen Mikrosporen untersuchen - H3K27me3 ist dabei eine Modifikation eines Histon-Proteins und essenziell für die Entwicklungsregulierung.

Immunsystem und Metallurgie

Anna Obenauf vom Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) sucht im Rahmen ihrer Forschung Wege, das Immunsystem zur Krebsbekämpfung einzusetzen. Dazu untersucht sie alle Stadien der Tumorentwicklung während der Therapie, mit einem Schwerpunkt auf Tumoren, die mit einer KRASi-Therapie behandelt werden. KRAS-Inhibitoren fungieren dabei als spezielle Wirkstoffe.

Shotaro Otsuka, Forscher der MedUni Wien und Gruppenleiter an den Max Perutz Labs, will die interorganelle Kommunikation zwischen dem endoplasmatischen Retikulum (ER), einem verzweigten Kanalsystem innerhalb der Zelle, und dem Zellkern untersuchen. Im Rahmen seines Projektes möchte er mit einer Kombination neuer Untersuchungsmethoden die Struktur und Funktion der Membranverbindungen verstehen, die den Zellkern mit dem ER verbinden.

Das Recycling von Metallen und Legierungen ist der Forschungsfokus von Stefan Pogatscher vom Department für Metallurgie der Montanuniversität Leoben. Je reiner Metalle und Legierungen sind, desto besser sind ihre Eigenschaften. Die Wiedergewinnung von Legierungen aus Schrott ist aber aufgrund von Verunreinigungen schwierig. Bei Aluminium führen z.B. viele Elemente zur Bildung von spröden sogenannten "intermetallischen Phasen". Pogatscher will diese Art Recyclingprobleme lösen.