Bild eines von einem rötlichen Ring aus Licht umgebenen Schwarzen Loch
Wie ein Senfkorn in New York von Wien aus gesehen: Die Aufnahme des Schwarzen Lochs im Herzen von M87 war ein internationaler Kraftakt. Hier eine 2021 veröffentlichte Ansicht, die es in polarisiertem Licht zeigt,also auch elektromagnetische Wellen rund um den Schatten des Schwarzen Lochs einfängt.
EHT Collaboration

Es war eine Sensation, die weltweit die Titelseiten eroberte: Am 10. April 2019 wurde zum ersten Mal ein Bild präsentiert, das den Schatten eines Schwarzen Loches zeigt. Damit wurde eines der rätselhaftesten kosmischen Objekte sichtbar. Das Bild war das Produkt eines jahrzehntelangen Projekts, für das 300 Forschende zusammenarbeiteten. Federführend am Aufbau des Event-Horizon-Teleskops, das nach dem Schwarzen Loch im Zentrum der Galaxie M87 auch Sagittarius A* im Zentrum der Milchstraße aufnahm, war der deutsche Astronom Heino Falcke. Für seine Forschung wurde er im November in Bern mit dem Balzan-Preis in Höhe von 750.000 Schweizer Franken (derzeit rund 790.000 Euro) ausgezeichnet.

STANDARD: Wie sind Sie dazu gekommen, sich diese nahezu unmöglich anmutende Mission vorzunehmen, nämlich ein Schwarzes Loch abzubilden, das ja ein Sinnbild des Nichtsichtbaren schlechthin ist?

Falcke: Ich habe mich immer für die großen Fragen interessiert. In meiner Studienzeit war schon klar, dass Schwarze Löcher nicht nur Science-Fiction sind, aber niemand hatte je eines gesehen. Sie waren Kristallisationspunkt für eine neue Physik zwischen Quantenphysik und Relativitätstheorie – die wirklich großen Theorien unserer Welt, die eigentlich alles beschreiben, Raum, Zeit, Materie und Licht. Um 1995 herum kam die Idee für das Projekt, die vage Möglichkeit, den Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs beobachten zu können. Seitdem bin ich drangeblieben. Bis zur Realisation dauerte es gut 25 Jahre.

Porträt von Heino Falcke
"Schwarze Löcher beschreiben ebenso wie der Urknall eine fundamentale Grenze", sagt Heino Falcke, Astronophysiker und Balzan-Preisträger 2023.
Boris Breuer

STANDARD: Wie kam denn das Bild des Schwarzen Lochs im Herzen der Galaxie M87, 55 Millionen Lichtjahre entfernt, letztlich zustande?

Falcke: Wir können ein Schwarzes Loch nur aufgrund des Lichts sehen, das es verschluckt. Zum Glück erzeugen Schwarze Löcher ihr Licht selber – dadurch, dass Material hineinfällt und extrem heiß wird, was eine sehr energiereiche Strahlung erzeugt. Die Gravitation außerhalb des Schwarzen Lochs ist so unfasslich stark, dass Lichtbahnen abgebogen werden. Das heißt, das Licht fliegt sogar manchmal im Kreis darum herum, bis es in der Dunkelheit im Zentrum verschwindet. Weil es so weit weg ist, erscheint das Ganze jedoch nur so groß wie ein Senfkorn in New York von Wien aus gesehen. Also brauchten wir ein riesiges Teleskop: Das Event-Horizon-Teleskop ist ein Verbund aus damals acht Radioteleskopen an sechs Standorten rund um den Erdball. Jedes liefert eine eigene Perspektive, einen leicht anderen Winkel. Und daraus können wir am Computer ein Bild zusammensetzen, als ob man ein Teleskop hätte, das so groß ist wie die ganze Welt.

STANDARD: Abgesehen davon, dass es ein spektakuläres Ereignis war, ein Abbild zu bekommen – was kann die Astrophysik daraus lernen?

Falcke: Zum einen haben wir bewiesen, dass es supermassereiche Schwarze Löcher und einen Ereignishorizont wirklich gibt. Wir könnten mit der Methode aber auch andere, exotischere Theorien zu Schwarzen Löchern testen, das war vorher nicht möglich. Zum anderen lernen wir sehr viel über die Astrophysik Schwarzer Löcher. In ihnen wird unfassbar viel Energie erzeugt: Zehn Eimer Wasser in ein Schwarzes Loch gegossen, und man kann ganz Österreich mit Energie versorgen, so in der Größenordnung. In Schwarzen Löchern finden wir die höchsten Temperaturen und die höchsten Teilchenenergien im All, es gibt kräftige Magnetfelder, die Plasmastrahlen hinausschießen. Diese Physik können wir am Computer simulieren und mit den immer besseren Daten vergleichen.

Vergleich zweier Schwarzen Löcher
Die ersten beiden Bilder, die jemals von Schwarzen Löchern aufgenommen wurden: Links M87*, das supermassereiche schwarze Loch im Zentrum der Galaxie Messier 87 in 55 Millionen Lichtjahren Entfernung. Rechts das 27.000 Lichtjahre entfernte Sagittarius A* (Sgr A*), das schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße. Sie würden am Himmel etwa gleich groß erscheinen, obwohl M87* etwa tausendmal größer ist als Sgr A*.
EHT Collaboration

STANDARD: Ungeahnte Daten und tiefe Blicke ins All liefern auch Weltraumteleskope wie James Webb am laufenden Band. Was erwarten Sie sich davon für die Zukunft?

Falcke: Wir leben in einer goldenen Phase der Astronomie. Wir sehen heute Bilder, die niemand vor uns sehen durfte. Wir haben die Tür ins Universum nicht nur aufgestoßen, wir haben sie aufgerissen. Das ist ein Reichtum an Daten, der momentan kommt, den man erst einmal verarbeiten muss. Wir haben wahrscheinlich noch gar nicht begriffen, wie das unser Weltbild verändert hat. Vom Webb-Weltraumteleskop erwarte ich hauptsächlich, dass wir mehr erfahren über Exoplaneten, vielleicht sogar Biosignaturen entdecken. Wir werden auch mehr Erkenntnisse über die Entstehung der ersten Galaxien gewinnen und über die Energieerzeugung in Schwarzen Löchern.

"Schwarze Löcher sind wie ein wundersamer Raum voller Süßigkeiten für Physiker, der immer verschlossen ist. Du kommst nicht rein, du riechst es nur."

STANDARD: Sie wollen Weltraumteleskope auch einsetzen, um Schwarze Löcher besser zu vermessen.

Falcke: Momentan sehen wir nur sehr unscharf. Um einem Schwarzen Loch tatsächlich in den Rachen blicken zu können, brauchen wir ein Radioteleskop, das größer ist als die Erde. Die Technologie dafür gibt es bereits und wird in Zukunft auch genutzt werden. Aber auch optische Teleskope werden uns schärfere Blicke ermöglichen. Mit Raumfahrt werden wir möglicherweise unser Sonnensystem erobern, vielleicht über Generationen hinweg zum nächsten Stern fliegen. Aber den Rest des Universums werden wir nie erreichen, außer durch den Blick durch unsere Weltraumteleskope.

STANDARD: In einem nächsten Schritt wollen Sie Schwarze Löcher in Bewegung filmen. Was haben Sie vor?

Falcke: Unser Ziel ist vor allem das Zentrum der Milchstraße, wo sich das Gas innerhalb einer Viertelstunde um das Schwarze Loch herumbewegt, also fast mit Lichtgeschwindigkeit. Die Energie, die da erzeugt wird, das Plasma, das herausgeschleudert wird, all das passiert aufgrund dynamischer Prozesse. Wenn wir diese Prozesse genauer abbilden, können wir vieles daraus lernen, etwa ob wir tatsächlich aus der Rotation eines Schwarzen Lochs Energie extrahieren können, wie es theoretisch vorhergesagt ist.

Zooming in to the Heart of Messier 87
Zoom in das Herz von M87
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STANDARD: Ganz grundsätzlich: Was ist denn drin im Schwarzen Loch?

Falcke: Alles ist da drin. Aber alles wird sozusagen umgesetzt in reine Energie, eigentlich in reine, extrem hohe, ja fast unendliche Raumzeitkrümmung. Das kann man sich nicht wirklich vorstellen, es ist eine Form von Energie, die wir sonst nicht messen könnten. Es wird alles zerquetscht, und es bleiben nicht mal Atome übrig.

STANDARD: Von der kleinsten zur größten Dimension: Wo ist das Ende des Universums, und was ist dahinter?

Falcke: Es gibt ein Ende des sichtbaren Universums. Wir wissen nicht, wie groß es tatsächlich ist, aber es ist sicherlich endlich. Es hatte einen Anfang, und es wird auch irgendwann aufhören zu existieren. So wie wir geboren werden und sterben. Und da kommen wir dann zu den großen, auch theologischen Fragen: Wo kommt das Universum her? Wo gehen wir hin? Die Physik wirft diese Fragen auf, sie wird sie aber nicht selbst beantworten können.

STANDARD: Sie haben in einem Interview gesagt: "Gottlose Physik ist nicht möglich." Wie lässt sich Ihr Glaube mit Hard Science vereinbaren?

Falcke: Viele große Physiker, auf denen unsere heutigen Erkenntnisse basieren, waren tiefgläubige Menschen. George Lemaître, der Begründer der Urknalltheorie, war Priester und wurde sehr hart von Arthur Eddington, Albert Einstein und anderen attackiert, weil sie dachten, er will nur seinen Genesisglauben retten. Aber er hatte recht. Der Gedanke, dass Naturwissenschaft und Physik überhaupt nichts mit Glaube oder Theologie zu tun haben können, ist ein Unding der heutigen Zeit. Wenn ein Physiker, der natürlich die materiellen Dinge beschreibt, nicht darüber hinausdenkt, über die Bedeutung seiner Arbeit in einem philosophisch-theologischen Kontext nachdenkt, beschneidet er sich selbst. Ich glaube, in der akademischen Welt sollten wir es wieder schaffen, über Gott zu reden als Ursprung von allem, ganz entspannt und unabhängig von der Glaubensrichtung. Ich würde mir wünschen, dass sich Philosophen und Theologen auch wieder mehr an die Physik heranwagen und umgekehrt.

Portrait of a Shadow - a short film by Peter Galison
Kurzfilm “Portrait of a Shadow” von Peter Galison (2019)
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STANDARD: Schwarze Löcher haben auch etwas Mystisches an sich, da sie so schwer erklärbar und fassbar sind. Macht sie das so faszinierend?

Falcke: Ja, weil sie ebenso wie der Urknall eine fundamentale Grenze beschreiben. Die Physik in einem Schwarzen Loch ist gewissermaßen vergleichbar mit der des Urknalls. Bei beiden ist alles auf kleinstem Raum konzentriert. Bei Schwarzen Löchern ist zudem alles hinter einem Ereignishorizont abgeschlossen – wie ein wundersamer Raum voller Süßigkeiten für Physiker, der immer verschlossen ist. Du kommst nicht rein, du riechst es nur.

STANDARD: Und dieses Loch voller Süßigkeiten ist immerhin das Zentrum unserer Galaxie.

Falcke: In gewisser Weise ja, aber es ist eigentlich auch der Zentralfriedhof der Galaxie. Es markiert aber auf jeden Fall den zentralen Punkt unserer Milchstraße. Es dreht sich im wahrsten Sinne des Wortes alles um dieses Schwarze Loch. (Karin Krichmayr, 9.12.2023)