Nahe des Zentrums unserer Milchstraße ist eine merkwürdige dunkle Wolke zu Hause. Fachleute haben ihr die saloppe Bezeichnung "der Ziegel" (englisch "the Brick") verliehen, weil sie sich bisher als weitgehend undurchdringlich für optische Teleskope erwiesen hat. Sie ist sehr dicht und voller kalter Gase und gibt den Fachleute seit Jahrzehnten Rätsel auf: Warum bringt eine Wolke, die wie geschaffen scheint für eine produktive Sternenfabrik, so wenig neue Sterne hervor?

Ein mögliches, wenn auch nicht unbedingt erhellendes Puzzlestück haben nun Beobachtungen mit dem James-Webb-Teleskop (JWST) geliefert. Die im "Astrophysical Journal" präsentierten Ergebnisse decken nicht nur ein Paradoxon im Zentrum unserer Galaxie auf, sondern weisen womöglich auch auf die Notwendigkeit hin, etablierte Theorien zur Sternentstehung zu überdenken.

"The Brick" ist hier auf einer Aufnahme des Spitzer-Weltraumteleskops als Schatten vor dem Hintergrund der Emissionen von warmem Gas und Staub im mittleren Infrarotlicht zu sehen.
Foto: NASA, JPL-Caltech, and S.V Ramirez (NExSCI/Caltech)

Paradoxe Vorgänge

Dank der überragenden Fähigkeiten des JWST ist es einem Team um Adam Ginsburg von der University of Florida gelungen, im Nahinfrarotbereich des Lichtspektrums einen Blick ins Innere des "Ziegels" zu werfen. Ihre Untersuchungen lieferten eine veritable Überraschung: Die Wissenschafter entdeckten in der finsteren Wolke eine beträchtliche Menge an gefrorenem Kohlenmonoxid (CO), deutlich mehr, als man bisher dort vermutet hatte.

Sterne entstehen typischerweise in kühlen Gaswolken. Das reiche Vorkommen von CO-Eis sollte also eher auf ein "fruchtbares" Sternentstehungsgebiet hinweisen – doch davon ist im "Ziegel" kaum etwas zu bemerken. Der Grund könnte sein, dass das Gas im Inneren der Wolke wärmer erscheint als in vergleichbaren Wolken, wie Ginsburgs Team nun festgestellt hat. Völlig sternenleer ist die Region zwar nicht, doch mit einer stellaren Bevölkerung von rund 56.000 Sternen ist der "Ziegel" für eine Molekülwolke mit einer Masse von 60 Millionen Sonnen vergleichsweise dünn besiedelt.

Die dunkle Wolke "the Brick" auf einem Infrarotbild des James Webb Space Telescope (JWST). Die Forscher entdeckten dort mithilfe des JWST eine überraschende Menge an Kohlenmonoxideis und vergleichsweise warmes Gas. Ob dies mit der geringen Sternentstehungsrate in Zusammenhang steht, ist unklar.
Grafik/Aufnahmen: Ginsburg et al., arXiv 2023

Weit verbreitetes Eis

Bislang war die Beobachtung von CO in der Wolke auf die Emission von Gas beschränkt. Um die Verteilung von CO-Eis in dieser riesigen Wolke zu enthüllen, nutzten die Forscher das Gegenlicht von Sternen und heißem Gas – etwas, das in dieser Form bisher nicht möglich war. "Unsere Beobachtungen zeigen, dass dieses Eis dort sehr weit verbreitet sein muss", sagte Ginsburg. In welchem Zusammenhang es mit der stellaren Armut der Wolke steht, bleibt allerdings unklar. Das Team hofft auf Hinweise durch weitere Beobachtungen mit dem JWST.

"Wir kennen zum Beispiel noch nicht die relativen Mengen von CO, Wasser, CO2 und komplexen Molekülen", so Ginsburg. "Mit der Spektroskopie können wir diese messen und ein Gefühl dafür bekommen, wie sich die Chemie in diesen Wolken im Laufe der Zeit entwickelt." (tberg, red, 5.12.2023)