Die Bundestagsabgeordnete Nina Stahr spricht im Bundestag.
Die Bundestagsabgeordnete Nina Stahr ist bereit, am Mittwochabend als Parteivorsitzende für die Berliner Grünen zu kandidieren. Zunächst hatte es Tanja Prinz versucht, war aber durchgefallen.
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Selbst in den Reihen der Berliner Grünen gibt es nichts zu beschönigen. "Das ist krass", sagt Bettina Jarasch, die frühere Verkehrssenatorin. Von einem "Debakel" spricht die Bundestagsabgeordnete und ehemalige Agrarministerin Renate Künast.

Die beiden beschreiben einen bis dato einmaligen Vorgang des Landesverbands der Berliner Grünen vom Wochenende. Da traf sich die Basis, um eine neue Doppelspitze zu wählen. Wie bei den Grünen üblich sollten es ein Mann und eine Frau sein, eine Person sollte die Realos vertreten, die andere den eher linken Flügel.

Für die Linken wollte wieder Philom Ghirmai antreten, für die Realos ging Tanja Prinz ins Rennen. "Ich will mit euch zusammen die Koalition des Stillstands beenden, wir wollen das Kapitel Schwarz-Rot in Berlin schnellstmöglich beenden", rief sie den Delegieren zu. In der deutschen Hauptstadt regiert ja seit dem Frühjahr eine schwarz-rote Koalition unter Führung von Bürgermeister Kai Wegner (CDU). Zuvor hatten SPD, Grüne und Linke die Regierung gebildet.

Nur 28 Prozent Zustimmung

Doch die 44-jährige Prinz aus dem Kreisverband Tempelhof-Schöneberg fiel bei der Wahl, obgleich ohne Gegenkandidatin, dreimal durch. Die "höchste" Zustimmung lag nur bei 28 Prozent. Daraufhin gab Prinz auf und verließ unter Tränen den Saal, der Parteitag wurde abgebrochen.

Gänzlich überraschend war diese Blamage nicht gekommen. Denn Prinz wird von einer Gruppe Realos aus dem Bezirk Mitte unterstützt, die sich "GR@M" (Grüne Real @ Mitte) nennt. Diese wollen im eher linken Berliner Landesverband eine deutlich bürgerliche Politik machen. "Weniger Kreuzberg, mehr Kretschmann", sagt man über sie. Will also heißen: Nicht so links wie der Bezirk Kreuzberg will man sein, sondern eher wie Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der seit zwölf Jahren mit der CDU regiert.

Das äußerst selbstbewusste Auftreten dieser Gruppe gefällt aber vielen Grünen in Berlin nicht. Neun von zwölf Kreisvorständen haben einen Brief verfasst, in dem sie den Realos aus Mitte vorwerfen, Mitglieder der Partei "psychisch unter Druck" zu setzen, das stehe "im Gegensatz zu den Werten, die wir als Bündnisgrüne hochhalten". Zu den Unterzeichnenden gehörte auch Prinz' eigener Kreisverband.

Protestbrief aus den Bezirken

Nach dem Debakel auf dem Parteitag meinten viele, man hätte aus dem Schreiben auch eine Warnung an Prinz herauslesen können. Denn darin stand: "Die nächste Wahl des Landesvorstands ist ein wichtiger Wegpunkt für die Partei. Sie stellt die Weichen für eine starke grüne Politik für Berlin. Wir appellieren an alle, sich dieser Verantwortung bewusst zu sein, denn wir sorgen uns, dass die aggressive und unversöhnliche Art von GR@M die Handlungsfähigkeit unserer Partei gefährdet, und das in einer Zeit, in der starke grüne Politik angesichts der vielen Krisen umso wichtiger ist."

Nach dem Abbruch des Parteitags folgte die hektische Suche nach einer neuen Kandidatin. Doch es fand sich niemand, der alle Kriterien erfüllte. Denn die Berliner Grünen achten auf die Trennung von Amt und Mandat. Das bedeutet: Wer Abgeordneter ist, kann kein Parteiamt übernehmen. Doch angesichts der Notlage wird dieser Grundsatz nun über Bord geworfen.

Am Mittwochabend wird das Parteitreffen fortgesetzt. Es kandidiert dann für den Realo-Posten die grüne Bundestagsabgeordnete Nina Stahr, die schon von 2016 bis 2021 Chefin der Berliner Grünen war. Sie wird die Partei zunächst aber nur bis zum nächsten Parteitag im Frühjahr führen.

Die Wahl könnte diesmal klappen. Denn Werner Graf, der einflussreiche Fraktionschef der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, der zum linken Flügel gehört, sagt über die Reala Stahr: "Nina ist die Vorsitzende, die wir jetzt brauchen." Er sei zwar auch ein "Anhänger der Trennung von Amt und Mandat", man müsse aber einen "Übergang ermöglichen". Und Renate Künast hat noch einen Rat an die ganze Partei. Man müsse sich fragen: "Wie gehen wir intern miteinander um?" Denn, so Künast: "Wir haben ein Problem." (Birgit Baumann aus Berlin, 12.12.2023)