Spektakuläre Aufnahme von roten Sprites über einer Gewitterwolke in der südöstlichen Ägäis.
Foto: Nasa/Thanasis Papathanasiou

1551 hat der oberste Jägermeister von Niederösterreich, ein gewisser Erasmus von Liechtenstein zu Karnaydt, den Bürgern von Wien acht Hirschgeweihe übergeben. Erasmus bekam dafür "ein Dreyling guten Most in drein Vaslein", und die Geweihe wurden an den höchsten Ecken des Stephansdoms angebracht. Ihr magischer Zweck war es, der Domkirche zu St. Stephan und allen Heiligen gegen "Einschlagung des wilden Feuers und Donners dienstlich sein".

Immer noch rätselhaft

Was damals noch mit okkulten Kräften in Verbindung gebracht wurde, ist mittlerweile ein vielbeforschtes Thema der Physik. Trotzdem ist die elektrisierende Naturgewalt bis heute von vielen ungelösten Rätseln umrankt. Aufnahmen von Blitzen offenbaren immerhin inzwischen viele Details, die dem bloßem Auge früher entgangen sind. So zeigten Fotos etwa, dass einem Blitz normalerweise vier bis fünf schwächere "Vorblitze", sogenannte Leader, vorausgehen. Diese sind verzweigt und verlaufen auf unregelmäßigen Wegen zur Erde. Der erste dieser Leader, der den Boden erreicht, leitet den eigentlichen Blitzschlag ein.

An der Oberseite von Gewitterwolken wiederum, dort, wo die Atmosphäre bereits sehr dünn und die Grenze zum Weltraum nicht mehr fern ist, tauchen auf den Fotos manchmal für kurze Momente völlig andersartige Blitzstrukturen auf. Diese schillernden, flüchtigen roten Koboldblitze, im Englischen "sprites" genannt, werden in die Transient Luminous Events (TLEs) eingereiht, eine Gruppe von elektrischen Entladungsphänomenen der oberen Atmosphäre, denen einige Merkmale der vertrauten troposphärischen Blitze fehlen. Die feinen Linien und Blitzbüschel der Sprites sind der Gewitterforschung erst in den letzten Jahrzehnten aufgefallen.

Grüne Geister

2019 wurde ein neues, noch schwerer fassbares TLE-Phänomen beobachtet, auf das sich die Fachwelt zunächst keinen Reim machen konnte: Am oberen Rand einiger weniger Sprites kommt es zu einem kaum wahrnehmbaren grünlichen Schimmern, das einige Hundert Millisekunden nachglüht. Mittlerweile wurden diese "ghosts" getauften Erscheinungen bereits mehrfach gesichtet, im Schnitt eines von rund 100 Sprites wird von solchen grünen Geistern begleitet.

Nun ist es einem Team um María Passas Varo vom astrophysikalischen Institut Andalusiens gelungen, mit Infrarotkameras und einem speziell auf die Beobachtung von Sprites ausgelegten Spektrografen am Observatorium von Castellgali bei Barcelona solche Ghosts gleichsam einzufangen. Mehr noch: Die Beobachtungen halfen dabei, das Geheimnis hinter den grünen Lichtphänomenen zu lüften. Eine Rolle spielt dabei vor allem der Ort, an dem sie auftauchen: die Mesosphäre.

Die Mesosphäre liegt über der Stratosphäre, beginnt in einer Höhe von rund 50 Kilometern und endet rund 90 Kilometer über der Erdoberfläche. Nicht weit darüber liegt die Kármán-Linie, die die Luftfahrt von Raumfahrt scheidet. Die große Höhe macht es der Forschung schwer, die Mesosphäre genau zu untersuchen. Für Flugzeuge liegt diese Zone zu hoch, für Satelliten zu niedrig.

Das zusammengesetzte Bild zeigt einen Kobold bzw. Sprite in rot. Oberhalb der gelben Linie tauchten für kurze Momente die "grünen Geister" auf, die hier nicht erkennbar sind.
Foto: Passas-Varo et al./ Nature Communications

Fenster in die Mesosphäre

Sprites sind daher ein willkommenes Fenster, durch das Wissenschafter einen Blick in die Mesosphäre werfen können. Sie sind zwar sehr kurzlebige Erscheinungen, aber aufgrund ihrer auffälligen rötlichen Helligkeit nicht allzu schwer zu beobachten. Die zarten Ghosts dagegen lassen sich nur sehr schwer einfangen. Passas Varo und ihre Kolleginnen und Kollegen haben mehr als vier Jahre damit verbracht, Daten über etwa 2.000 Sprites zu sammeln. Nur in einem Fall sind dem Team scharfe Aufnahmen des grünen Schimmers über einem Sprite gelungen.

Das Phänomen ereignete sich am 21. September 2019 über dem Mittelmeer. Die Beobachtungen an diesem Abend lieferten letztlich jene Erkenntnisse, die zur Lösung des Geisterrätsels führten: Die Gruppe um Passas Varo untersuchte die Geistererscheinung mit hochauflösenden spektroskopischen Mitteln, mit denen das Licht in eine Vielzahl einzelner Wellenlängen aufgespalten wurde.

Überraschendes Spektrum

Das nun im Fachjournal "Nature Communications" präsentierte Ergebnis ist eine Art Strichcode der Wellenlängen, die in dem mesosphärischen Geisterlicht entdeckt wurden. Da man weiß, welche Atome und Ionen in welchen Wellenlängen des Lichts leuchten, konnten Passas Varo und ihr Team ihren "grünen Strichcode" in eine Liste der an dem Phänomen beteiligten chemischen Substanzen übersetzen.

Eigentlich hätten die Forschenden erwartet, atomaren Sauerstoff zu finden, der auch für die grünen Anteile der Polarlichter verantwortlich ist. Doch zur allgemeinen Überraschung war dem nicht so. Tatsächlich entdeckten sie nämlich Emissionen von Metallen, konkret von atomarem Eisen und Nickel, die den Geistern ihre grüne Farbe zu verleihen scheinen.

Zeitrafferaufnahmen von herkömmlichen troposphärischen Blitzen und einigen sehenswerten Sprites (ab Minute 2 des Videos).
Paul M Smith (Spritechaser.com)

Verräterische Metalle

Die Quelle dieser Metalle ist allerdings nicht die Erde – sie prasseln vielmehr in einem steten Regen mikroskopisch kleiner interplanetarischer Staubpartikel aus dem All auf die äußersten Schichten der Atmosphäre nieder. Bisher war angenommen worden, dass sich ein Großteil dieses Metalls in etwas größeren Höhen aufhält als jener, in der die Ghosts auftreten.

Wie kommt das Metall also in diesen Teil der Mesosphäre? Passas Varo vermutet, dass eine massive Welle in der Atmosphäre, eine sogenannte Schwerkraftwelle, die metallbeladene Luftschicht tief genug gedrückt haben könnte, um das Leuchten der Geister zu beeinflussen. Das könnte auch erklären, warum mesosphärische Geister viel seltener sind als herkömmliche Sprites: Sie benötigen Metalle, die nicht immer vorhanden sind. (Thomas Bergmayr, 13.12.2023)