Dass Albert Einstein ein schlechter Mathematiker gewesen sei, ist eine hübsche Legende, die allerdings auf einem Übersetzungsfehler beruht. Einstein hatte als Schüler gute Noten in Mathematik, nur seine Französischkenntnisse und sein Betragen waren unbefriedigend.

Richtig ist allerdings, dass sein Hauptwerk, die allgemeine Relativitätstheorie, im Gegensatz zu ihrer "speziellen" Variante, mathematisch so schwierig war, dass es ihm alles abverlangte. Die Arbeit daran zog sich derart lange hin, dass der große Mathematiker David Hilbert ihm beinah zuvorgekommen wäre. Die beiden standen im Austausch, und Hilbert präsentierte wenige Tage vor Einstein in einem Vortrag einen Entwurf der allgemeinen Relativitätstheorie, der die wesentlichen Punkte enthielt. Es dauerte eine ganze Weile, bis Einstein und Hilbert bereit waren, sich wieder zu versöhnen.

Eine lächelnde Frau mit Brille.
Yvonne Choquet-Bruhat bei einem Kongress in Berkeley im Jahr 1974.
George M. Bergman, Berkeley (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/de/deed.en)

Einstein legte 1915 Gleichungen vor, die wir heute als korrekte Beschreibung von Raum und Zeit kennen. Darin lässt sich die Schwerkraft allein als Krümmung der Raumzeit verstehen. Doch die Suche nach konkreten Lösungen gestaltete sich äußerst schwierig. Offensichtlich war, dass ein ebenmäßiger, leerer Raum möglich war, der Minkowskiraum genannt wird. Außerdem fand Karl Schwarzschild bald eine Lösung, die das Schwerefeld eines Sterns beschrieb. Alles darüber hinaus war aber ein Tappen im Dunkeln. Es fehlte weniger an physikalischem, denn an mathematischem Verständnis. Diesen Zustand zu beenden kam der französischen Mathematikerin und Physikerin Yvonne Choquet-Bruhat zu.

Jugend im besetzten Frankreich

Yvonne Bruhat wurde am 29. Dezember 1923 im französischen Lille geboren. Die Tochter eines Physikers und einer Philosophin ging in Paris zur Schule und fiel bei nationalen Schülerwettbewerben auf, wo sie in Physik brillierte. Damals war Frankreich bereits unter der Herrschaft der Nationalsozialisten. Ihr Vater Georges Bruhat, stellvertretender Leiter der Hochschule École Normale Supérieure, machte unter der neuen Regierung sogar Karriere, als er 1941 die Position aufgrund der Rassengesetze abgesetzten Leiters der Abteilung für Physik beerbte. Yvonne inskribierte an der École Normale Supérieure de Jeunes Filles, einer Partneruniversität.

Bald bekam auch die Familie Bruhat die Folgen der Besatzung zu spüren. 1944 durchsuchte die Gestapo den Sitz der École Normale Supérieure an der Rue d'Ulm, nachdem ein Student verhaftet worden war. Der Mathematiker Roger Apéry, der in seinem Zimmer Dokumente gefälscht hatte, verbrannte daraufhin alle Hinweise. Die Aschereste wurden allerdings entdeckt. Die Gestapo verhaftete Yvonnes Mutter Berthe Bruhat und die Frau von Jean Baillou, dem Leiter der École Normale Supérieure, um sie später im Tausch für ihre Ehemänner freizulassen.

Als Georges Bruhat sich weigerte, mit der Gestapo zu kooperieren, wurde er deportiert. Er starb 1944 im Konzentrationslager Sachsenhausen. Im Eindruck dieser Ereignisse schloss Yvonne ihre Ausbildung im Jahr 1946 ab und veröffentlichte 1948 erste wissenschaftliche Arbeiten. Zwei Jahre später, im Alter von 26 Jahren, gelang ihr der große Wurf.

Die Raumzeit als Saite

Der Mathematiker Michael Eichmair von der Universität Wien betont, wie schwierig die Lage in der allgemeinen Relativitätstheorie vor Bruhats Durchbruch war. "Anfangs hat man nur mit Störungen des Minkowskiraums gearbeitet", erklärt Eichmair. Man starte mit einer bekannten Lösung und überlege sich, wie Störungen aussehen können, damit die Einstein-Gleichungen erfüllt bleiben. "So hat Einstein gearbeitet", berichtet der Mathematiker. Ob das im Einzelfall funktioniere, sei aber niemals sicher. Andere Lösungen wurden nicht gefunden. "Man ist sehr lange auf dem Trockenen gesessen", erzählt Eichmair.

Choquet-Bruhat, die gerade geheiratet hatte und fortan Fourès-Bruhat hieß, habe eine Möglichkeit aufgezeigt, die für andere Wellengleichungen bekannt ist. Die Situation lässt sich mit dem Anzupfen einer Saite vergleichen. Dabei wird die Saite bewegt und schließlich losgelassen. Vom Moment des Loslassens an bis zum Abklingen wird die Bewegung der Saite durch eine Wellengleichung beschrieben.

Umgelegt auf die Relativitätstheorie bedeutet das, eine bestimmte Form des Raums, genauer gesagt einen Schnitt durch den Raum, den man sich als Momentaufnahme wie die Saite vor dem Loslassen vorstellen kann, als Ausgangspunkt zu nehmen und dann sein "Nachklingen" zu verfolgen. Eichmair spricht davon, mit dem Schnitt durch die Raumzeit quasi die Startlinie für ein Rennen festzulegen, sofern der Schnitt bestimmte Kriterien erfüllt. "Yvonne Choquet-Bruhat hat gezeigt, dass es eine Raumzeit gibt, die die Einsteinschen Feldgleichungen erfüllt, in der dieser Schnitt enthalten ist."

Es gibt nur eine mögliche Zukunft

Ein weiteres Detail ist laut Eichmair wichtig: "Sie zeigte, dass es eine eindeutige Lösung gibt." Das unterscheidet die Relativitätstheorie von der Quantenphysik, in der ein Zufallselement existiert, sodass die Zukunft aus Sicht der Theorie nicht immer aus der Vergangenheit allein bestimmt wird. Die allgemeine Relativitätstheorie ist deterministisch. Eichmair formuliert es so: "Das Anfangswertproblem ist wohlgestellt. Wenn Sie also einen Schnitt durch die Raumzeit kennen, wissen Sie alles."

Die Forscherin selbst sagt über die Motivation für diese Arbeit, dass sie es für die Relativitätstheorie wichtig fand, "unter möglichst wenigen Annahmen ein einfach zu verwendendes Existenztheorem zu finden, das es ermöglicht, Eigenschaften der Lösungen zu entdecken, die mit den klassischen Eigenschaften von Lichtwellen und Gravitationspotenzialen verglichen werden können".

Choquet-Bruhat habe noch viele andere spektakuläre Ergebnisse für die Physik liefern können, sagt Eichmair. Über 240 wissenschaftliche Publikationen sind es in Summe. Ihre Arbeit zum Anfangswertproblem sei aber ihre wichtigste.

Ein alter Albert Einstein in einem Sessel, umgeben von Bücherregalen.
Albert Einstein in seinem Büro in Princeton.
Alan Richards / Camera Press / p

Als sie nach Princeton zog, hatte sie Gelegenheit, sich mit Einstein darüber auszutauschen. In ihrer Autobiografie erzählt sie, dass Einstein dort recht zurückgezogen lebte, sie aber auf Empfehlung eines Freundes empfing. Sie trug in Einsteins Büro ihre Arbeit auf dessen Tafel vor, woraufhin der Physiker ihr gratulierte und sie einlud, ihn jederzeit zu besuchen.

Die allgemeine Relativitätstheorie habe sich damals in einer Art Dornröschenschlaf befunden, erzählt sie. Das Physikseminar in Princeton wurde zu diesem Zeitpunkt von Robert Oppenheimer geleitet, der sich mehr für Quantenphysik interessierte. Einstein hingegen arbeitete an einer umfassenden "Theorie von allem". Choquet-Bruhat arbeitete ein wenig an Einsteins Entwurf, verlor aber das Interesse. Einstein sei nicht beleidigt gewesen und habe seine gütige Art beibehalten. Das Versagen seiner Versuche habe ihn nicht besonders belastet, schreibt sie.

Das Zeug zur Spitzenforscherin

Choquet-Bruhat betont die Rolle ihrer Eltern für ihre erfolgreiche Karriere, insbesondere die ihres Vaters, der ihr die Liebe zur Physik gegeben habe und ihr mit seiner Güte und seinen Erklärungen zur Seite gestanden sei, anfangs persönlich, nach seinem Tod in Form seiner Bücher. Sie deutet aber auch an, dass ihr Verhältnis nicht frei von Konflikten war. Er habe sie überbehütet und habe nicht geglaubt, dass sie eine bekannte Wissenschafterin werden könne. "Er dachte, ich würde eine gute Hausfrau und Gymnasiallehrerin werden", schreibt sie.

Heute blickt sie auf eine große Wissenschaftskarriere zurück. Zu ihrem runden Geburtstag wurden zahlreiche Feierlichkeiten abgehalten, unter anderem am Institut des Hautes Études Scientifiques bei Paris, wo Eichmair als Festredner vor Ort war, und am Erwin-Schrödinger-Institut ESI der Universität Wien.

Ein Vortrag von Yvonne Choquet-Bruhat für die französische Akademie der Wissenschaften.
Académie des sciences

Späte Bestätigung

Vor einigen Jahren erlebte die Trägerin der höchsten Auszeichnungen der französischen Nation und zahlreicher Wissenschaftspreise eine späte Bestätigung ihrer Arbeit. Die Möglichkeit von Gravitationswellen war zwar von Einstein erstmals vorhergesagt worden, doch ein echter Beweis im theoretischen Rahmen fehlte. "Der rigorose Beweis der Möglichkeit der Existenz von Gravitationswellen auf Basis der Feldgleichungen wurde, einer Heuristik Einsteins aus dem Jahr 1916 folgend, von Yvonne Choquet-Bruhat erbracht", sagt Michael Eichmair.

Choquet-Bruhat, die seit 1992 im Ruhestand ist, schreibt zum erstmaligen experimentellen Nachweis von Gravitationswellen 2015, dass sie die Forschungen nicht mehr im Detail verfolge, aber dass ihr der Wirbel um die Entdeckung natürlich nicht entgangen sei. "Gravitationswellen werden, im Gegensatz zu elektromagnetischen Wellen, nicht von Hindernissen gestoppt und sollten uns neue Informationen über das Universum geben können", schreibt sie. Was das für die Zukunft bedeute, vermöge sie nicht zu sagen. Niemand könne das. (Reinhard Kleindl, 29.12.2023)