Getreideernte
Getreideernte.
APA/HELMUT FOHRINGER

Wien/Graz/Innsbruck – Die Hagelversicherung hat für 2023 Bilanz gezogen und berichtet dabei von einer massiven Zunahme der Schäden in der österreichischen Landwirtschaft aufgrund der Erderwärmung. Der Gesamtschaden im Agrarbereich aufgrund von Frost, Hagel, Sturm, Überschwemmung und vor allem Dürre beläuft sich demnach auf 250 Millionen Euro. Denn allein Schäden in der Höhe von 170 Millionen Euro sind auf extreme Trockenheit zurückzuführen. 2022 hatten sich alle Schäden zusammen auf 170 Millionen Euro summiert.

Das Jahr 2023 geht in Österreich gemeinsam mit dem Jahr 2018 als das wärmste Jahr in die 256-jährige Messgeschichte ein, hieß es in der Aussendung der Spezialversicherung am Freitag. "Die Konsequenzen der Erderwärmung durch die steigende Treibhausgaskonzentration sind fatal und treffen vor allem die Landwirtschaft mit ihrer Werkstatt unter freiem Himmel", so Vorstandschef Kurt Weinberger. "Die rekordbrechenden Temperaturen werden in Zukunft keine Ausnahme mehr darstellen, sondern zur Normalität werden, wenn wir die Erderwärmung nicht in den Griff bekommen. Die Folgen des Klimawandels in Form der zunehmenden Naturkatastrophen führen zu großen ökologischen, wirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Schäden. Es braucht daher rasch ein gesellschaftspolitisches Umdenken."

Die erste Jahreshälfte sei für die heimische Landwirtschaft sehr herausfordernd gewesen. Einem verfrühten Vegetationsbeginn durch einen milden März folgte ein relativ kühler April. Die Folge des Temperatursturzes Anfang April waren schwere Frostschäden an Obstkulturen in der Höhe von 35 Millionen Euro, insbesondere in der Steiermark. Sehr niederschlagsintensive Wochen, vor allem im Osten und Süden Österreichs, führten sowohl im April als auch im Juli zu schweren Überschwemmungen. Ebenso kam es zu Hagel- und Sturmschäden an landwirtschaftlichen Kulturen. In Summe entstand durch diese Wetterextreme ein Schaden von 45 Millionen Euro an landwirtschaftlichen Kulturen.

Extreme Dürre im Sommer

Das dominierende Thema war aber in den Sommermonaten die extreme Dürre, vor allem im Norden und Westen Österreichs. So folgten dem siebentwärmsten Sommer der Messgeschichte der heißeste September und Oktober seit Beginn der Aufzeichnungen. In Summe entstand durch den fehlenden Niederschlag und durch eine Vielzahl an Tagen mit Temperaturen jenseits der 30 Grad Celsius ein Dürreschaden von 170 Millionen Euro, unter anderem an Maiskulturen und dem Grünland. Der November war einer der fünf niederschlagsreichsten November der Messgeschichte, im Dezember war vor allem der Sturm das dominierende Thema.

Neben der Notwendigkeit des Ausbaus erneuerbarer Energien verwies Weinberger einmal mehr auf sein Leibthema schlechthin – den Bodenverbrauch, der endlich in den Griff bekommen werden müsse. Dabei handle es sich um "das größte hausgemachte Umweltproblem" Österreichs. "Mehr als elf Hektar Äcker und Wiesen werden täglich durch Verbauung zerstört. Durch diese grob fahrlässige Umweltzerstörung werden nicht nur die heimische Lebensmittelversorgung und das Leben von Menschen, Tieren und Pflanzen gefährdet. Außerdem nehmen dadurch Überschwemmungsschäden massiv zu, da Wasser bei Starkniederschlägen nicht versickern kann." Letztlich sei Bodenschutz durch die CO2-Speicherung auch Klimaschutz und "daher für uns alle überlebenswichtig", so der Hagelversicherungschef.

Bericht zeigt massiven Rückgang von Eis und Schnee

Der Klimawandel führt auch zu einem massiven Rückgang der Kryosphäre in Österreich. Unter diesem Begriff werden Gletscher, Schneebedeckung, Permafrost und Eisbedeckung von Seen zusammengefasst. Wie aus dem ersten, kürzlich veröffentlichten Kryosphären-Monitoring-Bericht ("KryoMon.AT") hervorgeht, war 2021/22 von einer besonders geringen Schneedecke, einem extremen Gletscherrückgang, auftauenden Permafrostböden und einer geringen Dauer der Eisbedeckung von Seen geprägt.

Die Kryosphäre habe große Bedeutung für Österreich, ihre Komponenten seien "Grundlage für den Tourismus, Ursache von Naturgefahren wie Lawinen oder Einflussgröße auf Ökologie und Landwirtschaft", heißt es in dem von der Uni Graz veröffentlichten Bericht. Dieser stellt auf Basis der Arbeit einer Vielzahl von Forschergruppen in Österreich und Deutschland erstmals in einer Zusammenschau die klimabedingten Veränderungen der Kryosphäre in Österreich vor.

Die anhand der Messungen belegten markanten Veränderungen der Kryosphäre würden die enorme Temperaturzunahme in den Alpen seit circa 1980 widerspiegeln. So verweist der Bericht auf die Durchschnittstemperatur von 8,1 Grad Celsius im Jahr 2022 in Österreich, das damit das zweitwärmste Jahr in der bis 1767 zurückreichenden Messgeschichte gewesen sei.

"Negativster jemals gemessener Wert"

Seit Jahrzehnten gut dokumentiert ist die Entwicklung der heimischen Gletscher. Wie sehr ihnen der Klimawandel zusetzt, zeigt sich einmal mehr in dem aktuellen Bericht: Die Massenbilanz weise für 2021/22 "für alle österreichischen Gletscher den negativsten jemals gemessenen Wert auf", heißt es in dem Bericht. Im Durchschnitt haben die Gletscher im Beobachtungszeitraum rund 29 Meter an Länge verloren.

Dabei zeichnet sich auch 2023 keine Trendwende ab: "Heuer waren die Alpen von Mitte bis Ende Oktober schneefrei bis in die Gipfel, und wir hatten auf den Gletschern nur Blankeis. Das gab es seit Beginn der Messaufzeichnungen noch nie", erklärte Andrea Fischer vom Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) auf der Homepage der ÖAW, die eine der zahlreichen an dem Bericht beteiligten Institutionen war. Dabei seien Oktober und November am wichtigsten für die Entstehung einer Schneedecke auf den Gletschern, die das Eis im Sommer so lange wie möglich vor der Schmelze schütze.

Gletscher Schnee schnilzt
Die gesamte hochalpine Landschaft um den einst massiven Eiskörper des Tiroler Jamtalgletschers ist in Bewegung.
APA/EXPA/JOHANN GRODER

Die seit den 1880er-Jahren um rund zwei Grad Celsius gestiegene mittlere Jahrestemperatur in Österreich führe zum Auftauen des Permafrosts. Dessen zuvor stabilisierende Wirkung auf Grate, Schutthalden oder Felswände lasse bereits bei Erwärmung deutlich nach "und ist aktuell nur mehr deutlich reduziert gegeben", heißt es in dem Bericht. Die Folge sei eine Zunahme von Steinschlägen, Felsstürzen und Bodensetzungen, die "einen erheblichen Risikofaktor darstellen, der vor allem für den hochalpinen Fremdenverkehr von steigender Relevanz ist".

Auswirkungen auf Seen

Zu den häufigsten Formen des alpinen Permafrosts zählen sogenannte "Blockgletscher", von denen es laut Fischer in Österreich mehr gibt als "echte" Gletscher. Die Fließgeschwindigkeit dieses Stein-Eis-Gemisches, dessen Oberfläche einem zähflüssigen Lavastrom ähnelt, nimmt durch die höheren Temperaturen deutlich zu. Das kann zu Instabilitäten führen, wie das Beispiel des Blockgletschers Äußeres Hochebenkar in den Ötztaler Alpen (Tirol) zeigt. "Dessen Fließgeschwindigkeit hat sich von fünf auf 27 Meter pro Jahr beschleunigt, und er bewegt sich mittlerweile mit 20 Zentimetern am Tag talwärts", so Fischer gegenüber der APA.

Die zeitliche Verkürzung oder der Verlust der Eisdecke von Seen war eine der ersten beobachteten Auswirkungen der Klimaerwärmung. Das fehlende Eis hat nicht nur Auswirkungen auf den Tourismus, sondern auch auf wichtige Ökosystemprozesse in Seen. Der Bericht nennt Daten für drei österreichische Seen: Der Neusiedler See (Burgenland) hatte 2021/22 keinen einzigen Tag mit geschlossener Eisdecke, im Zehn-Jahresmittel (2011 bis 2020) waren es 19 Tage. Der Lunzer See (NÖ) war im Berichtsjahr drei Tage zugefroren (33 Tage im Zehn-Jahresmittel), der Weißensee (Kärnten) hatte dagegen 2021/22 mit 68 Tagen länger eine Eisdecke als im Zehn-Jahresmittel (64).

Acht Stationen

Von den mehr als 1.000 Messstationen mit Schneehöhenmessung in Österreich nennt der Bericht Daten von acht Stationen. In Innsbruck betrug etwa die Neuschneesumme im 30-jährigen Mittel (1991 bis 2020) rund 90 Zentimeter, im Winter 2021/22 waren es dagegen nur 38 Zentimeter. In Galtür gab es im 30-jährigen Mittel in Summe 481 Zentimeter Neuschnee, 2021/22 waren es 284 Zentimeter. Lunz am See hatte zwischen 1991 und 2020 im Mittel 292 Zentimeter Neuschnee, im Winter 2021/22 waren es 175 Zentimeter. Die Veränderung des Schnees sei in Gebirgsländern wie Österreich eine "besonders relevante Größe des Klimawandels", heißt es im Bericht, etwa als wesentliche Ursache für Naturgefahren, aber auch als ökonomische Grundlage für den Wintertourismus, als Lebensgrundlage in Form der Wasserversorgung großer Städte und als wesentliche Einflussgröße auf die Ökologie von Pflanzen und Tieren.

Geplant ist künftig eine jährliche Erscheinungsweise der Analyse, die heuer vom Klimaministerium gefördert wurde. Allerdings fehle ein Förderinstrument für ein regelmäßiges Kryosphären-Monitoring in Österreich, heißt es in dem Bericht. (APA, red, 29.12.2023)