In vielen Branchen klagen Betriebe über fehlende Fachkräfte, und die Liste der sogenannten Mangelberufe (siehe Infobox unten) wird jedes Jahr länger. Vor allem Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger sind in diesen seltenen Berufen gerne gesehen. Doch nicht immer funktioniert der Umstieg sofort wie geplant. Welche Herausforderungen den Wechselwilligen dabei begegnen und warum sie sich dennoch für einen beruflichen Neustart entschieden haben:

"Ned g'schimpft ist gelobt genug" 

Andrea (47): früher Controlling und Vertrieb – jetzt Hufschmiedin

"Ich liebe Tiere, ich liebe Pferde." Andrea hat als Hufschmiedin ihre späte Berufung gefunden.
Heribert Corn

"In den großen IT-Firmen, in denen ich früher gearbeitet habe, hat man nie direktes Feedback bekommen. Ein Chef hat mal zu mir gesagt: "Ned g'schimpft ist gelobt genug." Heute arbeite ich selbstbestimmt, jeden Tag an der frischen Luft und sehe direkt meinen Erfolg. Ich kann stolz auf meine Arbeit sein. Eigentlich war ich nach meiner HBLA-Matura jahrelang im Büro: Sieben Jahre in einem amerikanischen IT-Konzern im Controlling, danach ein paar Jahre im Vertriebsaußendienst, dort habe ich Zahnimplantate verkauft. Mit 37 habe ich mich dann dafür entschieden, nochmal von vorne anzufangen. Jetzt bin ich Hufschmiedin.

Der Beruf ist ein Mangelberuf und hat einen Frauenanteil von weniger als 40 Prozent. Darum habe ich vor sechs Jahren über das FIT-Programm (Frauen in Handwerk und Technik) des AMS eine verkürzte Lehrzeit gefördert bekommen. Davor hatte ich bereits in Deutschland die Ausbildung zur Barhufpflegerin gemacht – für dieses Thema hatte ich mich ursprünglich interessiert, weil mein Pferd Hufgelenksarthrose hatte und ich nach Behandlungsmethoden gesucht habe. 2013 konnte ich damit das Gewerbe "Huf- und Klauenbeschlag mit der Einschränkung auf Barhufkorrektur und Klebebeschläge" anmelden. Mittlerweile bin ich "volle" Hufschmiedin.

Einen Bürojob, bei dem man acht Stunden am Tag sitzen muss, das kann ich mir nicht mehr vorstellen. Ich fühle mich in meinem jetzigen Beruf komplett angekommen. Ich liebe Tiere, ich liebe Pferde und habe festgestellt, dass mir Handwerkliches extrem taugt. Mein Vater, der als selbstständiger Unternehmensberater sehr erfolgreich war, war anfangs sehr skeptisch: 'Was verdient man da? Kann man davon leben?'

Andrea ist in ihrem Handwerk auf Kunststoffbeschläge spezialisiert.
Heribert Corn

Ja, ich habe im Vertrieb mehr verdient als jetzt, aber es macht mich einfach glücklich. Um Aufträge muss ich mich selbst kümmern, aber meine Kunden schätzen meine Arbeit – da geht viel über Mundpropaganda. Und alles, was ich davor gelernt habe, kommt mir jetzt zugute: Ich weiß, wie man ordentlich Buchhaltung macht, kann durch die Zeit, in der ich Zahnimplantate verkauft habe, Röntgenbilder lesen, und durch die Außendienstarbeit kann ich super Touren planen. Meine Kunden wissen, dass ich pünktlich bin und man sich auf mich verlassen kann.

Solange ich kann, möchte ich diesen Beruf ausüben. Aber man darf auch nicht vergessen, dass er körperlich sehr anstrengend ist. Man merkt es im Rücken, in den Gelenken. Das macht mir manchmal Sorgen. Ob man bis 65 durchhält, ist immer die Frage. Ich überlege, Weiterbildungen zu machen, etwa im Bereich Ernährung und Physiotherapie, um Pferden ganzheitlich helfen zu können und den Job auch bis zur Pension machen zu können."

"Entweder du gehst in die Politik oder wirst Volksschullehrerin"

Monika (40): früher Softwareentwicklerin – jetzt Volksschullehrerin

Monika hat mit 34 nochmal angefangen zu studieren. Seit 2021 ist sie Vollzeitlehrerin in einer Volksschule.
Heribert Corn

"Die Flüchtlingskrise 2017 hat damals die Gesellschaft gespalten, auch meinen Freundeskreis. Ich war verwundert, wie ablehnend Leute auf Flüchtende reagiert haben, und habe darüber nachgedacht, wie man daran etwas ändern könnte. Mein Mann hat dann zum Spaß gesagt: 'Entweder gehst du in die Politik, oder du wirst Volksschullehrerin.'

Zu dem Zeitpunkt habe ich eigentlich in einer IT-Firma als Projektmanagerin und Softwareentwicklerin gearbeitet. Ich hatte digitale Medien an einer FH studiert und war danach beim Fernsehen, bei Medienproduktionsfirmen und insgesamt zwölf Jahre in der Softwareentwicklung. 2016 hab ich in meiner Karenz festgestellt, dass ich mir eigentlich einen 'nachhaltigeren' Job wünsche. 'Nachhaltiger' deshalb, weil es damals immer nur um das Optimieren ging – von Prozessen, Menschen und Finanzen. Das Individuum zählte am Ende des Tages wenig. Ich wollte einfach etwas Sinnvolleres in meinem Leben machen.

Lehrerin zu werden war immer schon mein Plan B. Für den Fall, dass mich nach der Matura keine FH aufnimmt, wollte ich damals Lehramt studieren. Später wollte ich aber mit jüngeren Kindern arbeiten. Mit 34 Jahren habe ich also nochmal angefangen zu studieren, stand seit Studienbeginn regelmäßig in der Klasse, und seit 2021 bin ich Vollzeit-Volksschullehrerin. Dass ich die Ausbildung erst spät, mit einer gewissen Lebenserfahrung und als Mutter gemacht habe, war gut. Mit 18 wäre der Job nichts für mich gewesen.

Vollzeitstudium, Teilzeitjob und ein kleines Kind – die späte Ausbildung war für Monika eine Herausforderung.
Heribert Corn

So spät nochmal auf der Uni zu sitzen war aber manchmal schon anstrengend: Ich hatte ja ein Vollzeitstudium, einen Teilzeitjob und ein kleines Kind zu Hause. Auch wirtschaftlich gesehen war der Umstieg herausfordernd. Finanziell bin ich aktuell bei weitem nicht bei dem, was ich davor verdient habe. Und manchmal vermisse ich auch eine gewisse Flexibilität, die ein Bürojob mit sich bringt. Wenn meine Tochter jetzt Zeugnisvergabe hat, kann ich mir nicht einfach so freinehmen. Auch krank sein ist nicht so einfach, wir sind ein kleines Team und chronisch unterbesetzt, da hat man schnell ein schlechtes Gewissen.

In meinen alten Beruf zurück möchte ich trotzdem nicht. Ich schätze die Arbeit mit den Kindern sehr. Sie ist herausfordernd, aber sehr lohnend. Und ich habe ein super Team und eine gute Direktorin. Das lebenslange Lernen war immer schon in mir drinnen, ich liebäugle deshalb noch mit der einen oder anderen Zusatzausbildung. Abgesehen davon denke ich, dass ich meine Berufung bis zur Pension gefunden habe."

"Die Sicherheit in jungen Jahren bringt einem nichts, sie ist nur relativ."

Jakob* (40): früher Model und Fotograf – jetzt Ausbildung zum Fahrdienstleiter

Nach abgeschlossener Ausbildung koordiniert Jakob den Zugverkehr. (Beispielbild)
ÖBB/Philipp Horak

"Ich bin bei den ÖBB angestellt und mache eine Ausbildung zum Fahrdienstleiter. Als Fahrdienstleiter ist man für den Zugverkehr verantwortlich und koordiniert diesen. Die ÖBB suchen gerade in vielen Bereichen nach Mitarbeitern. Sie zahlen ein gutes Gehalt und finanzieren meine Ausbildung, die acht Monate dauert. Ich sitze also gerade 38,5 Stunden pro Woche quasi wieder in der Schule – mit 16 Personen, von denen ich einer der Ältesten bin. Fast alle haben vorher etwas anderes gemacht.

Ich habe damals gar nicht groß an die ÖBB gedacht. Irgendwann bin ich auf einen Artikel, tatsächlich im STANDARD, gestoßen, in dem ein Koch interviewt wurde, der zum Fahrdienstleiter bei der ÖBB umgesattelt hatte. Er sprach in dem Zusammenhang von der 'besten Entscheidung seines Lebens'. Daraufhin habe ich recherchiert und mich beworben. Mit Zügen hatte ich davor nichts zu tun, außer als Bahnreisender. 'Bahnbenutzender' heißt das übrigens, habe ich gerade gelernt.

Ich habe davor eigentlich als Model und Fotograf gearbeitet. Nach meinem HTL-Abschluss in Hochbau war ich kurz in einem Ingenieursbüro tätig und wurde dann als Model entdeckt. Ich war bei vielen Shows im Ausland, etwa in Mailand, Paris oder Tokio. Mit Anfang 20 war es schon echt toll, sich die Welt anzuschauen. Ich habe mich aber immer gefragt, was ich sonst noch machen möchte oder kann. Zurück in Österreich habe ich mit Ende 20 mit meinen letzten Yen aus Tokio in der Tasche im Verkauf gejobbt und angefangen, mich als Fotograf selbstständig zu machen.

Dann kam Corona, und ich bin zweifacher Familienvater geworden. Mit 40 habe ich mir die Frage gestellt: Wie bekomme ich die Sicherheit, die ich in der neuen Lebenssituation brauche? 'Sicherheit' war jedenfalls ein wichtiger Faktor. Und sie ist irgendwie ein schöner Schulterschluss: Im neuen Job geht es um die Sicherheit von Fahrgästen, aber auch um finanzielle Sicherheit für mich und meine Familie. Natürlich vermisse ich manchmal das Reisen und die wilden Partynächte. Aber sonst vermisse ich am alten Leben nichts. Ich glaube, die neu gewonnene Sicherheit kann mich nur bereichern: Ich bin irgendwie Ballast losgeworden, der mein Leben davor blockiert hatte. Fotografieren möchte ich nach der Ausbildung jedenfalls weiterhin.

Wenn ich nochmal von vorne anfangen könnte, würde ich mich wieder so entscheiden: die Welt in jungen Jahren sehen und mich erst danach um Sicherheit kümmern. Die Sicherheit in jungen Jahren bringt einem nichts, sie ist nur relativ. Weil dann baust du dir ein Haus hin und zahlst dein Leben lang einen Kredit ab – ob das Sicherheit ist? Ich weiß nicht. Klar hätte ich mit Anfang 20 anfangen können, etwas für Kinder mit 40 anzusparen, aber daran denkt man nicht. Und das ist auch gut so. Und man muss auch sagen: Zum Glück dürfen wir in einem sicheren Land leben, das einem die Freiheit gibt, solche Entscheidungen zu treffen."

"Wissen nimmt einem niemand weg, das hat man ein Leben lang."

Brigitta (46): früher Assistentin und Fitnesstrainerin – jetzt Mechatronikerin und Ausbildnerin

Brigitta wollte einen Beruf erlernen, den einem "niemand mehr wegnehmen kann".
Heribert Corn

"Ich lerne sehr gerne. Für mich ist alles interessant. Und wenn man weiß, wie gewisse Dinge funktionieren, ist das einfach ein gutes Gefühl. Man baut etwas, und dann kommt der Strom – das ist jedes Mal wieder ein Aha-Effekt für mich. Als ich vor elf Jahren nach Österreich gekommen bin, waren meine Jobmöglichkeiten begrenzt. Die Sprache war anfangs ein Problem. In Ungarn habe ich nach meiner Matura als Assistentin bei einem Rechtsanwalt gearbeitet und hatte eine Ausbildung als Fitnesstrainerin. Die wurde in Österreich aber zuerst nicht anerkannt. Darum habe ich als Kellnerin gearbeitet, später dann bei Mrs. Sporty. Und dann kam die Pandemie, und da habe ich mir gedacht, ich will einen echten Beruf lernen. Einen, den mir niemand mehr wegnehmen kann und mit dem ich etwas in der Hand habe.

Ich habe gutes mathematisches und logisches Verständnis und habe mich schon immer dafür interessiert, wie Dinge funktionieren. Mit 43 habe ich dann die Lehre zur Mechatronikerin beim BFI gemacht. Heute bin ich Fachtrainerin beim BFI für Sonnenschutztechnik und bilde andere Lehrlinge aus. Ich habe hier einen Platz gefunden, um ein Leben lang zu lernen. Derzeit bin ich mit Sonnenschutztechnik beschäftigt, aber wer weiß, was noch kommt? Meine Lehrlinge fragen mich oft: 'Warum lernen wir das? Das brauchen wir doch niemals.' Dann sage ich immer: 'Ihr lebt ja noch so lang, ihr könnt niemals wissen, was ihr später noch braucht. Wissen nimmt einem niemand mehr weg, das hat man ein Leben lang.'

Heute bildet Brigitta regelmäßig selbst Lehrlinge aus.
Heribert Corn

Der Beruf ist gut bezahlt und als Mangelberuf sehr gefragt am Arbeitsmarkt. Finanzielle Sicherheit war mir wichtig. Am alten Berufsleben vermisse ich nur die Bewegung. Mit einem Vollzeitjob und einem kleinen Sohn habe ich kaum Zeit zu trainieren und oft Rückenschmerzen. Aber wenn ich mich mit 18 nochmal neu entscheiden könnte, würde ich am liebsten gleich eine Lehre zur Mechatronikerin machen. Ich habe in diesem Berufsfeld etwas gefunden, das mir Spaß macht und mich ein bisschen besser verstehen lässt, wie die Welt funktioniert."

"Es fühlt sich an, als gehe man 27 Schritte rückwärts, während alle anderen Karriere machen."

Christina (36): früher Projektmanagerin – jetzt Ledergalanteriewarenerzeugerin ("Sattlerin")

Christina übt ein Handwerk aus, das in Österreich mittlerweile sehr selten geworden ist.
Christian Vorhofer/WKÖ

"Einen Betrieb wie meinen gibt's im deutschsprachigen Raum kaum mehr einen. Wir fertigen alle Lederwaren auf Maß und von Hand. Taschen und Feinlederwaren nähen wir großteils noch mit der traditionellen Sattlernaht. Betriebe in Österreich, die unregelmäßig Lehrlinge ausbilden, gib es, soweit ich weiß, nur noch drei. Dementsprechend selten ist das Handwerk und schwer der Weg dort hin.

Ich habe ursprünglich Betriebswirtschaft studiert, war rund sieben Jahre lang Projektmanagerin bei Red Bull und danach bei einem Start-up. Die Entscheidung, Sattlerin zu werden, hat sich über Jahre hinweg gezogen. Ursprünglich war ich auf der Suche nach einem Betrieb, der mir eine Tasche nach meinen Wünschen anfertigen kann und kam so in Berührung mit dem Handwerk. Dabei habe ich eine alte Werkstatt in Salzburg entdeckt –beim ersten Betreten war es Liebe auf den ersten Blick. Von da an bin ich dort immer öfter in meiner Freizeit gelandet. Irgendwann wollte ich mir einen Ort suchen, von dem ich lernen kann.

Ich habe aber keinen Lehrbetrieb gefunden, denn das Lehrangebot für Personen, die sich für dieses Handwerk interessieren, ist einfach nicht da. Heute bin ich selbst ein Lehrbetrieb und bilde aktuell einen Lehrling aus. Soweit ich weiß, ist dieser aktuell der einzige Lehrling für diesen Beruf in Österreich. Und dann gibt es auch nur eine einzige Berufsschule, die einmal pro Jahr eine Klasse hat und in der mehrere lederverarbeitende Berufe zusammengefasst sind.

Ich habe dann damals Praktika gemacht, habe etwa ein paar Wochen in Japan bei einem Meister studiert und versucht, mir möglichst viel selbst anzueignen. Leider musste ich auch in die Berufsschule, denn für mein Gewerbe braucht man eine Gewerbeberechtigung. Bis ich – ohne richtigen Lehrbetrieb – alle Berechtigungen für die Berufsschule hatte, hat es insgesamt ein Dreivierteljahr gedauert. Mit Ende 20 habe ich dann nochmal auf eigene Kosten die Schulbank gedrückt. Danach habe ich meine Werkstatt aufgemacht.

In ihrer "Ledermanufaktur Christina Roth" fertigt die 36-Jährige unterschiedlichste Lederwaren an.
Christian Vorhofer/WKÖ

Diese Entscheidung war wirtschaftlich gesehen natürlich ein Risiko. Es hat ein paar Jahre gedauert, bis ich gut dabei verdient habe. Aber es hat sich ausgezahlt. Mein Beruf ist extrem befriedigend: Ich arbeite mit meinem Körper und erschaffe dabei selbst, aus dem Nichts, nur mit deinen Händen. Etwas, das anderen Freude bereitet, auf der ganzen Welt unterwegs ist und vielleicht sogar an Generationen weitergegeben wird. Manchmal vermisse ich aber ein Netzwerk, mit dem man sich austauschen kann. Ich habe zwar Lehrlinge und Praktikanten, aber die wollen eher von mir lernen.

Manchmal wünsche ich mir auch, ich hätte diesen Beruf schon früher gelernt, dann hätte ich jetzt 20 Jahre Berufserfahrung. Aber alles, was ich davor gemacht habe, war wahnsinnig wichtig. Ich hatte das Know-how und die Lebenserfahrung für die Selbstständigkeit. Hart war es aber schon, nach einem fertigen BWL-Studium und sieben Jahren im Beruf wieder in der Berufsschule zu sitzen. Es fühlt sich so an, als würde man 27 Schritte rückwärtsgehen, während alle anderen um dich herum Karriere machen und gefühlt schon weiter sind.

Und trotzdem würde ich alles nochmal genauso machen. Ich weiß jetzt, dass es möglich ist, sich nochmal komplett zu verändern. Ich habe jetzt keine Angst mehr, nochmal von vorne anzufangen. Man muss auch ein bisschen davon wegkommen, sich bei einem Beruf denken zu müssen: O mein Gott, das ist es. Ein Beruf ist wie eine Beziehung, man kann sich vieles richten. Wenn man sich seinen Beruf so gestaltet, wie er zu einem als Person passt, kann man sich in jeden Beruf verlieben." (Viktoria Kirner, 26.1.2024)