Robert Habeck
Eine Sprecherin Habecks sagte, der Minister (im Bild) sei gerne bereit gewesen, mit den Landwirten zu sprechen.
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Berlin – Der Deutsche Bauernverband hat sich von der Blockadeaktion gegen den deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) distanziert. "Persönliche Angriffe, Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigung oder Gewalt gehen gar nicht. Bei allem Unmut respektieren wir selbstverständlich die Privatsphäre von Politikern", teilte der Präsident des Bauernverbands, Joachim Rukwied, am Freitag mit.

Blockade

Aufgebrachte Landwirte hatten am Donnerstag Habeck in Schlüttsiel an der Nordseeküste in Schleswig-Holstein am Verlassen der Fähre gehindert, als er vom Urlaub auf Hallig Hooge zurückkehren wollte. Die Fähre legte mit den Passagieren zunächst wieder ab. Später konnte Habeck das Festland erreichen und befindet sich nun nach Angaben eines Sprechers des Bundeswirtschaftsministeriums in seinem Haus in Schleswig-Holstein.

Video: Bauern hindern Habeck am Verlassen von Fähre.
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Nach Angaben der Polizei handelte es sich um mehr als hundert Demonstranten. Rund 30 Beamte seien im Einsatz gewesen. Sie hätten auch Pfefferspray eingesetzt, sagte ein Polizeisprecher. Von Verletzten war den Behörden nichts bekannt. Laut der Polizei beruhigte sich die Lage schnell, nachdem die Fähre abgelegt hatte. Anzeigen lagen am Abend nicht vor. "Landfriedensbruch steht schon im Raum", sagte ein Polizeisprecher auf die Frage, ob trotzdem ermittelt werde.

Habecks Reaktion

Habeck warnte vor einer aufgeheizten politischen Stimmung in Deutschland. "Ich bedauere, dass keine Gesprächssituation mit den Landwirten zustande kommen konnte", sagte der Politiker am Freitag laut einer Mitteilung. "Protestieren in Deutschland ist ein hohes Gut", sagte der Vizekanzler. "Nötigung und Gewalt zerstören dieses Gut. In Worten wie Taten sollten wir dem entgegentreten." Habeck bedankte sich bei den Mitreisenden und der Crew auf der Fähre. Sie seien unvermittelt in Mitleidenschaft geraten. "Und ich danke den Einsatzkräften der Polizei, die das Schiff gesichert haben."

Zahlreiche Politiker kritisieren die Bauernblockade

Etliche Politiker kritisierten die Bauernblockade. "Bei allem Verständnis für eine lebendige Protestkultur: Eine solche Verrohung der politischen Sitten sollte keinem egal sein", schrieb Regierungssprecher Steffen Hebestreit Freitagfrüh.

"Gewalt und Nötigung sind verachtenswert und schaden auch dem Anliegen", kritisierte der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Er erklärte auf X (vormals Twitter), weite Teile der Gesellschaft teilten aus guten Gründen den Konsens, dass man zivilisiert miteinander umgehe und streite. "Ich messe da immer mit gleichem Maß, ob bei Klimaklebern oder bei den Bauern am Fährhafen: Gewalt und Nötigung sind verachtenswert und schaden auch dem Anliegen."

Der deutsche Justizminister Marco Buschmann (FDP) schrieb auf X: "Dass man auch mal wütend ist: geschenkt. Aber klar ist: Gewalt gegen Menschen oder Sachen hat in der politischen Auseinandersetzung nichts verloren! Das diskreditiert das Anliegen vieler Landwirte, die friedlich demonstrieren."

Auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) schrieb auf X: "Dort, wo Worte durch Gepöbel und Argumente durch Gewalt ersetzt werden, ist eine demokratische Grenze überschritten." Kritik kam auch von Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) und dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst (CDU).

"Bei der gestrigen Blockade in Schlüttsiel sind ganz klar Grenzen überschritten worden. Das dortige Vorgehen ist inakzeptabel", teilte der schleswig-holsteinische Landwirtschaftsminister Werner Schwarz (CDU) mit. Die Vorsitzende der Grünen im Deutschen Bundestag, Britta Haßelmann, sah "einen Angriff auf die Privatsphäre von Robert Habeck". Der frühere CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak erklärte auf X, es werde hier eine Grenze überschritten. "Wer die Ampel inhaltlich laut kritisiert, darf jetzt nicht schweigen. Das geht so nicht!"

Bauernverband hält an Aktionswoche fest

Die Bauern sind empört wegen des von der Ampelkoalition geplanten Abbaus von Subventionen. Am Donnerstag reagierte die deutsche Regierung auf die massiven Bauernproteste: Die Koalition will auf die Abschaffung der Kfz-Steuerbefreiung für die Landwirtschaft verzichten. Die Abschaffung der Steuerbegünstigung beim Agrardiesel soll gestreckt und in mehreren Schritten vollzogen werden. Der Deutsche Bauernverband hält die Maßnahmen aber für unzureichend – und hält an einer ab 8. Jänner geplanten Aktionswoche fest.

Pendlerinnen und Pendler müssen sich daher regional auf Beeinträchtigungen im Straßenverkehr einstellen. Bei der Aktionswoche stehen vor allem Blockaden von Autobahnauffahrten, Sternfahrten in größere Städte und langsamfahrende Kolonnen auf dem Programm, wie die Landesbauernverbände mitteilten.

Die tatsächlichen Auswirkungen dürften dabei regional sehr unterschiedlich ausfallen. Der Bauernverband wird bei der Aktionswoche vom Spediteursverband BGL unterstützt. In Rheinland-Pfalz rechnen die Polizei und zahlreiche Kommunen mit erheblichen Verkehrsbehinderungen, hier könnte einer der regionalen Schwerpunkte der Proteste entstehen. In Erfurt werden 900 Traktoren zu einem zentralen Protest der Thüringer Landwirte erwartet. Die Stadt Hamburg warnte vorab vor einem Verkehrschaos, weil aus mehreren Richtungen Bauern aus Schleswig-Holstein zu einer Kundgebung in die Stadt fahren wollen. Die niedersächsischen Landwirte wollen sich in einer Sternfahrt auf den Weg nach Bremen machen. In Berlin ist wegen einer angemeldeten Demonstration den ganzen Tag über die Straße zwischen Großem Stern und Brandenburger Tor gesperrt. Auch in München und Ravensburg sind für Montag Kundgebungen angekündigt.

Nach dem Auftakt am Montag dürfte die Intensität der Proteste in den meisten Regionen zurückgehen. Die Aktionswoche gipfelt dann mit einem Protest in Berlin am 15. Jänner, zu dem laut Polizei 10.000 Teilnehmer angemeldet wurden. Auch tausende Traktoren werden dann in der Hauptstadt erwartet.

Ministerium sieht keinen Spielraum

Das Landwirtschaftsministerium sieht aber keinen Spielraum für weitere Zugeständnisse an die Bauern. "Wir stehen zu dem Kompromiss", hieß es am Freitag. Er soll nach Angaben aus dem Ministerium über das Wochenende in Gesetzesformulierungen gegossen werden.

Mit Blick auf die vom Bauernverband angekündigten bundesweiten Proteste ab Montag gab es mahnende Worte aus dem Ministerium. Der Bauernverband dürfe nicht unterschätzen, dass es noch eine breite Unterstützung der Bevölkerung für die Landwirte gebe, hieß es: "Ob das aber angesichts dieses Entgegenkommens und der Bilder zum Beispiel von gestern Abend in Schleswig-Holstein so bleibt, das muss man sich eben auch fragen."

Aufgeheizte Stimmung

Die deutliche Kritik aus der Bundes- und den Landesregierungen an der Bauernblockade im Fall von Habeck erklärt sich auch durch die zunehmende Zahl an direkten Angriffen auf Politiker auf allen politischen Ebenen seit einigen Jahren. Der Bauernverband hatte im Zusammenhang mit den Protestaktionen auf der Plattform X betont: "Für uns ist dabei klar: Rechtsextreme Gruppierungen, Verschwörungstheoretiker und andere Radikale haben bei uns keinen Platz." In diesem Jahr wird ohnehin mit einer aufgeheizten Stimmung im Land gerechnet, weil etwa in Ostdeutschland drei Landtagswahlen anstehen, bei denen die rechtspopulistische AfD in Umfragen derzeit stärkste Kraft ist. (APA, Reuters, red, 5.1.2024)