Nahaufnahme von Händen, die ein veganes Fleischersatzprodukt halten
Manche pflanzlichen Fleischalternativen sind hochverarbeitet und übermäßig genossen alles andere als gesund. Das gilt aber nicht für alle.
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Der Trend ist seit Jahren ungebrochen: Jahr für Jahr schließen sich immer mehr Menschen dem "Veganuary" an – eine Netzinitiative, die Menschen zu Jahresbeginn ermuntern soll, sich im Jänner vegan zu ernähren. Aber auch abseits davon steigt die Zahl jener, die sich langfristig rein pflanzlich ernähren, stetig. Kann das gesund sein?

Mythos Nr. 1: Mit veganer Ernährung kann man seinen Nährstoffbedarf nicht decken

Wer auf etwas verzichtet, dem muss am Ende etwas fehlen, denke viele. Das muss nicht zwingend der Fall sein: "Eine vegane Ernährungsweise kann alle notwendigen Nährstoffe für eine optimale Gesundheit liefern", betont Christina Dengg, Ernährungswissenschafterin und -beraterin mit Schwerpunkt auf pflanzenbasierte Ernährung. "Das bestätigen auch immer mehr internationale Ernährungsfachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung oder die Academy of Nutrition and Dietetics aus den USA", berichtet die Expertin. Die Amerikanische Gesellschaft für Ernährung veröffentlichte beispielsweise ein Positionspapier, in dem sie eine vegane Ernährung als förderlich für die Gesundheit empfiehlt. Und auch in der Wissenschaft ist man sich einig: Eine vegane Ernährung bringt klare gesundheitliche Vorteile, wie unlängst im Zuge einer Zwillingsstudie belegt wurde (der STANDARD berichtete hier).

Wichtig sei laut Dengg aber, dass die vegane Ernährung gut geplant werde. Für eine optimale Nährstoffversorgung sollten Gemüse, Obst, Vollkorngetreide, Nüsse und Hülsenfrüchte regelmäßig auf dem Speiseplan stehen. Und noch eine Sache ist für Veganerinnen und Veganer essenziell: "Eine Vitamin-B12-Supplementierung ist unerlässlich", sagt Dengg. Dieser Nährstoff ist in pflanzlichen Lebensmitteln nämlich nicht in einer für den Körper verwertbaren Form enthalten.

"In vielen Fälle kann es außerdem sinnvoll sein, die Supplementierung auf ein hochwertiges Multinährstoff-Präparat und ein Omega-3-Präparat auf Algenölbasis auszuweiten", rät Dengg. Das sollte aber vorab mit einer Ärztin oder einem Ernährungsberater abgesprochen und individuell entschieden werden. "In kritischen Lebensphasen wie der Schwangerschaft, dem Säuglingsalter oder der Kindheit kann eine vegane Ernährung schwieriger sein. Hier empfiehlt es sich, sich durch eine Ernährungsfachkraft begleiten zu lassen, um eine optimale Nährstoffversorgung sicherzustellen."

Mythos Nr. 2: Vegane Ernährung eignet sich nicht für Sportlerinnen und Sportler

Das stimmt so nicht, stellt Dengg klar. "Eine gut geplante vegane Ernährung kann alle notwendigen Nährstoffe liefern, um im Sport optimal leistungsfähig zu sein", sagt sie. Vielleicht erinnern Sie sich an den US-Dokumentarfilm "The Game Changers" zu genau diesem Thema, der 2018 viral ging. Die Netflix-Ernährungsdoku zeigte die Vorteile veganer Ernährung anhand zahlreicher Beispiele aus dem Profisport: Ultramarathonläufer, Kraftsportlerinnen und Profiathleten berichteten über die positiven Veränderungen, seit sie auf pflanzliche Ernährung umstellten.

Zu dem Thema wird aktuell zwar viel geforscht, vieles ist aber nach wie vor nicht final geklärt. Manche Studien zeigen etwa, dass eine pflanzliche Ernährungsform sich positiv auf die Ausdauer auswirkt und daher vor allem für Läuferinnen oder Radfahrer von Vorteil sein könnte. In anderen Untersuchungen zeigt sich in Hinblick auf die sportliche Leistungsfähigkeit wiederum kein Unterschied zwischen Menschen, die sich vegan ernähren, und jenen, die auch Fleisch und Milchprodukte essen. "Einen Unterschied macht in diesen Studien am Ende nur die Qualität der Ernährung, aber nicht die Ernährungsform", berichtet Dengg. "Eine vegane Ernährung kann nämlich, wie auch eine mischköstliche Ernährung, gesund oder ungesund sein, je nachdem, welche Lebensmittel wie oft gegessen werden."

Im Zentrum steht bei dem Mythos, dass sich Veganismus nicht für sportliche Menschen eignen würde, wohl ein Nährstoff ganz besonders: das Eiweiß. Für viele Menschen sind Fleisch, Fisch und Milchprodukte nach wie vor die Haupteiweißquellen. Dabei gibt es zahlreiche pflanzliche Alternativen, sagt Dengg: "Wer regelmäßig Hülsenfrüchte und Sojaprodukte wie Tofu, Tempeh oder Sojagranulat sowie Linsen und Bohnen konsumiert, kann dann auch mit veganer Ernährung optimal Muskeln und Kraft aufbauen." Um die Eiweißqualität zu erhöhen, sollten außerdem Hülsenfrüchte mit Getreiden kombiniert werden. "Meist macht man das aber ohnehin intuitiv richtig und isst zum Beispiel zu einer Linsensuppe Brot dazu."

Eine Umstellung auf eine vegane Ernährung muss jedenfalls keinen Leistungseinbruch bedeuten, sagt Dengg. Möglicherweise könnte das Gegenteil der Fall sein, denn – das zeigen zahlreiche Studien – eine pflanzenbasierte Lebensweise geht oft generell mit einer bewussteren Lebensmittelauswahl einher, und das wiederum kann sich positiv auf die Leistungsfähigkeit auswirken.

Mythos Nr. 3: Vegane Ernährung schadet den Zähnen und den Knochen

Der Mythos hält sich hartnäckig, Stichwort Calcium. Ein Grund dafür ist wohl eine Studie, deren Ergebnis für viel Aufmerksamkeit gesorgt hatte: Das Risiko für Knochenbrüche sei bei Veganerinnen und Veganern um 43 Prozent erhöht, schreiben die Forschenden. Sie betonen aber auch, dass die Studie zu klein und das Rechenmodell nicht ausreichend belegt sei, um eindeutige Rückschlüsse der Ernährungsform auf die Knochendichte ziehen zu können. Die Studie liefere also lediglich Hinweise darauf, dass es einen Zusammenhang geben könnte, schreiben die Wissenschafterinnen und Wissenschafter.

Und tatsächlich ist das nicht ganz unwahrscheinlich: "Milchprodukte, eine wichtige Calciumquelle, fällt in der veganen Ernährung weg. Es ist daher besonders wichtig, auf ausreichende Calcium-Zufuhr zu achten", sagt Dengg. Sie empfiehlt regelmäßig mit Calcium angereicherte Milchersatzprodukte wie Sojadrinks oder Sojajoghurt zu konsumieren. "Auch Calcium-reiche Mineralwässer können helfen, den Bedarf zu decken, oder Tofu, bei dem Calciumsulfat als Gerinnungsmittel verwendet wurde. Ob das der Fall ist, erkennt man mit einem Blick auf die Zutatenliste." Aber auch Nüsse, Samen und Hülsenfrüchte sowie dunkelgrünes Gemüse wie Grünkohl, Brokkoli und Pak Choi sind gute Calciumquellen.

Mythos Nr. 4: Fleischersatzprodukte wie Sojawürstel oder Seitanschnitzel sind ungesund

Vegan bedeutet nicht gleich gesund, so viel ist klar. Bei manchen pflanzlichen Fleischalternativen handelt es sich um hochverarbeitete Produkte, die in großen Mengen genossen sicherlich alles andere als gesund sind. Dennoch könne man nicht pauschal sagen, dass Fleischersatzprodukte grundsätzlich ungesund seien, stellt Dengg klar.

"Viele dieser Produkte enthalten hohe Mengen Salz, und durch die teilweise hohe Verarbeitung können wertvolle Nährstoffe wie Vitamine oder sekundäre Nährstoffe verlorengehen. Jedoch liefern sie auch hochwertige Proteine", erklärt sie. Kurzum: Die Qualität von Fleischersatzprodukten variiert von Produkt zu Produkt sehr stark.

Es gehe aber dabei ohnehin nicht um einzelne Produkte. Ob ein Lebensmittel gesundheitsförderlich ist oder nicht, sei immer im Kontext der gesamten Ernährung zu betrachten: "Eine ausgewogene Ernährung, die reich an Obst, Gemüse, Vollkornprodukten und verschiedenen Proteinquellen ist, bildet die Grundlage für eine gesunde Ernährung. Fleischersatzprodukte können in angemessenen Mengen Teil einer gesunden Ernährung sein", sagt die Ernährungswissenschafterin. Die Basis für die Proteinversorgung in der veganen Ernährung sollten allerdings Hülsenfrüchte wie Linsen, Bohnen und Sojaprodukte wie Tofu oder Tempeh sein. (Magdalena Pötsch, 6.1.2024)