Zig Traktoren stehen in Reih und Glied.
Bauern haben ihre Traktoren in Ravensburg (Baden-Württemberg) abgestellt.
APA/dpa/Felix Kästle

Mit Blockaden an Autobahnauffahrten und Traktorkolonnen in Städten haben am Montag die deutschlandweiten Bauernproteste gegen die Agrarpolitik begonnen. In Mecklenburg-Vorpommern blockierten Landwirte Auffahrten von Autobahnen. In Bayern meldete die Polizei vielerorts Verkehrsbehinderungen, etwa weil Straßen nur einspurig befahrbar waren oder Autobahnauffahrten blockiert wurden. Nach München sind laut "SZ" hunderte Traktoren unterwegs. Am Brandenburger Tor in Berlin sammelten sich in der Früh laut Polizei Protestierende mit rund 570 Traktoren und Lkws. Die Landwirte befürchten Einkommensverluste infolge von Subventionskürzungen.

Die Landwirte werden von Speditionen unterstützt, die gegen die Erhöhung der Lkw-Maut protestieren. Auf der A81 bei Böblingen waren am Montag nach Polizeiangaben in einer unangemeldeten Demonstration mehrere Traktoren auf der Autobahn unterwegs. Im Kreis Cloppenburg in Nordwestniedersachsen wurde eine Bundesstraße von 40 Fahrzeugen blockiert. In Sachsen waren laut Polizei etwa im Raum Dresden einige Autobahnauffahrten nicht nutzbar. Auch im Saarland, in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wurde über Verkehrsbehinderungen berichtet. In Bremen rechnete die Polizei mit "bis zu 2.000 Fahrzeugen", berichtete der "Spiegel". In Köln könnte der Protestzug laut Polizei "sechs bis sieben Kilometer lang" werden.

Video: Bauernproteste und Lokführer-Streiks: Deutschland vor Chaos-Woche?
AFP

In vielen Orten Deutschlands müssen sich Autofahrer, Schüler und Busfahrgäste auf starke Behinderungen einstellen. Mehrere Kultusministerien der deutschen Bundesländer kündigten an, dass Schüler und Schülerinnen entschuldigt werden, sollten sie es wegen der Aktionen nicht zum Unterricht schaffen.

Niedersachsens Ministerpräsident: Subventionskürzungen sollen zurückgenommen werden

Der Bauernverband hat zu einer Aktionswoche aufgerufen, um gegen die Streichung von Subventionen für die Branche zu demonstrieren. Dabei geht es vor allem um die Steuervergünstigung für Agrardiesel, die schrittweise abgeschafft werden soll. Eine teilweise Rücknahme der Sparpläne der Bundesregierung reicht dem Verband nicht aus. Die Proteste finden trotz gestiegener Einkommen statt. Im abgelaufenen Wirtschaftsjahr 2022/23 stiegen die Betriebsergebnisse laut Deutschem Bauernverband (DBV) auf ein Allzeithoch. "Nach vielen schwachen Jahren hat sich die wirtschaftliche Situation der Betriebe in den letzten beiden Jahren erheblich verbessert", hieß es im jährlichen Situationsbericht. Haupterwerbsbetriebe erzielten demnach ein Unternehmensergebnis von 115.400 Euro je Betrieb. Das sei ein Plus von 45 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Bauern profitierten vor allem von den hohen Preissteigerungen für Nahrungsmittel.

Bei der deutschen Innenministerin Nancy Faeser (SPD) stießen die geplanten Blockaden auf Kritik: "Wer andere Menschen, die eilig zur Arbeit, zur Schule oder zum Arzt müssen, im Alltag blockiert, der sorgt in allererster Linie für Wut und Unverständnis", sagte sie der "Rheinischen Post". Legitimer Protest ende da, wo andere in ihren Rechten verletzt würden.

Traktorkolonne
Blockade der Autobahnauffahrt Meckenheim Merl in Nordrhein-Westfalen.
IMAGO/MARC JOHN

Mehrere Ministerpräsidenten und -präsidentinnen fordern indes die Bundesregierung dazu auf, ihre geplanten Subventionskürzungen zurückzunehmen. Niedersachsens Stephan Weil (SPD) sagte im ZDF-"Morgenjournal": "Man muss auch über die Landwirtschaft reden, wenn es ans Sparen geht, aber da muss ein Konzept dahinterstehen. Das kann man bei den vorgeschlagenen Maßnahmen nicht sagen", sagte er. Unterstützung hielt er von seinen Amts- und Parteikollegen aus Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und dem Saarland.

Die Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Sachsen, Hendrik Wüst und Michael Kretschmer (beide CDU), warfen der Bundesregierung mangelnde Bereitschaft zum Dialog mit den Bauern vor.

Bauernpräsident bittet um Nachsicht

Der Präsident des DBV, Joachim Rukwied, hatte vor Beginn der Aktionswoche um Nachsicht für mögliche Verkehrsbeeinträchtigungen gebeten. "Wir bitten die Bevölkerung um Verständnis. Den großen Rückhalt und die Solidarität, die wir aus weiten Teilen der Gesellschaft erhalten, wollen wir nicht verlieren", sagte Rukwied dem Magazin "Stern" laut Vorabbericht. "Wenn wir mit Traktoren unterwegs sind, wird es aber zwangsläufig zu Verkehrsbehinderungen kommen."

Der deutsche Bauernverband forderte erneut, die geplanten Kürzungen zurückzunehmen.

Auf dem Schild am Traktor steht:
Ein Traktor am Sonntagabend in Berlin.
IMAGO/marcuslieder.com

Blockade von Habeck-Fähre sorgte für Kritik

Vergangene Woche hatten die Bauernproteste für Aufsehen gesorgt. Wütende Landwirte hinderten den deutschen Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an der Nordseeküste in Schleswig-Holstein am Verlassen einer Fähre. "Persönliche Angriffe, Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigung oder Gewalt gehen gar nicht. Bei allem Unmut respektieren wir selbstverständlich die Privatsphäre von Politikern", teilte Rukwied danach mit.

Traktoren stehen auf Straße.
Blockade der Autobahnauffahrt Meckenheim Merl in Nordrhein-Westfalen.
IMAGO/Marc John

Habeck warnt vor "Umsturzfantasien"

Der Vorfall hatte parteiübergreifende Kritik und Warnungen vor einer Radikalisierung ausgelöst. Auch Habeck äußerte sich in einem am Montag in den sozialen Medien veröffentlichten Video dazu.

Zunächst sagte er, dass es ein gutes Recht der Bauern sei, Kritik zu äußern. "Sie wirtschaften unter einem mächtigen ökonomischen Druck, dem Preisdruck durch die Discounter, der großen Schlachthöfe und Molkereien, dem schwankenden Weltmarkt", sagte der Vizekanzler. Auf dieses strukturelles Problem, die Industrialisierung der Landwirtschaft, gebe es eine Antwort: "Faire Preise, gute Bezahlung für anspruchsvolle Arbeit, für Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Tierschutz, direkte Vermarktung. Meiner Ansicht nach sollte man die Debatte jetzt nutzen, um ernsthaft und ehrlich genau darüber zu diskutieren."

Gleichzeitig warnte er vor "Umsturzfantasien", die kursieren würden. "Hinter den angekündigten Protesten steht mehr als die jetzigen Regierungsentscheidungen", sagte Habeck. "Wir alle erleben einen Umbruch". Er spricht dabei die Kriege und hohe Inflation der vergangenen Jahre an. "Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist der Angst vor einer schlechteren gewichen. [...] Wir dürfen nicht zulassen, dass Extremisten diese Verunsicherung kapern", sagte der Minister.

Politik ruft zu Mäßigung auf

Zuvor hatten bereits andere Politiker vor einer Unterwanderung durch rechtsextreme Kräfte in der Aktionswoche gewarnt. "Protest ist erlaubt, aber der Versuch der Unterwanderung durch radikale und völlig irre Kräfte ist leider Realität", sagte der Vorsitzende des Innenausschusses, Lars Castellucci (SPD), der Zeitung "Augsburger Allgemeinen". Dagegen helfe nur eine glasklare Distanzierung. Es gebe eine rote Linie zwischen Protest und Radikalisierung. "Also Protest gerne laut und wahrnehmbar, aber keine Gewalt, keine Gewaltandrohung, keine Nötigung, Respekt vor den Sicherheitsbehörden."

Ähnlich äußerte sich SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, der die Landwirte aufforderte, sich an die demokratischen Spielregeln zu halten. "Demokratischer Protest lässt sich einfach erkennen: Er zeigt Respekt vor anderen Meinungen, verzichtet auf Gewalt oder deren Androhung, und er ist bereit zum Kompromiss", sagte Kühnert der Zeitung. Wer sich daran halte, müsse politisch gehört werden. "Wer dazu nicht in der Lage ist, dem sollte im Interesse der Sache und unserer Demokratie keine Bühne geboten werden."

Auf einem Schild an zwei Traktoren steht:
Die Bauern und Bäuerinnen protestieren gegen die Agrarpolitik der deutschen Bundesregierung.
IMAGO/Bernd März

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), der die Anliegen der Landwirte grundsätzlich unterstützt, kündigte ein konsequentes Vorgehen der Polizei gegen unangemeldete Verkehrsblockaden an.

Der baden-württembergische FDP-Landeschef und Verkehrsstaatssekretär Michael Theurer warnte dagegen vor einer Verurteilung der Bauernproteste. "Die Bauerndemos, die ich erlebt habe, waren friedlich und diszipliniert", sagte er der Zeitung.

Auf einem Banner steht:
Ein Bauernprotest Montagfrüh in Rottenburg.
IMAGO/Ulmer

Der CSU-Bundestagsabgeordnete und Rechtsexperte Volker Ullrich (CSU) warnte dagegen vor einer Unterwanderung der Bauernproteste durch Extremisten von außen. "Wer wie die Querdenker versucht, diese Proteste zu unterwandern, der will nicht die Anliegen der Bauern vertreten, sondern verfolgt eine Agenda der Polarisierung", sagte er der Zeitung. "Konkrete Versuche vor allem via Telegram, Proteste zu unterwandern, sehe ich mit Sorge."

Bauernverbandspräsident Rukwied hat rechte Gruppen davor gewarnt, die angekündigten Bauerndemonstrationen zu unterwandern. "Rechte und andere radikale Gruppierungen wollen wir auf unseren Demos nicht haben", sagte Rukwied der "Bild am Sonntag". "Wir sind Demokraten, und da findet ein politischer Wechsel, wenn, dann über die Stimmabgabe in der Wahlkabine statt", fügte er mit Blick auf Umsturz-Äußerungen rechter Gruppierungen hinzu.

Mehr als 100 Aktionen angekündigt

Die Landes- und Kreisverbände hätten mehr als 100 Aktionen in allen Bundesländern angemeldet. "Unsere Demonstrationen sind angemeldet, und wir machen von unserem Grundrecht Gebrauch, der Gesellschaft und der Politik zu vermitteln, dass Deutschland eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft braucht. Nur so kann die Versorgung mit hochwertigen heimischen Lebensmitteln gesichert werden", sagte Rukwied. (Reuters, APA, red, 8.1.2024)