Am Montag blockierten die Demonstranten die Berliner Innenstadt. Auch in vielen anderen deutschen Städten kam es zu Blockaden.
EPA/Filip Singer

Acht Grad minus hat es in Berlin, die Kälte sticht in Oberschenkel und Fingerspitzen. Doch Justin R. ist zufrieden. Seit Stunden wartet er mit seinem Traktor vor dem Brandenburger Tor - gleich in der ersten Reihe. "Stirbt der Bauer, stirbt das Land", steht auf seinem Fahrzeug. "Ich bin hier, weil das so nicht weitergeht", sagt der Landwirt aus dem brandenburgischen Lübben. Er meint damit nicht nur Kürzungen im Agrarbereich, sondern das gesamte Regierungshandeln. "Die Ampel muss weg", findet er. Deshalb ist er um Mitternacht von seinem Biohof weggefahren und hat sich mit unzähligen anderen Landwirten und Landwirtinnen auf den Weg zum großen Protest gemacht.

Der findet nicht nur in Berlin statt. In ganz Deutschland sind die ganze Woche hunderte Aktionen geplant: Demos, Blockaden, Kundgebungen, Konvois. Die Bauern machen mobil. Bäuerinnen sind übrigens auf der Straße des 17. Juni in Berlin kaum zu sehen. Der Frust der Bauern richtet sich gegen die Pläne der Ampelregierung. Diese hat in ihrer Finanznot beschlossen, im Haushalt 2024 Agrarsubventionen in Höhe von 920 Millionen einzusparen, dafür etwa die Kfz-Steuer-Befreiung für Fahrzeuge in der Landwirtschaft sowie die Subventionen für Agrardiesel zu streichen.

Regierung ruderte zurück

Es folgten massive Proteste, und die Ampel aus SPD, Grünen und FDP knickte ein. Am vergangenen Donnerstag erklärte sie, die Kfz-Steuer-Befreiung werde doch aufrechterhalten - und die Subventionen für Agrardiesel würden langsamer abgebaut: 2024 um 40 Prozent, 2025 und 2026 jeweils um 30 Prozent. Doch das reicht der Bauernschaft nicht. Sie will alle Kürzungen vom Tisch haben. Deshalb hat sie an der Aktionswoche festgehalten. "Wir bitten die Bevölkerung um Verständnis. Den großen Rückhalt und die Solidarität, die wir aus weiten Teilen der Gesellschaft erhalten, wollen wir nicht verlieren", sagte Joachim Rukwied, der Präsident des Bauernverbandes, dem Stern, bevor sich die Landwirte mit ihren Traktoren auf den Weg machten.

Am Montagvormittag wähnt man sich in der Berliner Innenstadt wie bei einer bäuerlichen Leistungsschau. Traktoren in allen Größen sind zu sehen, aber auch Pferdetransporter, Lieferwagen von Kartoffelbauern, Autobusse und Anhänger. Inmitten der Kolonne steht auch ein schwarzer Pkw mit der schwarz-weiß-roten Flagge aus dem Kaiserreich, die Reichsbürger verwenden. Nicht nach Berlin gekommen ist am Montagvormittag Rukwied. Der oberste Bauernvertreter Deutschlands tritt um kurz vor elf Uhr 650 Kilometer weiter südlich, im bayerischen Seeon, vor die Presse.

Protest der Bauern gegen geplanten Maßnahmen der Regierung in Berlin vor dem Brandenburger Tor.
Protest der Bauern gegen geplanten Maßnahmen der Regierung in Berlin vor dem Brandenburger Tor.
IMAGO/Andreas Friedrichs

Dort tagt die CSU-Landesgruppe im Bundestag, und diese hat Rukwied zu Gast, um ihm und den Landwirten ihre volle Unterstützung gegen die Ampelregierung zu versichern. "Wir haben erste Rückmeldungen. Es läuft alles friedlich ab", sagt Rukwied, und man sieht ihm durchaus Erleichterung an. Denn nicht nur der Bauernverband sorgt sich vor einer Unterwanderung des Protests durch Rechtsextreme. "Brandenburgische AfD-Funktionäre und der ,Dritte Weg‘ mobilisieren bereits", hatte das brandenburgische Innenministerium am Sonntag erklärt.

Vor einer Instrumentalisierung der Proteste warnte auch Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer. "In den vergangenen Jahren hätten Rechtsextremisten stetig und konsequent versucht, jede Form von legitimem Bürgerprotest zu unterwandern und damit in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen, indem sie sich als die wahren Volksvertreter aufspielen", sagte er in der Tageszeitung.

Video: Bauern blockieren bundesweit Straßen und Städte.
AFP

Aufruf zu "Umsturzrandale"

Die Welt am Sonntag berichtet, dass das Bundeskriminalamt Mobilisierungsaufrufe aus der rechtsextremen Szene, der Neuen Rechten und dem Querdenker-Milieu festgestellt habe. Darunter seien Aufrufe zu einem "Generalstreik" und "Umsturzrandale".

Die rechtsextremistische Partei Der "Dritte Weg" spricht laut Polizei von einem möglichen Bauernaufstand. AfD-Mitglieder und -Funktionäre der Partei würden als Veranstaltungsanmelder fungieren oder seien als Redner vorgesehen. "Gefährdungsrelevante Erkenntnisse" habe das Bundeskriminalamt aber nicht. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warnt in einem Video: "Es wird sichtbar, dass in den letzten Jahren etwas ins Rutschen geraten ist, was den legitimen demokratischen Protest und die freie Meinungsäußerung entgrenzt." Man dürfe nicht zulassen, dass Extremisten die Verunsicherung im Land "kapern":

Denn: "Umsturzfantasien heißen nichts anderes, als unseren demokratischen Staat zerstören zu wollen." Habeck war vor kurzem von Bauern daran gehindert worden, in Schlüttsiel (Schleswig-Holstein) eine Fähre zu verlassen, die ihn von einer Hallig, einer kleinen Marschinsel in der Nordsee, aufs Festland hätte zurückbringen sollen. Bauer Justin in der ersten Reihe vor dem Brandenburger Tor findet das auch nicht in Ordnung. Dennoch sagt er: "Der Habeck und die ganze Regierung müssen weg, die bringen nur Unglück." Aber wer soll stattdessen regieren? Darauf hat er keine Antwort. (Birgit Baumann aus Berlin, 8.1.2024)