Christian Lindner spricht vor dem Brandenburger Tor zu den Bauern und Bäuerinnen. So wirklich dringt er aber nicht zu ihnen durch.
Christian Lindner spricht vor dem Brandenburger Tor zu den Bauern und Bäuerinnen. So wirklich dringt er aber nicht zu ihnen durch.
EPA/Filip Singer

"Ich höre Sie!" Christian Lindner, der deutsche Finanzminister und FDP-Chef, steht am Montagmittag auf einer Bühne vor dem Brandenburger Tor und ruft laut in die Menge. Aber er kommt nicht durch damit. Zehntausende Bäuerinnen und Bauern stehen vor ihm und sind in Rage. "Du kannst nach Hause fahr'n, du kannst nach Hause fahr'n", skandieren sie. Dann schreien sie: "Hau ab, hau ab!" und pfeifen ihn gnadenlos aus. Also übernimmt Joachim Rukwied, der Präsident des Deutschen Bauernverbands, erst mal und bittet die Menge, die in der Kälte ausharrt: "Wir sind gut erzogen, wir hören unseren Gästen auch zu."

Viele wollen weder auf ihn noch auf Lindner hören. Eine Woche lang haben die Landwirte in Deutschland bundesweit gegen Kürzungen der Regierung im Agrarbereich protestiert. Am Montag röhrten schon in aller Früh die Motoren, noch einmal waren viele Hupen zu hören. Am Vormittag war das Regierungsviertel dicht, nichts ging mehr. So mancher Bauer hatte bei der Sternfahrt ins Berliner Zentrum auch Fäkalien an Bord. Diese mussten aber auf Anweisungen der Polizei erst mal zurückgelassen werden, dann durften die Bauern zur Kundgebung.

Auf dieser forderte Rukwied zunächst, was die Bauern schon die ganze Woche über verlangt hatten: den kompletten Erhalt der steuerlichen Vergünstigungen für Agrardiesel. Diese hatte die Regierung zunächst vollständig streichen wollen. Dann jedoch kam sie den Bauern mit einem schrittweisen Ausstieg entgegen. Zudem nahm die Ampel die geplante Streichung der Kfz-Steuerbefreiung in der Landwirtschaft wieder zurück.

"Genug ist genug"

Doch bei den Bauern gilt immer noch das von Rukwied formulierte Motto "Genug ist genug". "Ziehen Sie die Steuerpläne zurück, dann ziehen wir uns zurück", sagt er auf der Demo in Richtung Regierung. Als er den Namen des Kanzlers – Olaf Scholz – erwähnt, werden sofort Pfiffe laut.

Der Kanzler ist nicht gekommen, Lindner ist der einzige Vertreter der Bundesregierung, der sich der Wut der Bauern persönlich aussetzt. Vor dem Wochenende hat er in den sozialen Medien ein Video von sich – in Gummistiefeln – aus einem Stall gepostet. Zu sehen war auch, wie sich Lindner über ein neugeborenes Kälbchen freut.

Am Brandenburger Tor geht es wesentlich weniger kuschelig zu. Lindner muss seine Rede schreiend halten. "Ich habe Verständnis für den Protest. Ihr Protest ist legitim und friedlich", sagt er zu den Bauern. "Lügner! Lügner!", schallt es ihm entgegen, auch eine Rauchbombe wird gezündet. Doch Lindner hält durch und erklärt, warum er die Steuervorteile beim Agrardiesel streichen wird. Weil er als Finanzminister das Geld zusammenhalten müsse und Deutschland nicht immer noch mehr Schulden machen könne. "Alle müssen ihren Beitrag leisten", sagt er und wird erneut ausgebuht. Aber ein kleines Angebot hat Lindner doch mitgebracht. "Ich kann Ihnen heute nicht mehr Hilfe versprechen aus dem Bundeshaushalt", sagt er, schlägt aber vor, über den Abbau von Bürokratie zu sprechen. Gut kommt auch das nicht an.

Unterstützung aus Bayern

Unterstützung bekommen die Bauern aus Bayern. Dort fordert Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder Kanzler Scholz auf, die Landwirte ins Kanzleramt einzuladen und mit ihnen zu sprechen. Scholz jedoch lässt an einem solchen Treffen kein Interesse erkennen. Er hat sich am Wochenende per Video zu den Protesten geäußert, auch Verständnis gezeigt, aber kein weiteres finanzielles Entgegenkommen in Aussicht gestellt.

Am Montagnachmittag wurden die Vertreterinnen und Vertreter von acht Bauernverbänden aber im Bundestag gehört. Zu dem Gespräch eingeladen hatten die Fraktionschefs von SPD, Grünen und FDP.

Und der deutsche Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) hat einen neuen Vorschlag ins Spiel gebracht. In der "Süddeutschen Zeitung" spricht er sich für eine Art Agrar-Solidaritätszuschlag aus und sagt: "Schon wenige Cent mehr pro Kilo Fleisch würden bedeuten, dass unsere Landwirte Tiere, Klima und Natur besser schützen können – so, wie es doch alle verlangen." Mit dem Geld könnten die Landwirte die Ställe tierfreundlicher umbauen. (Birgit Baumann aus Berlin, 15.1.2024)