Fleisch im Reagenzglas
Lebensmittel ohne Biografie
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Laborfleisch

Für viele moderne Menschen ist das, was man unter dem wunderschönen Begriff "Lebensmittel" kennt, die wohl letzte Verbindung, die sie überhaupt noch zur Natur pflegen. Echte Lebensmittel erzählen Geschichten von der Natur und der Kultur, aus der sie stammen – und vom Leben der Nutztiere und der Menschen, denen wir sie verdanken. Lebensmittel aus dem Labor erzählen rein gar nichts.

Ein Laib Brot
Überbezahlte Laibe tragen die lustigsten Namen
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Teures Brot

Jaja, man hat es gehört: Preiserhöhung bei Strom und bei Grundzutaten wie Mehl treiben nicht nur den Brotpreis, sondern auch das Bäckersterben an. Wobei Letztgenanntes aber durchaus nicht alle zu betreffen scheint. Ausgerechnet jene Bäcker, die die dreisteste Preispolitik betreiben, eröffnen nämlich eine hippe Designfiliale nach der anderen. Vorwerfen kann man ihnen das freilich nicht. Und neiden will man es ihnen auch nicht. Wundern darf man sich dennoch, wie viele Menschen bereit sind anzustehen, um 13 Euro oder mehr für ein Kilo Grundnahrungsmittel zu bezahlen. Und nein: Keinesfalls ist minderwertiges und schnell aufgebackenes Supermarktbrot die einzige Alternative zu den überbezahlten Laiben mit den ausgefallenen Zutaten und den lustigen Namen. Unter den handwerklich arbeitenden Bäckern gibt’s nämlich noch ganz "normale", wie der Bundeskanzler sagen würde. Und die gehören auch unterstützt.

Bierfass, Bierflasche, Gläser und Getreide
Nicht jedes Getränk mit zu viel Hopfen ist ein Indian Pale Ale
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IPA

Zu Beginn der Craftbier-Welle war es ja noch durchaus erfreulich, dass es endlich Bier gab, das sich geschmacklich vom ­damals üblichen Einheitsgebräu abhob. Doch was einem da mittlerweile und immer öfter als Indian Pale Ale serviert wird, scheint auf einem Missverständnis zu beruhen, das besagt: Hopfen im Bier ist gut, also sind gewaltige Mengen davon noch besser. Ist aber nicht so.

Blumenblüten, Eier, Salat
Versteckt sich da ein Essen unter der Blumendeko?
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Hübsche Blümchen

Geschmacklich bringen sie in den allermeisten Fällen rein gar nichts, vielmehr sollen die kleinen bunten und mit Pinzette drapierten Blümchen auf den Gerichten wohl das Auge und damit Instagram ansprechen. Ob sie das wirklich tun, ist fraglich. Denn somit sind sie ja als reine Dekoration entlarvt, erinnern an die China-Restaurants der 70er-Jahre und wirken eher albern bis peinlich als irgendetwas sonst.

Burger-Patties aus Fleischersatz
Imitiertes, vakuumverpacktes Fleisch für den herzhaften Burger
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Fleischersatz-Burger

Vor circa zwei Jahren waren sie Gesprächsthema Nummer eins, fanden sich in jeder Fastfood- und Discount-Supermarktkette und zogen zahlreiche Inves­toren an. Inzwischen hat sich der Hype um die ultra-verarbeiteten Fleischersatzlaberln zum Glück gelegt. Doch die Gefahr, dass er ein Comeback feiert, ist durchaus gegeben. Zumindest so lange, bis sich endlich die Erkenntnis durchsetzt, dass auch Pflanzen wunderbar und obendrein nahrhaft sind – und es sowieso reichlich grotesk ist, Fleisch imitieren zu wollen, wenn man kein Fleisch essen will.

Blinis, mit Lachs, Dille und Kaviar
Das "Sahnehäubchen" ist diesfalls ein Kaviar-Gupf.
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Kaviar vom Zuchtstör

Manche werden sich noch an die Zeiten ­erinnern, als Kaviar ein edler und seltener Genuss war, aus unzähligen knackigen Körnern, die unter dem Druck der Zunge zuerst knisterten, dann platzten und schließlich einen intensiven und beglückenden Geschmack von Fisch, Meer, Gischt und Salz freisetzten. Doch das war der Kaviar von wildgefangenem Stör. Den gibt es heute nicht mehr, denn der Fisch ist vom Aussterben bedroht, sein Fang verboten. Und da ist gut so. Was nicht gut ist, ist Kaviar aus Störzuchten. Vom einstigen Erlebnis ist, bis auf die Salzigkeit, nämlich nichts geblieben. In der Regel ist Zucht­kaviar von matschiger bis schleimiger Konsistenz, sein Geschmack nicht vorhanden bis unangenehm modrig. Und dennoch trifft man allerorts auf ihn – vom Discount-Supermarkt bis zum Spitzenrestaurant. Sogar in den angesagtesten Lokalen Skandinaviens entwischt man ihm nicht mehr. Dabei waren es doch gerade die nordischen Köche, die einst eine kleine Re­volution anfachten, indem sie auf die bis dahin üblichen Bling-Bling-Produkte verzichteten und stattdessen übersehene und vergessene Zutaten (wie etwa den Rogen anderer Fischarten) verarbeiteten. Nun sind also auch sie der Effekthascherei verfallen. Denn nichts anderes ist in den ­allermeisten Fällen das allgegenwärtige Gupferl Kaviar, mit dem man heute ständig beeindruckt werden soll.

Eier mit Federn und Stroh
Eier mit Federn und Stroh? Sind bestimmt Bio!
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Bio-Gläubigkeit

Bio ist freilich viel mehr als ein Trend – und natürlich viel besser als konventionell. Für Geschmack und menschliche Gesundheit zwar eher nicht, aber, so heißt es, für die Umwelt, die Gesundheit der Böden und das Wohlbefinden der Nutztiere. Bio hat aber auch ein ernstes Problem. Und das liegt dar­in, dass es dafür ein Label gibt; und die Industrie nichts lieber hat als Labels, die beim Konsumenten Vertrauen wecken. Und so kann man heute wählen, ob man heimische Tomaten aus fossil beheizten Glashäusern will. Oder aber Freilandtomaten aus Sizilien oder Andalusien, die von afrikanischen Wanderarbeitern geerntet werden, die in sklavenähnlichen Zuständen leben. In zertifizierter Bio-Qualität gibt’s nämlich beides. Genauso wie es Bio-Eier von Legehennen aus Massenhaltung gibt und Lachs, der, um als Bio zu gelten, mit weniger tierischem Eiweiß gefüttert werden muss, was allerdings seiner Natur als Fleischfresser und damit einer "artgerechten" Haltung widerspricht. All das macht den verantwortungsvollen Einkauf nicht einfacher. Aber das tut das Bio-Label eben auch nicht. Und dessen sollte man sich zumindest bewusst sein.

Fleischersatz, Spargelspitzen und Kürbis
Vegan fein essen gehen zu Spitzenpreisen
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Veganes Fine Dining

Ein Statement gegen die Massentierhaltung wolle er setzen, sagte der Schweizer Küchenchef Daniel Humm, als er vor zwei Jahren verkündete, in seinem New Yorker Luxusrestaurant kein tierisches Eiweiß mehr zu servieren. Das ist freilich löblich, denn Massentierhaltung mag ja niemand. Und da es offenbar genügend Gäste gibt, die bereit sind, 300 Euro oder mehr für ein rein pflanzliches Menü zu bezahlen, machten es ihm mehrere seiner Kollegen nach. Ob eine derartige auf die Spitzengastronomie beschränkte Bewusstseinsbildung tatsächlich irgendetwas ändern kann am grauenvollen System der industriellen Tierhaltung, bleibt dahingestellt. Viel mehr drängt sich die Frage auf, wer sonst, wenn nicht die gefeierten Spitzenköche, mit gutem Beispiel vorangehen und die verantwortungsvollen Züchter unterstützen soll, die einen anderen Weg gehen und ihre Tiere artgerecht halten? (RONDO, Georges Desrues, 18.01.2024)