In diesem Landhotel in Potsdam, Brandenburg trafen sich im November 2023 Rechtsextreme und AfD-Politiker.
In diesem Landhotel in Potsdam, Brandenburg trafen sich im November 2023 Rechtsextreme und AfD-Politiker.
EPA

"Es gibt drei Zielgruppen der Migration, die Deutschland verlassen sollen. Asylwerber, Ausländer mit Bleiberecht und nicht assimilierte Staatsbürger." Diese Worte fielen am Mittwochabend im Berliner Ensemble. Gesprochen wurden sie auf der Bühne des Theaters bei einer szenischen Lesung von einem Schauspieler, der den österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner darstellte.

Auf diese Weise wurden noch einmal jene Recherchen der Rechercheplattform "Correctiv" aufgegriffen, die seit Tagen in Deutschland, aber auch in Österreich debattiert werden. Aufgedeckt worden war von "Correctiv" ein Geheimtreffen in Brandenburg, bei dem Rechtsextreme und AfD-Politiker über die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland beraten hatten.

Video: "Lehnitzseekonferenz" mit Vertreibungsplan sorgt für Empörung.
AFP

Erstmals öffentlich gemacht wurden am Mittwochabend auch die Aktivitäten eines wissenschaftlichen Mitarbeiters eines AfD-Bundestagsabgeordneten.

Laut "Correctiv" hat der Mitarbeiter des AfD-Abgeordneten den Aufenthaltsort eines Antifa-Aktivisten verraten. Der Mann soll dann verprügelt worden sein. Gegenüber "Correctiv" bestritt der AfD-Mitarbeiter, damit etwas zu tun gehabt zu haben.

Im Landhaus Adlon, wo das Treffen stattfand, habe er sich laut "Correctiv" auch damit gebrüstet, auf der Plattform X, vormals Twitter, den reichweitenstarken Kanal "Dokumentation Linksextremismus" zu betreiben, der geleakte Details über linke Akteure verbreitet und sie dort wie auf dem Präsentierteller preisgibt – mit Foto, Klarnamen und anderen Angaben. Wer hinter dem Kanal steht, war bisher nicht bekannt. Von "Correctiv" befragt, widersprach der Mitarbeiter des AfD-Abgeordneten der Darstellung.

Mit Sorge sieht die Thüringer Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss (Linkspartei) die Tätigkeit des Mitarbeiters im Bundestag. Er habe dort "Zugriff auf Informationen, an die nicht jeder kommt". Er könne über parlamentarische Informationssysteme verfügen, Flurgespräche oder Inhalte aus Ausschüssen mitbekommen, Kontakte aufbauen. "Ein extrem rechter Gewalttäter bekommt darüber die Zeit, die Infrastruktur und Möglichkeiten, um seine politische Agenda zu betreiben", warnt die Linken-Politikerin.

Im Visier des Verfassungsschutzes

Rechtsextremismus-Fachleuten war der Mitarbeiter laut "Correctiv" bereits lange vor dem Treffen nahe Potsdam ein Begriff: Er spielte laut Verfassungsschutz innerhalb der Identitären Bewegung lange eine zentrale Rolle und schrieb als Reporter des stramm rechten Magazins "Compact". Als im März 2020 mehrere Dutzend Neonazis nach Lesbos reisten, war auch er mit vor Ort, angeblich als Reporter. Laut Berichten sollen einige versucht haben, Boote von Geflüchteten zu behindern. Offenbar wurde die Gruppe von Antifaschisten angegriffen: Ein Foto zeigt den Mitarbeiter des AfD-Abgeordneten mit geballter Faust, neben einem Mann mit blutverschmierter Glatze.

In rund 40 Theatern und Kinos in Deutschland und Österreich wurde die szenische Lesung per Livestream übertragen. In Wien gab es ein Public Viewing in der Roten Bar des Volkstheaters, also an jenem Theater, dessen Intendant der Regisseur des Abends in Berlin war: Kay Voges.

Im Volkstheater führten Politikwissenschafter Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und die Politikwissenschafterin Natascha Strobl in die Materie ein. Weidinger lobte zwar die Aufdeckergeschichte von "Correctiv", zeigte sich aber auch ein wenig überrascht ob des Neuigkeitsgehalts der Inhalte, die bei der Konferenz besprochen wurden. Sowohl die AfD als auch die FPÖ hätten in ihrer gemeinsam Mission seit Jahren ähnliche Inhalte verbreitet. Zuletzt habe etwa ein Döblinger Lokalpolitiker der FPÖ in einem rechtsextremen Medium öffentlich gefordert, dass man jedes Jahr mindestens 70.000 Menschen abschieben solle.

Strobl wies auch auf die "Reinheitsfantasien" hin, die etwa in den Plänen Martin Sellners steckten, Vertriebene an einem Ort in Afrika zu sammeln. Besonders interessant fand Weidinger an der Konferenz am Lehnitzsee aber die Rolle des Unternehmertums und der CDU sowie der Werteunion, die durch die Recherche von "Correctiv" bekannt wurde. Stehe die FPÖ nicht eigentlich in Österreich im Herbst auf dem Wahlzettel?, fragte Strobl. Ja, sagte Weidinger, inhaltlich unterscheide sich die FPÖ nicht mehr von den Identitären. Außer dass sie eine "Partei ist, die zu Wahlen antritt und die Farbe Blau führt". (Birgit Baumann, Colette M. Schmidt, 17.1.2024)