In das Kondolenzbuch für Wolfgang Schäuble trug sich auch Deutschlands Ex-Kanzlerin Angela Merkel ein.
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Berlin – Abschied vom früheren deutschen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble in Berlin: In einem öffentlichen Gedenkgottesdienst im Berliner Dom haben am Montag Vertreterinnen und Vertreter von Politik und Zivilgesellschaft Abschied von dem am 26. Dezember verstorbenen CDU-Politiker genommen. Dem Gottesdienst schloss sich ein Trauerstaatsakt im Bundestag an. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron würdigte Schäuble als Freund Frankreichs und großen Europäer.

Auf Deutsch sagte er in seiner Trauerrede im Bundestag in Berlin: "Deutschland hat einen Staatsmann verloren. Europa hat eine Säule verloren. Frankreich hat einen Freund verloren." Schäubles Wunsch, einen Franzosen im Bundestag sprechen zu lassen, sage viel über sein Vertrauen in Frankreich und Deutschland aus.

Macron erinnerte auch an den Tod des früheren EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors' am 27. Dezember, einen Tag nach Schäuble. "Nacheinander hat Europa zwei seiner großen Vordenker verloren." Beide seien Gründerväter der europäischen Einigung und der Aussöhnung der Völker gewesen. "Zwei Staatsmänner, die für ihre Länder und Europa alles gegeben haben." Es seien zwei Leben als Bindeglieder und Vermittler gewesen. "Sie sind im Abstand von einer Nacht von uns gegangen, und unser Herz als Europäer trägt nun zweifache Trauer."

Emmanuel Macron, Gedenkfeier Schäuble
"Frankreich hat einen Freund verloren", würdigte der französische Präsident Emmanuel Macron Schäuble.
APA/AFP/MICHELE TANTUSSI

"Staatsmann, Vordenker, besonderer Freund"

Eröffnet wurde der Staatsakt mit einer Rede der deutschen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, die Schäuble für seine Verdienste um Deutschland und Europa Dank aussprach. "Deutschland verliert einen großen Demokraten und Staatsmann, Europa einen Vordenker, und Frankreich einen besonderen Freund", sagte die SPD-Politikerin. Schäuble sei in seinen mehr als 50 Jahren als Bundestagsabgeordneter ein "Ausnahmeparlamentarier" gewesen, sagte Bas. "In seinen Reden beeindruckte er mit intellektuellem Scharfsinn, sprachlicher Präzision und politischer Angriffslust." Schäuble sei mit seinem Pflichtbewusstsein "der vollendete Staatsdiener" gewesen. "Zum Schluss war er zu einer Instanz geworden – über Parteigrenzen hinweg."

Wir verneigen uns vor einem wahren Staatsmann unseres Landes, vor einem europäischen Staatsmann, vor einem streitbaren Demokraten, vor einer prägenden Persönlichkeit der jüngeren Geschichte unseres Landes", sagte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz in seiner Gedenkansprache im Bundestagsplenum. "Er konnte in der Sache sehr hart sein, und das hat ihm – zum Beispiel in der Finanzkrise – nicht nur neue Freunde eingetragen", sagte Merz über den Verstorbenen, der zu seinen Vorgängern an der Spitze von Partei und Fraktion zählt. "Aber sein Umgang war immer fair, er war immer bereit, seinem Gegenüber respektvoll zuzuhören, und er war immer bereit, im Interesse Europas Kompromisse zu machen."

Im Anschluss lud der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu einem Trauerempfang ebenfalls im Reichstagsgebäude ein. Auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) nahm an den Feierlichkeiten teil.

Die amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischöfin Kirsten Fehrs, würdigte im Berliner Dom den Verstorbenen als leidenschaftlichen Demokraten und prinzipienfesten Politiker. Schäuble sei ein "Antipopulist und ein Mensch" gewesen, "der sich ganz und gar, mit all seiner Kraft, Leidenschaft und Hingabe in den Dienst unseres Gemeinwesens und unserer Demokratie gestellt hat", sagte die Bischöfin laut EKD-Mitteilung in ihrer Predigt im Berliner Dom. Schäuble habe "als gläubiger Protestant gelebt und gehandelt". Ihn habe eine "klare, geistreiche Realpolitik" ausgezeichnet.

Politiker in vielen Rollen

Schäuble war am Stefanitag 2023 im Alter von 81 Jahren gestorben. Er wurde Anfang Jänner in seiner Heimatstadt Offenburg (Baden-Württemberg) beigesetzt. Mit dem Namen Schäuble sind Jahrzehnte deutscher Politik verbunden. Unter Kanzler Helmut Kohl war er zunächst Chef des Bundeskanzleramts und Bundesminister für besondere Aufgaben, von 1989 bis 1991 deutscher Innenminister. Schäuble handelte nach dem Mauerfall in der DDR den Einigungsvertrag mit aus.

Seit dem Attentat eines geistig verwirrten Mannes auf ihn im Oktober 1990 saß Schäuble im Rollstuhl, seine politische Karriere ging aber weiter. Von 1991 bis 2000 führte er die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Nach dem Machtverlust der Union 1998 wurde Schäuble im Zuge der Neuaufstellung der CDU Parteichef. Angela Merkel wurde Generalsekretärin.

In den Turbulenzen der CDU-Spendenaffäre und nach Aussagen zu einer 100.000-Mark-Barspende trat Schäuble im Februar 2000 als CDU-Chef zurück. Merkel wurde Parteichefin. 2005 machte sie als Kanzlerin Schäuble zum Innenminister, vier Jahre darauf zum Finanzminister. Nach der Bundestagswahl 2017 wurde Schäuble zum Bundestagspräsidenten gewählt, das zweithöchste Amt im Staat. Nach der von der Union verlorenen Bundestagswahl 2021 zog sich Schäuble aus den Führungsgremien zurück. (APA, red, 22.1.2024)