Marine Le Pen
Marine Le PensRassemblement National dürfte bei der EU-Wahl gute Chancen auf mehr Sitze im Parlament haben.
IMAGO/PanoramiC

Brüssel – Eine am Mittwoch veröffentlichte Studie des European Council on Foreign Relations (ECFR) warnt vor einem deutlichen Rechtsruck bei der EU-Wahl im Juni. Antieuropäische populistische Parteien würden demnach in neun EU-Staaten – darunter Österreich – an der Spitze der Wählergunst stehen und in weiteren neun Ländern den zweiten oder dritten Platz belegen. Die FPÖ würde die Zahl ihrer EU-Abgeordneten demnach von drei auf sechs verdoppeln.

Die Studie "A sharp right turn: A forecast for the 2024 European Parliament elections" ("Scharfe Rechtskurve: Eine Prognose für die Wahlen zum Europäischen Parlament 2024") stützt sich auf aktuelle Meinungsumfragen aus allen 27 EU-Staaten. Die Autoren, unter ihnen die führenden Politikwissenschafter und Meinungsforscher Simon Hix und Kevin Cunningham, gehen davon aus, dass die beiden zentralen politischen Gruppierungen im Europäischen Parlament – die Europäische Volkspartei (EVP) und die Sozialisten und Demokraten (S&D) – wie schon bei den letzten beiden Wahlen Sitze verlieren werden.

Obwohl die EVP aller Voraussicht nach die größte Fraktion bleibt – und damit die Agenda mitbestimmen wird –, gehen Hix und Cunningham davon aus, dass populistische Stimmen im nächsten EU-Parlament präsenter und stärker in die Entscheidungsfindung einbezogen sein werden. Dies könnte eine ernsthafte Bedrohung für wichtige Pfeiler der europäischen Agenda darstellen, unter anderem für den Grünen Deal, die weitere Unterstützung der Ukraine und die Zukunft der EU-Erweiterung.

Entscheidende Rolle der Fidesz-Partei

So dürfte in Frankreich Emmanuel Macrons Renaissance-Partei voraussichtlich beträchtlich an Marine Le Pens Rassemblement National verlieren. Dieses soll laut der Studie 25 Abgeordnete gewinnen. Die Alternative für Deutschland (AfD) dürfte ihre Vertreterzahl nahezu verdoppeln und möglicherweise 19 Sitze erreichen. Die Fidesz-Partei von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbén (Prognose: 14 Sitze) könnte eine entscheidende Rolle spielen: Entschließt sie sich, den Europäischen Konservativen und Reformern (EKR) beizutreten, könnten diese drittstärkste Fraktion werden und gemeinsam mit der Fraktion Identität und Demokratie fast ein Viertel aller Abgeordneten stellen.

Folglich läge fast die Hälfte der Sitze außerhalb der "großen Koalition" der zentristischen Fraktionen EVP, S&D und der liberalen Renew Europe (RE). Deren Anteil an den Mandaten dürfte von 60 auf 54 Prozent sinken. Aufgrund dieses Rückgangs könnte die Koalition nicht mehr über genügend Sitze verfügen, um bei wichtigen Abstimmungen eine Mehrheit zu erlangen.

Populismus mit Trump auf Höhepunkt

Die Studie warnt davor, dass die europäischen Ergebnisse Vorboten für nationale Wahlen sein könnten, etwa in Österreich, Deutschland und Frankreich. In Österreich könnte sich ein Anstieg der Unterstützung für die FPÖ bis zur Nationalratswahl im Herbst 2024 fortsetzen, und auch in Deutschland könnte der zu erwartende Einfluss der AfD die politische Landschaft und das politische Narrativ vor der Bundestagswahl 2025 prägen.

"Vor dem Hintergrund eines erstarkenden Populismus, der mit Donald Trumps Rückkehr ins US-Präsidentenamt im Laufe dieses Jahres einen neuen Höhepunkt erreichen könnte, müssen die Parteien der politischen Mitte aufwachen und sich klar mit den Forderungen der Wähler auseinandersetzen", betont Co-Autor Hix, Professor am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. (APA, 24.1.2024)