Seit etwas mehr als einem Jahr ist Sabine* Oma. Derzeit sieht die 58-Jährige ihr Enkelkind aber nicht sehr oft. Das möchte sie ändern: "Ich will einfach ein fester Bestandteil im Leben meines Enkels sein. Eine Großelternkarenz würde ich sofort in Anspruch nehmen, wenn es sie gäbe – auch mit finanziellen Abschlägen", sagt sie.

Diese Idee einer Karenz für Omas und Opas stellte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) kürzlich in seinem "Österreich-Plan" vor. Geht es nach ihm, könnten sich berufstätige Großeltern künftig vom Erwerbsleben zurückziehen, um für ihre Enkel Betreuungspflichten zu übernehmen, und Kinderbetreuungsgeld beziehen.

Großmutter hält ihr fünf Monate altes Enkelkind
Mit den Enkeln spielen und Zeit verbringen, das schätzen viele Großeltern. Eine Karenz für berufstätige Omas oder Opas würde aber mehr bedeuten, als ab und zu einmal aufzupassen, sagt IHS-Forscherin Andrea Leitner.
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Wäre ein solches Modell für viele Familien umsetzbar? "Das ist schwer zu sagen. Das geht eigentlich nur dann, wenn ein sehr enger Kontakt und auch eine räumliche Nähe bestehen", sagt Andrea Leitner, Karenzexpertin am In­stitut für Höhere Studien (IHS). "Schließlich geht es bei einer Karenz nicht darum, ab und zu einmal aufzupassen oder ein bisschen zu helfen", erklärt sie. Diese Personen müssten die Hauptbetreuungszeit übernehmen. Gerade in ländlichen Regionen, in denen es häufig an Infrastruktur wie Kindergartenplätzen fehlt, bedeute das lange Betreuungszeiten für Omas und Opas.

Keine Option

"Seitdem ich ein 14 Monate altes Enkelkind habe, betreue ich es mit meiner Frau zusammen am Wochenende mit", sagt Martin*, der in einem Wiener Unternehmen arbeitet. "Weil wir nicht weit voneinander entfernt wohnen, übernachtet die ganze Familie dann bei den Großeltern, und somit können wir auch gut an der Erziehung teilhaben", berichtet der 61-Jährige. Zurzeit wäre es weder für ihn noch für seine Frau möglich, unter der Woche auf das Enkelkind aufzupassen, weil sie beide Vollzeit arbeiten.

"Sobald es in den Kindergarten kommt, will die Oma aber zumindest an einem Tag ihre Stunden kürzen und das Kind vom Kindergarten holen und betreuen, da die Eltern dann beide wieder arbeiten", erzählt er. Für seine Frau sei es als Filialleiterin leichter möglich, ihre Stunden zu verlegen. Für ihn, den Opa, ginge das nicht. Er müsste seine Stunden dann kürzen, und das "würde sich finanziell äußerst negativ auswirken". Auch eine Großelternkarenz könnte Martin sich nicht vorstellen, weil er dann mit weniger Pension rechnen müsste. Außerdem: "Ich bin seit 27 Jahren in der Firma und weiß, dass sie damit nicht einverstanden wären." Für ihn wäre die Altersteilzeit eigentlich eine gute Option – aber auch diese biete sein Arbeitgeber nicht an.

Einen Vorzug der Altersteilzeit betont in diesem Zusammenhang auch An­drea Leitner: "Hier gibt es keinen Nachteil im Ruhestand, weil die vollen Pensionsversicherungsbeiträge vom AMS eingezahlt werden." Abgesehen vom finanziellen Aspekt sieht die Expertin auch ein Problem in der Benachteiligung, die Karenzierten bereits in der Jobwelt begegnen würde: "Das ist oft noch gar nicht so offensichtlich. Wenn man zurückkommt, wird man beispielsweise für andere Jobs oder Tätigkeiten eingeteilt, bei Beförderungen übergangen oder Ähnliches. Die Karenzzeit ist nach wie vor ein Zeichen dafür, dass Personen neben ihrer Arbeit noch einen zweiten Job zu erledigen haben – und zwar die Kinderbetreuung." Auch zahlreiche Studien belegen: Eltern gelten immer noch häufig als weniger flexibel, leistungsfähig und engagiert. Umgehen könne man dieses Stigma und seine Folgen also nur, wenn die Großelternkarenz direkt in die Pension übergehe.

Finanzielle Einbußen

Interessant findet Leitner, dass dieser Vorschlag komme, nachdem das Pensionsantrittsalter für Frauen nun sukzessive angehoben werde. Bis 2033 soll die Lücke zwischen den Geschlechtern geschlossen werden, der Übergang in den Ruhestand für beide erst mit 65 Jahren erfolgen. "Das frühere Regelpensionsalter von Frauen mit 60 Jahren hat meiner Einschätzung nach auch etwas damit zu tun, dass Frauen häufig in der Pension für die Pflege und Betreuung von Familienmitgliedern zuständig sind. Und zwar nicht nur von älteren Partnern oder Angehörigen, sondern auch von Enkelkindern", sagt sie.

Dem Ansatz, Frauen länger in Beschäftigung zu halten und finanzielle Abhängigkeit zu reduzieren, stehe die Großelternkarenz diametral entgegen: "Wenn eine Betreuungskarenz nun auch für ältere Arbeitnehmerinnen hinzukommt, wird das vermutlich das Pensionskonto einschränken und die Probleme, die es jetzt schon in weiblichen Erwerbsbiografien gibt – durch Unterbrechung und Teilzeitarbeit – noch weiter verstärken." Derzeit liegt die Pension jeder fünften Frau unter der Armutsgrenze.

Hinzu komme laut Leitner auch ein fehlender finanzieller Ausgleich vor dem Ruhestand: "Die Karenz zeichnet sich eigentlich dadurch aus, dass man Verdiensteinbußen hat, die durch einen Partner ausgeglichen werden. Das fällt in der Großelternkarenz aber weg." Zudem könnten die Verluste höher sein, wenn man davon ausgeht, dass Personen im späteren Erwerbsleben in der Regel auch mehr verdienen.

Strukturelle Benachteiligung

Doch nicht nur individuelle Benachteiligungen, sondern auch der strukturelle Aspekt sei laut der Expertin zu bedenken: "Nicht nur junge Frauen gelten dann als unsichere Arbeitskräfte, weil sie als Mütter in Karenz gehen könnten, sondern auch ältere als Großmütter." Bereits jetzt würden älteren Beschäftigten und vor allem Frauen am Jobmarkt Diskriminierung aufgrund des Alters und des Geschlechts begegnen.

"Wenn man dieses Modell wirklich einführt, müsste man ganz massiv darüber nachdenken, wie man Männer dazu bewegt, sich aus dem Arbeitsprozess zu begeben und auf die Kinder zu schauen", sagt Manuela Vollmann, Geschäftsführerin des Frauenberufszentrums ABZ in Wien. Denn das Väterkarenzmodell sei bislang nicht sehr erfolgreich, obwohl es Kurzvarianten und Papamonat gibt (siehe Infobox unten).

Anreize schaffen

Woran liegt das? "Solange Betriebe nicht merken, dass sie einen Nachteil haben, wenn sie nicht das ganze Potenzial von Arbeitskräften nutzen, wird sich nichts ändern", sagt Vollmann. Bei den Stellschrauben sind sich die Expertinnen einig: gute Vorbilder, betriebliche Förderungen, damit beide Elternteile in Karenz gehen können, und kürzere Arbeitszeiten. Die politische Diskussion gehe aber aktuell in die gegenteilige Richtung: Vollzeitbeschäftigung fördern, durch nicht versteuerte Überstunden Anreize schaffen, länger zu ar­beiten. "Das Signal ist, dass es in der Familie durchaus Sinn ergibt, eine Arbeitsteilung zu leben, bei der sich eine Person auf die Erwerbsarbeit konzentriert und die andere stärker für die Betreuung zuständig ist", sagt Leitner.

Vollmann sieht hier auch eine starke gesellschaftliche Komponente: "Das Wort Rabenmutter gibt es nur im deutschsprachigen Raum – und es wirkt in beide Richtungen. Denn es gibt auch genug Väter, die nicht 70 Wochenstunden arbeiten, sondern Zeit mit ihrer Familie verbringen wollen." Mit dem von der Regierung angekündigten Budget von 4,5 Milliarden Euro für den Ausbau von Kinderbetreuung sei vieles möglich: "Der Fokus müsste jetzt auf der Umsetzung liegen – denn wir brauchen noch viel Anstrengung, Aus­bildung von Personal, Struktur in den Gemeinden und vor allem Überzeugungsarbeit. Aus den Kinderbetreuungsmilliarden müssen Gleichstellungsmilliarden werden." (Anika Dang, Melanie Raidl, 4.2.2024)