Derzeit leben in Österreich über 5.000 Kinder in Pflegefamilien, weil ihre leiblichen Eltern nicht ausreichend für sie sorgen können. Pflegeeltern werden in Österreich laufend gesucht. Paare können sich dafür ebenso melden wie Alleinerziehende. Doch viele Menschen haben Vorbehalte – zu Unrecht, finden die Pflegemütter und -väter, mit denen DER STANDARD gesprochen hat. Im Interview berichten sie von ihren Erfahrungen.

"Das Kennenlernen war sehr aufregend"

Gerald Brandstätter lebt mit seiner Frau, seinem Adoptivsohn (acht Jahre alt), der als Pflegekind in die Familie kam, einem Pflegesohn (sieben Jahre alt) und einer leiblichen Tochter (fünf Jahre alt) in Kärnten.

"Auf natürlichem Weg hat es bei uns nicht funktioniert, ein Kind zu bekommen. Wir haben dann die Ausbildung gemacht und wollten ein Kind adoptieren. Im Laufe des Kurses hat sich das aber geändert. Wir hatten noch das veraltete Bild im Kopf, dass man Pflegekinder irgendwann zurückgeben muss. Im Kurs sind wir dann aufgeklärt worden, dass das nicht so ist und dass statistisch gesehen nur ganz wenige Kinder tatsächlich wieder aus der Pflegefamilie genommen werden. Wir hatten dann im Bezug auf Pflegekinder keine Berührungsängste mehr und entschieden, dass wir ein Pflegekind aufnehmen wollen. Als wir das der Sozialarbeiterin gesagt haben, meinte sie: 'Gratuliere, Sie werden heuer noch Eltern.' Das war total schön.

Etwa ein Jahr nachdem unser erster Sohn zu uns gekommen ist, haben wir entschieden, dass wir bereit für ein zweites Kind sind. Zu dieser Zeit haben wir von der Sozialarbeiterin erfahren, dass die Eltern unseres Großen ihn zur Adoption freigeben wollen. Das haben wir dann auch sofort gemacht. Dann kam unser zweiter Sohn zu uns als Pflegekind, und als er bei uns eingezogen ist, sind wir draufgekommen, dass meine Frau schwanger ist.

Bei den Pflegeeltern-Ausbildungen in Kärnten berichten meine Frau und ich von unserer Geschichte, um den Menschen in den Kursen die Angst zu nehmen und Hoffnung zu geben.

Für uns gibt es gefühlsmäßig überhaupt keine Unterschiede, ob ein Kind jetzt adoptiert, ein leibliches oder ein Pflegekind ist.

Gerald Brandstätter und seine Frau haben zwei Buben als Pflegekinder aufgenommen. Dann erfuhren sie, dass sie noch eine leibliche Tochter erwarten. "Wir lieben alle drei gleich und von ganzem Herzen."
privat

Wir haben derzeit keine Besuchskontakte, weil die leiblichen Eltern irgendwann nicht mehr gekommen sind. Als wir noch Kontakte hatten, sind diese Termine immer sehr gut und professionell abgelaufen, obwohl man natürlich gemerkt hat, dass es für die leiblichen Eltern nicht immer leicht war. Prinzipiell war das Verhältnis gut und respektvoll. Es gab keinen Zwist und keinen Groll. Wir hätten uns für unsere Kinder gewünscht, dass die Besuche weitergegangen wären. Die Kinder wissen, woher sie kommen, und haben in ihren Zimmern Fotos ihrer leiblichen Eltern. Wir sprechen auch jederzeit darüber, es ist uns sehr wichtig, offen damit umzugehen.

Das erste Kennenlernen war beide Male sehr aufregend. Unsere Jungs waren sieben und acht Monate alt, als sie zu uns gekommen sind. Als wir sie zum ersten Mal in den Arm genommen haben, haben wir sofort gewusst, dass es passt und wir ab jetzt immer für sie da sein werden. Für uns war das erste Kennenlernen wie bei der Geburt unserer leiblichen Tochter. Ich hatte beide Male in etwa dasselbe Gefühl, als ich sie das erste Mal in den Arm genommen habe. Beim ersten Pflegekind musste ich am Anfang natürlich noch in meine Vaterrolle hineinwachsen und den neuen Alltag managen, beim zweiten war dann schon alles entspannter, obwohl meine Frau zu diesem Zeitpunkt bereits schwanger war.

In unserem Umfeld gab es keine Vorurteile, Ängste natürlich schon. Vor allem unsere Eltern hatten auch noch das Gedankengut im Kopf, dass ein Pflegekind jederzeit wieder zurück zur leiblichen Familie kommen kann. Doch wir haben ihnen alles gut erklärt, was wir auch im Kurs gelernt haben, und konnten somit alle Ängste abbauen. Mittlerweile sind alle Ängste und Sorgen diesbezüglich abgebaut, und wir leben ein 'fast' ganz normales Leben.

Ich glaube, dass sich nicht mehr Menschen mit Kinderwunsch für ein Pflegekind entscheiden, liegt daran, dass es ein Informationsdefizit gibt. Wie bei unseren Eltern schwirrt auch in den meisten Köpfen der Gedanke 'Irgendwann muss das Kind wieder zurück' herum. Das trifft aber nur in sehr wenigen Fällen zu. In den meisten Fällen hat es einen sehr guten Grund, warum ein Kind in eine Pflegefamilie kommt, und der Grund ändert sich meist auch in den Jahren bis zur Volljährigkeit des Kindes nicht.

Formulierungen wie 'Eltern auf Zeit' oder 'Ein Pflegekind kann ein eigenes nie ersetzen' finde ich sehr problematisch, da hier auch vermittelt wird, dass auf der Gefühlsebene ein Pflegekind einem leiblichen Kind nie gleichgestellt sein kann. Das kann ich aber aus eigener Erfahrung entschieden zurückweisen. Als ich meinen 'jetzt' Großen das erste Mal in seinem Gitterbett betrachtet habe und in mich hineingehorcht habe, habe ich festgestellt, dass es keine Steigerungsstufe mehr geben kann. Auch ein leibliches Kind könnte ich nicht mehr lieben als ihn. Und nach Pflegekind Nummer zwei und einer leiblichen Tochter wurde mein Gefühl bestätigt. Ich beziehungsweise wir lieben alle drei gleich und von ganzem Herzen.

Leider gibt es einige negative Geschichten, weil einfach viel öfter darüber gesprochen wird, wenn etwas nicht passt, als wenn etwas problemlos oder super funktioniert wie bei uns."

"Ich wollte einem Kind ein Zuhause geben"

Katharina Petrak lebt mit ihren zwei Söhnen (sieben und elf Jahre) in Wien. Der jüngere Sohn ist ein Pflegekind, das im Alter von knapp zwei Jahren zu der Familie kam.

"Natürlich habe ich mir vorher Gedanken darüber gemacht, welche Erfahrungen R. schon machen musste. Denn Pflegekinder haben in ihrem Leben in der Regel bereits mehrere Beziehungsabbrüche erlebt. Von den leiblichen Eltern kommen sie in die Krisenpflege und dann zu den Pflegeeltern. Das hat bei vielen Bindungsstörungen zur Folge. Entweder sie hängen sehr an einem, oder es fällt ihnen schwer, Nähe zuzulassen. Beim R. war es anfangs so, dass er Wildfremde angelächelt oder sich bei ihnen ans Bein geklammert hat. Die Menschen fanden das süß, aber natürlich ist das ein ungewöhnliches Verhalten. In der U-Bahn haben wir einmal eine Frau kennengelernt, und als sie ausgestiegen ist, hat der R. geweint. Abschiede waren anfangs schwierig für ihn. Aber das hat sich längst gelegt. Auch sonst entwickelt er sich altersadäquat, einfach wie jedes andere Kind mit seinen Auf und Abs.

Dass ich keine Familie im 'klassischen' Sinn haben möchte, wusste ich schon länger. Nach meinem Studium war ich vier Jahre als Ehrenamtliche im Ausland, vor allem in Afrika. Ich habe dort einerseits Aufklärungsarbeit gemacht – etwa über die Relevanz des Schulbesuchs für Kinder oder über die Prävention und Behandlung von HIV/Aids. Andererseits war ich als Lehrerfortbildnerin tätig. Als ich zurückgekommen bin, habe ich mich als Kinderdorf-Mutter in einem SOS-Kinderdorf beworben. Damals hatte ich schon meinen ersten Sohn, den Elias. Ich habe mich schließlich doch gegen das Kinderdorf entschieden, es war nicht das Richtige für mich.

Als ausgebildete Sonder- und Heilpädagogin habe ich dann bei der Caritas zu arbeiten begonnen. Von der Kinder- und Jugendhilfe wurden wir gebeten, betreute Wohngemeinschaften für Kleinkinder zu eröffnen. Weil es immer weniger Pflegeeltern gibt, die sie aufnehmen. Ich dachte: Warum mache ich das nicht? Schließlich habe ich alles zu Hause, was man für ein Kind braucht. Bei einer Kindergeburtstagsfeier bin ich mit einer Krisenpflegemutter ins Gespräch gekommen, das hat mich endgültig überzeugt.

Zuvor gab es Warnungen: Zwei Kinder sind viel anstrengender als eines, die streiten sich ständig! Oder: Bist du sicher, dass du dir das antun willst? Du weißt nicht, welche Geschichte das Kind mitbringt, was es schon alles erlebt hat! Und was ist, wenn es zu seinen leiblichen Eltern zurückkommt? Aber ich war optimistisch. Ich wollte einem Kind ein Zuhause geben. Es war mir auch wichtig, dass Elias nicht als Einzelkind aufwächst und alles sich nur um ihn dreht. Also habe ich mich beim Jugendamt für den Vorbereitungskurs angemeldet.

Katharina Petrak mit ihren beiden Söhnen (sieben und elf). Der Jüngere – links am Foto – ist ein Pflegekind. Petrak sagt: "Ich war mir gleich sicher, dass er zu uns passen wird."
© Christian Fischer

Die meisten in dem Kurs wollten ein Baby, aber für mich war das nicht wichtig. Denn es sind gerade die Zwei- oder Dreijährigen, für die sehr schwer ein Platz in einer Pflegefamilie zu finden ist. Ebenfalls klar war für mich, dass das Kind eine andere Herkunft, eine andere Hautfarbe haben darf. Auch dagegen gibt es oft Vorbehalte. Einige Paare wünschen sich, dass die Kinder vom Aussehen her auch ihre leiblichen sein könnten. Ich war da offen und daher nicht überrascht, als mir ein afrikanisches Kind vorgeschlagen wurde.

Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter teilen die Kinder den Familien so zu, dass sie vermeintlich gut zueinander passen. Einige Dinge kann man im Voraus ausschließen: dass die leibliche Mutter in der Schwangerschaft Alkohol getrunken oder Drogen genommen hat. Oder auch Missbrauch in der Familie, Behinderungen oder Krankheiten. Wenn man einen Anruf bekommt und die Geschichte erfährt, kann man sich entscheiden: Traue ich mir das zu? Selbst nach dem ersten oder zweiten Treffen gibt es noch die Möglichkeit, Nein zu sagen. Man muss sich bewusst sein, dass man dem Kind mit jedem Treffen Hoffnungen macht und es sich wahrscheinlich über eine neue Familie freut. Aber besser, man äußert klar seine Bedenken, bevor man nachher die Konsequenzen der Entscheidung bereut.

Ich war mir aber gleich sicher, dass R. zu uns passen wird. Die Sozialarbeiterin hat mir am Telefon von ihm und seiner Familiengeschichte erzählt, und ich habe mich auf ihn gefreut. Anschließend haben wir ihn im Jugendamt zu einer Spielstunde getroffen, und fortan jeden Tag, eine Woche lang. Nach dieser Woche ist er bei uns eingezogen.

In der ersten Zeit waren wir viel zu Hause, manchmal sind wir in den Park gegangen. Wir haben nichts Großartiges unternommen, denn zu Beginn geht es ja darum, einander in Ruhe kennenzulernen, zu spielen, Spaß zu haben, aber auch den gemeinsamen Alltag zu üben. Mein Sohn Elias hat alles gut aufgenommen, ich hatte mit ihm im Vorfeld schon viel darüber gesprochen, was das bedeutet und was sich ändern wird. Einzig schwergefallen ist ihm anfangs, sein Spielzeug und sein Zimmer zu teilen. Mich zu teilen war hingegen kein Problem, ganz entgegen meiner Befürchtung.

Unser Alltag sieht aus wie ein ganz normaler Alltag mit zwei Kindern: aufstehen, Schule, am Nachmittag gehen wir auf den Spielplatz, zu Freunden oder zum Fußballtraining. Wir gehen sehr offen damit um, dass R. ein Pflegekind ist. Auch er. Manchmal sagt er, wenn wir neue Leute kennenlernen: 'Das ist gar nicht meine richtige Mama.' Anfangs habe ich mich nicht wohl gefühlt bei dieser Aussage. Aber mittlerweile muss ich dann sogar lachen, weil die meisten Leute irritiert sind. Sie glauben, er macht nur einen Scherz. Aber er hat ja recht, warum soll er es also verheimlichen?

Ich weiß, dass viele Menschen große Vorbehalte haben, ein Pflegekind aufzunehmen. Kein Wunder, es sind auch fast nur negative Geschichten im Umlauf. Ich glaube, dass es mehr Informationen bräuchte – dazu, was es wirklich bedeutet, Pflegeeltern zu sein. Es würde bestimmt auch helfen, wenn es die Möglichkeit für einen ungezwungenen Austausch gäbe. Oft höre ich von Bekannten, dass sie eine Freundin haben, die überlegt, ob ein Pflegekind für sie infrage kommt. Und ich sage dann: Du, du kannst ihr meine Nummer geben! Mit jemandem zu sprechen hilft sehr bei der Entscheidung. Eine Idee wäre zum Beispiel ein Chat, in dem Interessierte Fragen an Pflegeeltern stellen können. Wenn man zum Jugendamt gehen und nachfragen muss, ist das bereits eine Hürde.

Manche schrecken auch wegen der Treffen mit den leiblichen Eltern davor zurück. Sie haben Angst, dass die Treffen sehr häufig stattfinden. Aber tatsächlich verläuft es sich meistens. Wir haben R.s leibliche Mutter zuerst einmal im Monat gesehen, mittlerweile nur noch alle paar Monate. Für Kinder ist es wichtig, dass sie auch Kontakt zu ihrer leiblichen Familie haben. Sonst stellen sie sich Fragen oder fühlen sich zurückgewiesen. R. soll wissen, wer er ist, wer seine Eltern sind und seine Geschwister. Seine vier älteren Brüder leben in einer Wohngemeinschaft. Er hat noch eine jüngere Schwester, die mittlerweile auch bei einer Pflegemama lebt. Sie alle treffen wir regelmäßig, wir unternehmen Ausflüge in den Zoo, ins Kino oder gehen schwimmen.

Ich treffe so ziemlich alle Entscheidungen, die R. betreffen, selbst. Ich habe ja auch die Obsorge. Was ich nicht darf: einen Bausparer für ihn anlegen oder ihm etwas vererben. Denn das Geld könnten sich theoretisch die Eltern nehmen. Auch taufen lassen darf ich ihn nicht einfach so, das müsste ich absprechen. Einmal im Jahr kommt eine Sozialarbeiterin zu uns nach Hause, und ich schreibe einen Entwicklungsbericht. Für mich ist das gut, auf diese Art und Weise kann ich reflektieren: Was läuft gut? Und was bräuchte er noch? Wenn ich Unterstützung brauche, kann ich meine Sozialarbeiterin kontaktieren. Das Jugendamt mischt sich nicht in den Alltag ein, sie überlassen einem die Verantwortung, sind aber da, wenn man sie braucht.

Natürlich wäre ich traurig, wenn R. rückgeführt werden würde, wie man das bei Pflegekindern nennt. Aber sollte diese Entscheidung fallen, vertraue ich darauf, dass es das Beste für ihn ist. Wir geben ihm ein liebevolles Zuhause, solange er es braucht, und wir sind seine zweite Familie – für immer, egal wo oder bei wem er wohnt. Aber ich bin mir fast sicher, dass er bei uns bleiben wird, bis er erwachsen ist. Denn wenn das Kind länger bei der Pflegefamilie war als bei den leiblichen Eltern, ist eine Rückführung unwahrscheinlich. Einfach weil das Wohl des Kindes im Vordergrund steht – das Kind hat ein Leben, einen Alltag und Beziehungen.

R. zu adoptieren ist mir nicht so wichtig. Für mich macht es keinen Unterschied – es ist mein Kind. Dieses Gefühl wächst mit den Momenten, die man zusammen erlebt. Natürlich ist es auch manchmal anstrengend, aber das ist es immer, wenn man Kinder hat."

"Wir haben uns gleich voll eingelassen"

Ein Pflegevater aus Oberösterreich, der anonym bleiben möchte, hat nach einem leiblichen Sohn mit seiner Frau ein Pflegekind aufgenommen. Die Buben sind sechs und zwei Jahre alt.

"Wir hatten bereits drei Fehlgeburten erlebt, bevor wir mit medizinischer Begleitung unseren leiblichen Sohn bekommen konnten. Danach hatten wir wieder zwei Fehlgeburten. Dann habe ich gesagt, dass ich so nicht mehr weitermachen kann. Wir haben uns erst über Adoption informiert und dann entschieden, den Pflegeelternkurs zu machen. Da waren wir noch unsicher, aber im Laufe der Ausbildung ist uns immer klarer geworden, dass das für uns passen würde. In Oberösterreich bietet der Verein Plan B diese Kurse an. Wir wurden sehr gut darauf vorbereitet, dass es Herausforderungen geben kann und dass wir auf unser Gefühl hören sollen. Als uns ein Mädchen vorgeschlagen wurde, das fast so alt war wie unser Sohn, haben wir abgelehnt, ohne sie getroffen zu haben. Es hat sich für uns nicht stimmig angefühlt, wir wollten ein Kind mit größerem Altersabstand zu unserem Ersten.

Unser Pflegesohn war dann schließlich erst eine Woche alt, als er zu uns gekommen ist. Wir wussten schon von ihm, bevor er geboren wurde. Für mich war das gefühlsmäßig brutal. Denn natürlich wusste ich, dass das mit einer Kindesabnahme verbunden ist, dass ein Kind von seinen Eltern getrennt wird. Unser Sohn war nie vorübergehend bei einer Krisenpflegefamilie. Wir sind damals direkt ins Krankenhaus gefahren und haben ihn als Säugling kennengelernt. Das war ein besonderer Moment. Wir haben ihn angeschaut und gesagt, das passt.

Unser großer Sohn war damals vier Jahre alt. Er war begeistert und sehr vorsichtig im Umgang mit dem Baby. Es war eine total schöne Stimmung zu Hause, es war kurz vor Weihnachten. Wir hatten bewusst ganz wenig Besuch am Anfang und haben uns alle ganz langsam kennengelernt.

Mit der leiblichen Mutter unseres Sohnes gibt es einen Besuchskontakt einmal im Monat. Mit dem leiblichen Vater leider noch nicht, aber wir hoffen, dass es irgendwann noch dazu kommt. Seine Mama liebt ihn, das spürt man. Ich finde, für Kinder ist es so wichtig zu wissen, woher sie kommen. Für ihn ist es normal, dass er zwei Mütter hat. Wir sprechen da ganz offen darüber. Zu uns sagt er Mama und Papa, und zu seiner leiblichen Mama sagt er 'Anna-Mama' (Name geändert).

Als wir die leibliche Mutter unseres Sohnes zum ersten Mal getroffen haben, war die Situation sehr angespannt. Wir waren nervös, sie auch. Aber sie ist sehr taff, es verlangt ihr bis heute viel ab, diese Situation zu akzeptieren. Es war alles sehr emotional damals. Man malt sich weiß Gott was aus. Ich hatte Sorgen, dass ein Konkurrenzdenken entsteht in die Richtung 'Ich bin die echte Mama und nicht ihr'. Das war aber nie Thema. Gefühlt sieht sie das auch nicht so, dass wir ihr das Kind weggenommen haben.

Auch der Große weiß, dass sein kleiner Bruder zwei Mamas und Papas hat. Er thematisiert das aber nicht. Auch im Streit ist das noch nicht gekommen, dass er so was sagt wie, er sei nicht sein echter Bruder. Im Gegenteil: Er ist ganz stolz, und als sein Bruder noch ein Baby war, wollte er unbedingt Fotos von ihm im Kindergarten herzeigen.

Ich glaube, der Grund, warum sich nicht mehr Menschen für ein Pflegekind entscheiden, ist, dass sich viele gar nicht informieren. Dann kommen Verlustängste dazu. Natürlich besteht die Möglichkeit, das Kind könnte wieder wegkommen. Das ist natürlich eine schlimme Vorstellung. Aber uns hat man gesagt, das sei nur bei zwei Prozent der Kinder der Fall. Das Restrisiko haben wir in Kauf genommen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass Paare, die schon Fehlgeburten durchgemacht haben, dieses Risiko eines neuerlichen Verlusts nicht in Kauf nehmen wollen. Ich sehe da gewisse Parallelen.

Wir haben ein befreundetes Paar, das zwei Pflegekinder hat. Sie haben uns erzählt, dass sie beim ersten Kind sehr viel Energie darauf verwendet haben, sich darauf einzustellen, dass das Kind wieder wegkommen könnte, das hat die Bindung eher etwas blockiert. Beim zweiten haben sie das Thema bewusst ausgeblendet und es von Anfang an wie ihre eigenes Kind behandelt. Für uns war diese Erfahrung, die sie mit uns geteilt haben, sehr hilfreich. Ich finde es wichtig, sich nicht von den eigenen Ängsten blockieren zu lassen. Wir haben es ziemlich gut geschafft, uns gleich voll einzulassen. Auch in unserer Familie gab es vorher sorgenvolle Reaktionen, aber jetzt behandeln ihn alle, als wäre er unser leiblicher Sohn.

Wer überlegt, ein Pflegekind aufzunehmen, dem würde ich empfehlen, die Ausbildung zu machen. Dort gibt es viel angeleitete Selbstreflexion, und man lernt, womit man rechnen muss und welche Möglichkeiten man hat. Je mehr man sich mit dem Thema auseinandersetzt, desto mehr weiß man.

Für uns ist das Schönste, dass wir unserem Kind die Möglichkeit geben, in einer Familie aufzuwachsen und ihm dadurch eine ganz normale Kindheit zu bescheren."

"Es gibt viel falsche Angst"

Miriam und Ruth L. sind Schwestern und haben zwei Pflegetöchter (drei und vier Jahre). Die Familie lebt in Wien.

Miriam L.: Ich hatte als Kinderkrankenschwester beruflich mit Kindern ohne Eltern zu tun. Bei einer ehrenamtlichen Tätigkeit in einem Kinderheim habe ich einen Buben getroffen, von dem ich mich nach meinen Diensten sehr schwer trennen konnte. Er hat immer gesagt: 'Bei mir bleiben, nicht gehen, zu mir legen.' Für mich war das herzzerreißend. Das hat mich und meine ganze Familie sehr beschäftigt, über viele Jahre. Ich wohne mit meiner Schwester zusammen. Mit ihr habe ich oft darüber geredet, dass ich einmal ein Pflegekind aufnehmen möchte.

Ruth L.: Wir haben dann gleich beide die Ausbildung als Pflegeeltern gemacht und uns als Eltern eintragen lassen. Das gab es vorher in Wien noch nicht, dass Geschwister das machen. Aber sämtliche Lebensformen sind möglich. Leider ist es aber bis heute aus bürokratischen Gründen nicht immer leicht. Beim zweiten Pflegekind hätten wir gerne die Karenz geteilt, aber das ging nicht. Alle sind mit unserem Familienmodell überfordert.

Miriam L.: Als unsere erste Tochter zu uns kam, war das für mich eine sehr stressige Zeit. Ich hatte Druck von der Arbeit. Zudem war der Erstkontakt mit den leiblichen Eltern für uns sehr schlimm. Es gab verbal eine ziemliche Attacke auf uns. Die leiblichen Eltern hatten zu dem Zeitpunkt noch keine Zeit, sich damit abzufinden, dass ihre Tochter auf Dauer untergebracht wird. Sie haben sich vom Jugendamt ungerecht behandelt gefühlt. Die Wut hat sich gegen uns als Pflegeeltern gerichtet. Das war sicher ein Ausnahmegespräch und läuft nicht immer so. Aber ich war fertig, ich konnte nicht mehr schlafen. Es hat sich angefühlt, als könnte ich nichts leisten, und wie bei einer Wochenbettdepression. Obwohl es mit unserer Tochter an sich total gut gepasst hat für uns. Sie war damals drei Monate alt.

Ruth L.: Ich habe mich damals viel um unsere Tochter gekümmert und meine Eltern um Miriam. Wir haben dann auch herausgefunden, dass es eine Post-Placement-Depression gibt, die Eltern in der ersten Zeit mit einem Pflegekind treffen kann. Das ist genauso häufig bei Pflegeeltern wie bei leiblichen Eltern nach einer Geburt. Nach ein paar Wochen ging es Miriam zum Glück wieder besser, auch weil sie rasch Hilfe bekommen hat.

Ruth L.: Später haben wir eine neue Sozialarbeiterin bekommen. Die hat mit den leiblichen Eltern dann Tacheles geredet und ihnen gesagt, dass sie sich an die Regeln halten müssen. Sie haben sich dann bei uns entschuldigt. Das war sehr heilsam für uns. Es war immer noch viel angespannte Aggression da, aber die war dann nicht mehr gegen uns gerichtet. Es tut einem auch sehr leid, wenn man die Geschichte dieser Frau kennt, der leiblichen Mutter unserer Großen. Sie kann auch nichts für vieles von dem, was sie durchgemacht hat. Es ist schwierig. Einerseits sind es die eigenen Entscheidungen dieser Menschen, die zu ihrer Situation geführt haben, andererseits kommt das auch nicht von irgendwo, sondern hat mit ihren Lebensumständen zu tun. Man kann da sehr wohl Mitgefühl haben, aber gleichzeitig nötige Konsequenzen ziehen. Wir haben sehr großen Respekt vor diesen Menschen und wollen ein gutes Miteinander. Es ist aber nicht unsere Aufgabe als Pflegeeltern, sie zu retten oder ihnen zu helfen. Der leibliche Vater hat sich anfangs immer sehr bemüht, viel mit ihr gespielt, und das hat ihr gefallen. Das war schön zu sehen. Die Kontakte mit den leiblichen Eltern unserer ältesten Tochter sind dann aber relativ schnell weggebrochen, und jetzt haben wir sie seit circa zwei Jahren nicht mehr gesehen.

Miriam L.: Mit der Krisenpflegemutter, bei der unsere Tochter ihre ersten zwei Lebensmonate verbracht hat, haben wir weiterhin Kontakt. Von ihr haben wir erfahren, dass durch die Pandemie dringend Krisenpflegeeltern gesucht wurden. Damals wurden keine Kinder in die Langzeitpflege übergeben, weil keine Kurse und Treffen stattfinden konnten. Uns hat das sehr beschäftigt, und dann haben wir uns freiwillig als Krisenpflegeeltern gemeldet unter der Voraussetzung, dass es unkompliziert wird und absehbar ist, dass das Kind weitervermittelt wird. Wir wollten einfach für ein paar Wochen einspringen. Unsere Tochter war da erst ein Jahr alt. Dann kam ein Mädchen zu uns als Krisenpflegekind, sie war drei Wochen alt, und leider war es kein so einfacher Fall wie gedacht. Es gab einen wöchentlichen Kontakt mit der leiblichen Mutter, das ist so üblich in der Krisenpflege. Und jedes Mal nach diesem Kontakt hat das Mädchen durchgeschrien bis spät am Abend.

Wir haben dann vom Jugendamt erfahren, dass das Mädchen nicht mehr zur Mutter zurückkann. In dieser Zeit habe ich gesundheitliche Auffälligkeiten bei ihr bemerkt. Es war dann leider sehr schnell klar, dass sie eine genetische Erkrankung hat. Es geht ihr zurzeit total gut, aber wir wissen nicht, wie lange das so sein wird. Es ist eine tückische Krankheit, wir wissen nicht, was in einem oder drei Jahren ist. Es kann auch sein, dass es ihr für immer gut geht, das hoffen wir.

Ruth L.: Das ist eine harte Diagnose für jedes Kind. Aber bei einem Kind, das eine Pflegefamilie sucht, ist es noch mal was ganz anderes. Sie war damals zweieinhalb Monate alt, und wir hatten das Gefühl, sie hätte jetzt schon einen Stempel auf ihrem Leben. Wir haben dann schnell mitbekommen, dass sie wahrscheinlich keine Chance hat, vermittelt zu werden. Es gibt ja insgesamt schon viel zu wenige Pflegeeltern, und dann insbesondere für ein Kind mit Diagnose.

Miriam L.: Das hat sehr an uns genagt. Wäre sie uns als erstes Pflegekind vorgeschlagen worden, keine Ahnung, was passiert wäre. Aber wir kannten das Mädchen dann ja schon. Und dann haben wir relativ spontan entschieden, dass wir sie als Langzeitpflegekind behalten. Sie war damals drei Monate alt. Unsere Töchter sind nur elf Monate auseinander.

Ruth L.: Zwei Wochen lang haben wir sehr viel geweint. Wenn man sie einfach anschaut und es einem das Herz bricht. Der Plan von ihrem Leben hatte sich plötzlich komplett geändert. Im Nachhinein war es gut, dass wir die Krisenpflegeeltern waren, die entscheiden konnten, dass sie bleiben kann.

Miriam L.: Es ein Unterschied, ob man ein Krisen- oder ein Langzeitpflegekind hat. Auch bei den Treffen mit den Eltern. In der Krisenpflege ist noch alles ungeklärt, vielleicht kommen die Kinder wieder zurück zu den Eltern, und es passt nur vorübergehend jemand auf sie auf. In der Langzeitpflege ist schon klar, dass wir als Eltern der Langzeitplan für die Zukunft sind.

Nach einem halben Jahr hat die leibliche Mutter unserer zweiten Tochter per Gericht versucht, sie zurückzubekommen. Sie kam aber nie zu den Terminen und hat auch die Briefe nie abgeholt, die ihr geschickt wurden. Das Ganze ging über ein halbes Jahr, in dem es diese Unsicherheit gab. Wir haben aber, wie bei ihrer Erkrankung auch, entschieden, dass wir mit dieser Sorge und diesem Stress nicht jeden Tag leben wollen. Wir sind gläubig, und man könnte sagen, wir haben das quasi nach oben abgegeben.

Miriam und Ruth L. mit ihren zwei Pflegetöchtern (drei und vier Jahre alt). Sie können nicht nachvollziehen, warum es für viele Paare unbedingt ein eigenes, leibliches Kind sein muss.
© Christian Fischer

Ruth L.: Wir fragen uns immer, warum nicht mehr Menschen Pflegekinder aufnehmen. Aber es gibt einfach so viele Schauergeschichten. Viele Leute haben die Angst, dass ihnen das Kind weggenommen wird. Aber nach einer bestimmten Zeit müssen die Kinder nicht mehr zurück, weil sie dann einfach schon so lange bei der Pflegefamilie leben.

Bei unserer jüngsten Tochter war es auch so, dass die Eltern sich irgendwann nicht mehr gemeldet haben. Obwohl die Kontakte mit der Mutter zuvor gut gelaufen sind. Aber dennoch finden wir es gut und wichtig, dass sie weiß, wer ihre Mutter ist. Weil die Kinder sich dann nicht bei jeder Frau auf der Straße denken müssen: Könnte das meine Mama sein? Sie wissen, wie ihre Mama ausschaut, haben ein Foto von ihr. Gute Besuchskontakte sind für Kinder wertvoll, weil sie verstehen, warum sie dort nicht leben können und dass die Eltern sie trotzdem lieb haben.

Miriam L.: Viele wollen das Kind als Ersatz für die Familie, die sie sich gewünscht haben, aber die nicht möglich war. Aber ein Pflegekind hat immer eine Geschichte. Das merkt man, selbst wenn sie als Neugeborene vermittelt wurden. Auch wenn sie nie bei der leiblichen Familie gelebt hat, ist es bei unserer Tochter sehr merkbar, dass sie ein Trauma erlebt hat. Das ist nicht leicht für sie. Bei Kindern, die adoptiert werden, und das wünschen sich ja so viele Paare mit Kinderwunsch, weiß man diese ganze Hintergrundgeschichte womöglich gar nicht.

Ruth L.: Es gibt so viel falsche Angst. Die Elternkontakte sind jetzt kein Termin, auf den man sich hinfreut, und natürlich reagieren die Kinder danach auch ganz unterschiedlich darauf. Aber bei uns war es okay und hat für uns dazugehört. Wir haben danach immer in ein Biografiebuch geschrieben, was wir Neues erfahren haben über die Geschwister, was unsere Töchter vielleicht später einmal total interessieren wird. Wir wollen den Kindern einfach später einmal ihre Fragen beantworten können.

Miriam L.: Ich kann nicht verstehen, warum es ein eigenes, leibliches Kind sein muss. Ob es jetzt meine Augen hat oder nicht. Für mich wiegt es das nicht auf. Es gibt einfach diese Kinder und diese Not. Wir kommen aber auch aus einem anderen Hintergrund. Wir haben nicht den Schmerz erfahren, was es heißt, ein kinderloses Paar zu sein.

An der Kommunikation sollte sich wirklich was ändern. Wir würden uns mehr Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnen wünschen. Dass ein Pflegekind ein leibliches Kind nie ersetzen kann, wie es auf der Homepage der MA 11 heißt, können wir überhaupt nicht sagen. Die Kinder sind Teil unserer Familie, zu hundert Prozent.

Ruth L.: Wir halten uns als Dauerpflegeeltern überhaupt nicht mit unseren Gefühlen zurück. In der Krisenpflege vielleicht noch eher, aber selbst dort kann man die Gefühle nicht abstellen. Und das ist ja auch gut so. Denn was bedeutet das für ein Kind? Das hat ja genauso viel Liebe verdient wie ein leibliches.

Miriam L.: Wir lieben unsere Kinder heiß, das ist gar keine Frage. Aber wenn jemand einen Kinderwunsch hat, kann ich mir schon vorstellen, dass die Sorge besteht, ob man ein Pflegekind wie ein leibliches Kind lieben kann. Ich glaube, dass sich viele Menschen das nicht zutrauen, obwohl sie es eigentlich könnten. Es ist einfach das große Unbekannte. Und es ist auch so ein seltsamer Prozess. Man bekommt einen Steckbrief von einem Kind, muss dann entscheiden, ob man sich das vorstellen könnte.

Wenn ich jemanden treffe, der noch überlegt, würde ich immer empfehlen, sie sollen es machen. Es gibt auch Kinder mit unkomplizierter Vergangenheit. Man sollte ehrlich eingrenzen, was man schaffen kann, etwa was Behinderungen betrifft. Das ist okay, und trotzdem gibt man einem Kind Platz, und es ist eines weniger, das einen sucht. Wir haben bei diesem Fragebogen klar gesagt, was wir uns nicht zutrauen. Es ist wirklich skurril, das auszufüllen. Da fühlt man sich wirklich wie ein schlechter Mensch. Aber es ist wichtig, dass man da ehrlich ist, denn wir wollen ja, dass es dem Kind bei uns gut geht.

Ruth L.: Für uns ist das unfassbar, wenn die Krisenpflegemutter, mit der wir befreundet sind, ein Kind hat, für das monatelang ein Platz gesucht wird. Wir denken uns dann: Warum dauert das so lange bei so einem lieben Kind? Aber wenn man dann den Bericht, also den Steckbrief, vor sich hat, dann schaut es so düster aus. Das ist total trügerisch. Wenn die Menschen aber dieses Kind kennenlernen würden, wäre das überhaupt keine Frage, dass sie sich dafür entscheiden würden. Wenn man die Not sieht und die Kinder dazu, das verändert einen. Das Foto wird einem auch erst später gezeigt, und das ist auch gut so. Aber wir kennen die Kinder dann halt von unseren freundschaftlichen Treffen. Und die Kinder sind eigentlich Werbung für sich selbst.

Ruth L.: Die Schwester unserer Großen ist in einer WG und hat großes Glück, weil es dort schon sehr lange die gleichen Sozialpädagogen gibt, die sich für sie einsetzen. Aber oft ist das nicht so, es gibt viele Personalwechsel, für die Kinder ist das natürlich ein Wahnsinn. Es ist halt ein riesiger Unterschied im Aufwachsen, wenn man es mit einer Familie vergleicht. Es tut uns auch jedes Mal weh, dort hinzufahren und zu sehen, dass die Ressourcen in einer WG begrenzt sind. Es ist schade, dass es für so viele Kinder keine andere Alternative gibt.

Miriam L.: Man kann nicht die Welt retten, aber man kann ein bisschen was tun und sich im eigenen Umfeld umsehen und dort helfen. Das haben wir uns vorgenommen. (Lisa Breit, Bernadette Redl, 14.2.2024)