Näherinnen in Dhaka.
Befürworter sehen das Gesetz als Hebel für bessere Arbeitsbedingungen. Kritiker fürchten den bürokratischen Aufwand.
IMAGO/Habibur Rahman

Das Ziel wird jeder teilen: Die Welt soll ein bisschen besser werden. Unternehmen, die Rohstoffe und Teile aus den entlegensten Ecken der Welt beziehen, sollen dafür Sorge tragen, dass auch dort Arbeits- und Umweltstandards eingehalten werden. Mit der EU-Lieferkettenrichtlinie sollen Unternehmen verpflichtet werden, dies bis zum letzten Glied in der Produktionskette sicherzustellen.

Länder wie Frankreich, die Niederlande oder Deutschland haben bereits einschlägige Gesetze. Der EU-Vorschlag geht jedoch weiter: Nicht nur die Einhaltung der Menschenrechte soll gewährleistet werden, größere Unternehmen müssen auch sicherstellen, dass ihr Geschäftsmodell mit der Einhaltung der Pariser Klimaziele vereinbar ist. Nicht machbar, ein Bürokratiemonster, eine Bremse für die Wirtschaft, sagen die Gegner. Höchste Zeit, dass global agierende Unternehmen in die Pflicht genommen werden, sagen die Befürworter.

Die Abstimmung der EU-Staaten im Rat wurde am Freitag auf 14. Februar verschoben. Länder wie Deutschland und Österreich haben bereits zuvor angekündigt, sich zu enthalten. Bei Ratsentscheidungen, die mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden, gelten Enthaltung als Nein-Stimmen. Ob die Richtlinie in der aktuellen Form beschlossen werden kann, ist also fraglich. Doch was spricht eigentlich dafür, und was dagegen?

Für

Egal ob Kleidung, Spielzeug oder Elektronik: Derzeit sind bei Importen vor allem zwei Dinge wichtig: schnelle Verfügbarkeit und niedrige Preise. Woher das Produkt kommt und unter welchen Bedingungen es hergestellt wurde, ist Unternehmen und Käufern – bis auf lobenswerte Ausnahmen auf freiwilliger Basis – weitgehend egal.

Das geplante Lieferkettengesetz soll nun einheitliche Pflichten schaffen: EU-Unternehmen müssten künftig genauer hinsehen, ob entlang ihrer Lieferkette Kinder arbeiten oder Chemikalien in die Umwelt geschüttet werden – bei Verstößen sollen Strafen drohen.

Industrie und Wirtschaftskammer sehen ein nicht zu zähmendes Bürokratiemonster auf sie zukommen. Bei zum Teil tausenden Lieferanten sei eine Überprüfung entweder gar nicht möglich oder nur mit enormem Aufwand.

Die Debatte unterliegt dabei aber einem Missverständnis: Die Richtlinie verlangt von den Unternehmen nicht, ihre Lieferketten dauerhaft und lückenlos zu überwachen. Das wäre auch gar nicht möglich. Vielmehr sollen Unternehmen schlicht mehr Verantwortung übernehmen – zum Beispiel indem sie ihre Zulieferer vertraglich zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichten, stichprobenartige Kontrollen durchführen oder bei Hinweisen von NGOs sofort einschreiten.

Dass Unternehmen – wie mitunter behauptet – gar keinen Überblick über ihre Lieferketten haben, darf man zumindest hinterfragen. Schließlich wäre das auch aus rein wirtschaftlichen Gründen und im Hinblick auf mögliche Lieferunterbrechungen problematisch.

Die Richtlinie gilt direkt zwar nur für große Unternehmen (siehe Wissen unten), es stimmt allerdings, dass auch kleinere Betriebe indirekt daran gebunden sind. Die Kommission hat das in ihrem Vorschlag berücksichtigt: So müssen große Unternehmen ihre Zulieferer unterstützen. Zudem gibt es Förderungen und Übergangsfristen.

Laut Daten der EU-Kommission führt derzeit nur ein Drittel der Unternehmen Sorgfaltsprüfungen durch. Auf freiwilliger Basis geht also wenig weiter. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Unternehmen, die sich selbst zu höheren Standards verpflichtet haben, einen Preis- und Wettbewerbsnachteil haben. Die Richtlinie würde nun einheitliche Standards festsetzen und so für mehr Gerechtigkeit sorgen – nicht nur in den Produktionsländern, sondern auch innerhalb des europäischen Marktes.

Wider

Bis zum letzten Glied in der Lieferkette zu schauen ist das Ziel. In Ansätzen gibt es das schon. Viele große Konzerne haben Verhaltenskodizes für ihre Lieferanten. In Deutschland müssen Unternehmen ab 3000 Arbeitnehmern im Inland an die Behörden berichten und belegen, dass sie die Menschenrechte wahren und die Umwelt schonen.

Der EU-Vorschlag geht weiter. Große Unternehmen sollen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Betroffen wären Betriebe ab 500 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 150 Millionen Euro. In Risikosektoren wie Textilbranche, Agrarwirtschaft, Lebensmittelindustrie und Bauwirtschaft gilt die Schwelle ab 250 Beschäftigten und 40 Millionen Umsatz.

Sie alle müssen auch sicherstellen, dass ihr Geschäftsmodell mit der Einhaltung der Pariser Klimaziele vereinbar ist. Prüfen sollen sie ihre Zulieferer und deren Zulieferer. Sie müssen die Verletzung der Regeln verhindern und ein System zur Kontrolle schaffen – das bedeutet viel Aufwand.

Verträge müssen neu geschrieben, Lieferanten geschult werden. Erfasst sind Lieferanten von Produkten oder Dienstleistungen, auch in Vertrieb, Transport, Lagerung und Entsorgung. Bei Verstößen drohen Strafen von bis zu fünf Prozent des Jahresumsatzes.

De facto fällt hierzulande wohl die gesamte Industrie darunter, Lebensmittelketten, Baufirmen, indirekt viele Klein- und Mittelbetriebe. Die "unerfüllbaren Informations- und Prüflasten" seien "in der Praxis nicht umsetzbar" argumentieren Wirtschafts- und Industrievertreter – nicht zu Unrecht. Vor allem Wirtschaftsprüfungskanzleien würden profitieren.

Bei der Haftung gibt es große Unsicherheiten. Reicht es, wenn der Zulieferer vor Ort via Foto dokumentiert, oder muss der Auftraggeber jemand hinschicken? Solche Details würden sich erst durch künftige Rechtsprechung klären.

Dazu kommt, dass sich Zulieferer von Mangelprodukten wohl kaum zu höheren Standards verpflichten lassen, sondern stattdessen schlicht andere Abnehmer suchen.

Unternehmen könnten sich aus den ärmsten Regionen mit laxen Standards zurückziehen, sagt der WU-Ökonom Harald Oberhofer. Um höhere Standards zu schaffen, wäre Entwicklungspolitik der richtige Hebel. Wifo-Chef Gabriel Felbermayr schlug vor, die EU sollte mit Positiv- und Negativlisten arbeiten. Ausländische Unternehmen sollten sich einem Zertifizierungsprozess unterziehen, bei dem geprüft wird, ob sie Grundrechte einhalten.

(Regina Bruckner, Jakob Pflügl, 9.2.2024)