Mann mit Messer und Gabel vor einem leeren Teller, der auf Essen hofft
Beim Fasten landet sehr wenig bis nichts auf dem Teller. Das kann zunächst frustrierend sein, langfristig aber bewussteres Essen unterstützen.
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"Die ersten drei, vier Tage geht es mir gar nicht gut. Ich fühle mich schlapp, bin müde und habe Kopfweh", erzählt Ursula. Aber dann ändert sich das: "Ich kippe so richtig rein, der Verzicht fällt mir überhaupt nicht mehr schwer. Ich bin fit und voller Energie. Der Hunger ist weg, es stört mich auch nicht, wenn jemand neben mir isst", berichtet die 63-jährige.

Sie fastet regelmäßig. Ein- bis zweimal im Jahr verzichtet Ursula für ein paar Wochen auf ihren gewohnten Speiseplan. Sie startet mit fünf oder sechs Tagen, an denen sie nur klare Gemüsebrühen löffelt. Dann steigt Ursula um auf gebundene Suppen und tastet sich langsam, Schritt für Schritt, an leichte Aufbaukost heran. Abgesehen von der Essensumstellung lebt sie ihr normales, aktives Leben weiter: rausgehen, wandern, Rad fahren, alles kein Problem. Und auch nach dem Fasten bleibt ihr dieses gute Gefühl über Monate erhalten.

Die Ernährungsreduktion ist für die Wienerin eine Möglichkeit, ihrer Verdauung Gutes zu tun. Wenn der Darm zwischendurch in den Schongang schalten kann, geht es ihr einfach rundherum besser, sie spürt, welches Essen ihr guttut und worauf sie eher verzichten sollte. Und ja, das regelmäßige Fasten ist für sie auch eine Möglichkeit, ihr Gewicht zu halten.

Von Intervall bis Buchinger

Ursula ist nicht die Einzige, die auf die positive Wirkung des Nahrungsverzichts schwört. Fasten liegt im Trend. Dieses Jahr will die Hälfte der Österreicherinnen und Österreicher irgendwann einmal auf Nahrung verzichten, zu dieser Erkenntnis kommt eine Umfrage des Fastenresorts Marienkron. Welche Art der Entsagung es sein soll, wird dabei nicht genau definiert. Die meisten wollen auf das Intervallfasten setzen, dabei wird im Normalfall in einem Zeitraum von acht Stunden gegessen, die restlichen 16 Stunden meidet man jede Kalorienzufuhr. Doch es gibt noch viele weitere Arten: eine F.-X.-Mayr-Kur, Basenfasten nach Buchinger, Saft- oder Suppenkuren, um nur einige zu nennen.

Aber auch der Verzicht auf bestimmte Lebens- und Genussmittel, Fleisch zum Beispiel, Alkohol oder auch Süßigkeiten, kann eine Art des Fastens sein. Man will dadurch wieder einen besseren Zugang zu sich selbst finden, mehr Klarheit und Energie bekommen, und viele hoffen auch, das eine oder andere Kilo zu verlieren. Der Verzicht kann auch religiös motiviert sein. Im Christentum herrscht gerade die 40-tägige Fastenzeit vor Ostern. Und auch im Islam verzichten viele bald auf jegliche Nahrungsaufnahme von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, wenn am 10. März der Fastenmonat Ramadan beginnt.

Die Motivationen für das Fasten sind also vielfältig. Aber eine Sache eint alle Fastenden: Sie wollen sich mit ihren Fastenzielen etwas Gutes tun. Viele beschreiben eine Art "Reinheitsgefühl", das dabei entsteht: Der Verzicht auf feste Nahrung für einen bestimmten Zeitraum, wie es Fastenklöster und -resorts anbieten, bringt ein besseres Körpergefühl, eine intensive Selbsterfahrung, mehr Fokus, das berichten ungezählte Fastenfans. "Versuche jemand die Hungerkunst zu erklären! Wer es nicht fühlt, dem kann man es nicht begreiflich machen", lautet ein Zitat aus Kafkas "Hungerkünstler". So ähnlich versuchen auch regelmäßig Fastende anderen ihre Freude am Verzicht zu erklären. Aber was hat es mit diesem Gefühl auf sich, das man "nicht begreiflich machen kann"?

Zuerst die Krise, dann das High

Zunächst versetzt Fasten den Körper in Alarmbereitschaft. "Man gerät in eine sinnvolle Stressreaktion", erklärt die Allgemeinmedizinerin und Psychiaterin Emilie Frigowitsch. Bekommt der Körper länger keine Nahrung, schüttet er Stresshormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol aus. Fastende können sich dann emotional labil fühlen, haben Kopfschmerzen oder Kreislaufprobleme.

Dieser Stresszustand hält ein bis drei Tage an, das wird auch als die "Fastenkrise" bezeichnet. Dann folgt die Entspannung. "Hat man diese Krise überstanden, fühlen sich die meisten besser", sagt Frigowitsch. Fasten-High nennt man das auch. Der Stoffwechsel stellt sich um, das Hungersignal verstummt, das Gehirn schüttet das Glückshormon Serotonin aus.

Gesteuert wird der Verzicht übrigens im präfrontalen Kortex, dort, wo die Selbstkontrolle sitzt. Dadurch kann ein Gefühl der Selbstwirksamkeit entstehen – man meistert eine herausfordernde Situation. "Dieses Gefühl macht zufrieden", erklärt Ernährungspsychologin Simone Ebner.

Diät für die Psyche

Eine wesentliche Motivation für so manchen Fastenden ist der Gewichtsverlust, zu dem es fast zwangsläufig kommt. Dabei ist Fasten zum nachhaltigen Abnehmen denkbar ungeeignet. In den ersten Tagen verliert man natürlich Gewicht – aber das ist im Körper gespeichertes Wasser. Ohne Grundstoff zum Verbrennen holt sich der Körper zunächst Energie aus den mit Wasser vollgepumpten Glykogenspeichern in Muskeln und Leber. Erst wenn die leer sind, wird das Körperfett angegriffen. Gleichzeitig stellt der Stoffwechsel aber um auf Energiesparmodus und reduziert seinen Grundumsatz. Das kann bei manchen dazu führen, dass der Stoffwechsel langfristig aus dem Lot gerät. Isst man wieder normal "ungesund", fängt er an, Reserven zu bunkern, um sich für die nächste "Hungerkrise" zu wappnen. Fasten kann also einen Jo-Jo-Effekt auslösen, wenn man es nicht als Einstieg in eine langfristig gesündere Ernährung nutzt.

Auch für Ernährungspsychologin Ebner ist Abnehmen als Motiv für das Fasten keine gute Idee: "Fasten bedeutet auch einen strengen Verzicht. Das kann man im Alltag auf Dauer realistischerweise nicht beibehalten."

Doch warum gibt es dann so viele Fastenfans? Weil es sich eben doch auch gut anfühlt. Im vegetativen Nervensystem geht die Aktivität des Sympathikus, der für Kampf und Fluchtreflex verantwortlich ist, zurück. Der Parasympathikus, der für Entspannung und Erholung sorgt, kann stärker wirksam werden. Der Körper produziert außerdem schon nach kurzer Nahrungskarenz vermehrt das Glückshormon Serotonin.

Fasten reduziert weiters die Entzündungen im Körper. Das wirkt sich nicht nur positiv auf Allergien oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten aus. "Wir wissen, dass Mikroentzündungen unter anderem depressive Symptome auslösen können. Bessern sich die Entzündungen, kann das häufig auch solche Probleme lindern", sagt Frigowitsch. Außerdem verstärkt der Verzicht auf Kalorien das körpereigene Zellrecyclingprogramm, die Autophagie. DER STANDARD hat hier darüber berichtet.

Für viele ist Fasten aber vor allem eine Auszeit vom gestressten, reizüberfluteten Alltag. Denn sie nehmen sich in dieser Phase bewusst mehr Zeit für sich selbst, das hilft, wieder besser auf die Signale des eigenen Körpers zu hören – eine Art Diät für die Psyche also. "Viele Menschen haben verlernt, ihr Hungergefühl bewusst wahrzunehmen. Fasten kann helfen, das wieder zu spüren", erklärt Ernährungspsychologin Ebner. Das könne sogar zu einem mentalen Prozess führen, "über das eigene Leben nachzudenken und möglicherweise ungestillte Bedürfnisse zu erkennen".

Verstecktes Suchtpotenzial

Vielleicht tut Fasten also einfach so gut, weil es runterholt. Manche verstärken diesen Effekt noch und nehmen sich die Auszeit in einem Fastenhotel. Das Abschalten kann einfacher sein, wenn man sich komplett aus dem Alltag herausnimmt. Aber auch das Fasten zu Hause ist eine "Möglichkeit, zu mehr Ruhe und Zentriertheit zu finden", meint Frigowitsch.

Doch nicht für alle ist Fasten automatisch ein euphorisches Erlebnis. Für manche könnte es sogar gefährlich sein: Wer krank ist, sollte nur mit ärztlicher Begleitung fasten. Schwangere oder Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen sollten es ganz lassen. Und ganz allgemein gilt: Wer es mit dem Fasten übertreibt, kann körperliche Beschwerden riskieren.

Sogar Suchtpotenzial steckt darin: Man ist stolz, etwas geschafft zu haben, was andere nicht durchziehen konnten. Und dieses Gefühl will man immer haben. "Fasten kann eine bereits vorhandene Essstörung verstärken", weiß Frigowitsch. Und tatsächlich gibt es Schilderungen von magersüchtigen Personen, dass so ein Gefühl das Wenigessen vereinfacht.

Fasten wird von manchen auch als Bewältigungsstrategie in schwierigen Phasen genutzt, man will sich von ungelösten Problemen ablenken, erklärt Psychiaterin Frigowitsch. "Maladaptive Copingstrategie" lautet der Fachbegriff dafür. Vor allem Kontrollfreaks oder Personen, die zu zwanghaftem Verhalten neigen, sind da gefährdet. Aber weder Essen noch Nichtessen ist als Lösungsstrategie geeignet, im Gegenteil: Man ist sogar zusätzlich frustriert, wenn sich die Probleme dadurch nicht lösen lassen.

Vielleicht reicht auch Yoga

Außer vielleicht über einen Umweg: "Eine Fastenzeit kann manche dazu motivieren, andere Wege zu finden, um mit Emotionen umzugehen", sagt Ernährungspsychologin Ebner. Das gelingt aber auch mit anderen Methoden. Regelmäßigem Meditieren etwa, Sport, Yoga oder auch einer Therapie.

"Hat man das Gefühl, es tut einem gut, soll man es ruhig machen", sagt der Philosoph Erwin Lengauer. Er beschäftigt sich mit Ernährungsethik und sieht auch eine starke ideologische Komponente des Fastens: "In allen möglichen Ideologien spielt Fasten eine Rolle. Das kann auch der Verzicht auf Tierisches sein." Aber man sollte sich immer sehr genau fragen, warum man auf etwas verzichtet, findet Lengauer.

Und er weist auf einen weiteren Aspekt hin: Beim Fasten verzichten wir intensiv, aber kurzfristig. Ohne nachhaltige Veränderungen geht es danach zurück in alte Gewohnheiten. "Das zeigt die Ambivalenz des menschlichen Handelns." Wer eine Zeitlang nur sehr wenig isst und damit zufriedener wird, kann die Erfahrung daraus mitnehmen, dass auch etwas weniger reichen kann. So manche holen sich diese Erfahrung bei einer teuren Kur. Damit reiht sich Fasten in die Selbstoptimierungstrends ein, findet Lengauer – und rät zu mehr Entspanntheit: "Eine wichtige Fähigkeit des Menschen ist es, selbstironisch über die eigenen Fallstricke zu schmunzeln." (Andrea Gutschi, 25.2.2024)