Paketzusteller nimmt Pakete aus dem Lieferwagen heraus
Der Job des Paketzustellens ist Neuzugang bei den Mangelberufen.
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Der gestiegenen Arbeitslosigkeit zum Trotz – es stehen 421.000 Arbeitslose 87.000 offenen Stellen beim AMS gegenüber – will sich der Personalmangel in vielen Branchen nicht entschärfen. Im Gegenteil, die Liste der Mangelberufe, die jedes Jahr vom Wirtschaftsministerium festgelegt wird, ist erneut gewachsen. 2023 waren es 100 Berufe bundesweit, dieses Jahr sind es 110. Neu auf der Liste sind beispielsweise Jobs in der nachhaltigen Mobilität und in der Grüne-Technologie-Branche. Schon länger unter akutem Personalmangel leiden etwa der Gesundheitsbereich und der Dienstleistungssektor.

Die Gründe für die Personalknappheit sind vielfältig, von langen Ausbildungen bis zu unattraktiven Arbeitsbedingungen. Aber auch der strukturelle Wandel hin zur Klimaneutralität macht relevante Branchen hungrig auf neues Fachpersonal. Dazu kommen Pensionierungswellen bei den Babyboomern, die die Situation weiter verschärfen. In anderen Branchen wird indes Personal abgebaut, aber die vielen Arbeitslosen kommen nicht in den Mangelberufen unter.

Aber was genau ist ein Mangelberuf eigentlich? Auf der Liste stehen jene Berufe, in denen innerhalb eines Jahres weniger als 1,5 Arbeitssuchende pro offene Stelle zur Verfügung standen. Nicht immer handelt es sich dabei um Berufe mit langen Ausbildungswegen: Neu auf der Liste finden sich auch niedrig qualifizierte Jobs wie Paketzustellung. Weitere Neuzugänge: Buslenkerin bzw. Buslenker. Gesucht werden über die nächsten fünf Jahre 5000 Personen für diesen Job. Ein passender Führerschein und ein Mindestalter von 21 Jahren genügen als Qualifikation. Bruttomindestlohn: 2800 Euro, die Ausbildung wird von Arbeitsmarktservice (AMS) und Wirtschaftskammer (WKO) finanziert. Die ÖBB steht vor großen Pensionierungswellen und sucht jährlich 3000 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Besonders gefragt sind schon seit einer Weile Zugführer und Zugführerinnen – nun auch ein offizieller Mangelberuf. Mit einem Lehrabschluss oder Maturazeugnis ist man für die Ausbildung qualifiziert, die Kosten trägt der Konzern.

Mehr spezifisches Know-how mitbringen muss man hingegen in der Grüne-Technologie-Branche. Der mit dem Strukturwandel einhergehende höhere Strombedarf führt dort zu einem Mangel an Fachpersonal, etwa in der Starkstrom- oder Elektrotechnik, wo besonders viel Personal fehlt. Laut WKO werden hier mindestens 13.000 relevante Fachkräfte gesucht. Ähnlich sei die Situation im Photovoltaiksektor, in dem laut Prognose des Photovoltaik-Branchenverbands 30.000 zusätzliche Fachkräfte bis 2030 benötigt werden. Klimarelevante Berufe finden zwar mehr Lehrlinge, aber auch der Personalbedarf wächst.

Dauerbrenner Pflege

Besonders prekär ist die Situation in der Pflege und im Gesundheitsbereich. Aktuelle Zahlen kommen vom Pflegebedarfsbericht der Gesundheit Österreich: Um die Versorgung zu gewährleisten, bedarf es 50.000 zusätzlicher Pflegepersonen bis 2030 – bis 2050 sind es gar 200.000. Die Regierung versucht, mit einer Pflegereform gegenzusteuern. Neu ist beispielsweise eine dreijährige Pflegelehre, Personen in Pflegeausbildung sollen 600 Euro im Monat erhalten. Beim AMS gibt es zusätzlich ein Pflegestipendium von 1400 Euro aufwärts.

Pflegeperson im Krankenhaus
Im Gesundheitsbereich mangelt es chronisch an Personal.
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Viele Pflegekräfte nehmen die Weiterbildungsmaßnahmen an. Während der Ausbildung fehlt das Personal dann aber am Arbeitsmarkt – was zu steigender Arbeitslosigkeit in dem Sektor führt. Vom Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) und der Arbeiterkammer (AK) war nur leiser Applaus für die Pflegereform zu hören. Sie könne nur ein "erster Schritt" sein, hieß es seitens der AK, der ÖGB sprach von "schlechter Umsetzung" und "leeren Versprechen". Wer über eine Pflegeausbildung verfügt, findet wohl schnell einen Job, viele klagen aber über harte Bedingungen: Einer Sonderauswertung des Sozialministeriums zufolge sagen nur 65 Prozent aller Befragten, den Beruf bis zur Pension ausüben zu wollen.

Wege aus dem Mangel

Abhilfe schaffen soll die Rot-Weiß-Rot-Karte (RWR): Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten sollen in Österreich zwei Jahre lang einen Mangelberuf ausüben, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen, etwa einen passenden Lehrabschluss (siehe Wissen). Auch ein fixes Arbeitsplatzangebot muss bereits vorhanden sein. Das Konzept, Arbeitskräfte aus dem Ausland zu holen, hat die Regierung schon länger im Fokus.

Denn Jahr für Jahr werden mehr RWR-Karten ausgestellt: 2021 waren es noch knapp 4000, 2022 rund 6000 und 2023 bereits mehr als 8000 bewilligte Anträge. Ein Grund dafür: Im Oktober 2022 wurde die RWR-Karte reformiert, dabei wurde die Anrechnung von Berufsausbildung und -erfahrung erleichtert und etwa auch Englisch als Sprache besser gewichtet. Bis 2027 sollen die Aufenthaltstitel für Arbeitende aus Nicht-EU-Ländern auf mindestens 15.000 pro Jahr steigen, richtete Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) dazu aus.

Wie eine Analyse der Industriestaatenorganisation OECD vor einem Jahr zeigte, ist Österreich bei Migranten jedoch nicht besonders beliebt. In einem Ranking errechnete die Organisation, wie attraktiv ein Land für gutausgebildete Zuwanderinnen und Zuwanderer ist. Österreich findet man in dem Index auf Platz 26 von 38 Industriestaaten. Es gebe – auch abseits der gesetzlichen Rahmenbedingungen – Luft nach oben, um Österreich attraktiver für ausländische Fachkräfte zu machen, erklärte dazu Thomas Liebig, Migrationsexperte bei der OECD.

Im Inland will die Regierung wiederum Lehrberufe attraktivieren und sie etwa mit der dualen Ausbildung aufwerten. Lehrlinge sollen mit der sogenannten Höheren Beruflichen Bildung nach der beruflichen Erstausbildung weitere Qualifizierungsmöglichkeiten erhalten, die auf berufsspezifischen Ausbildungen aufbauen und gleichwertig zum akademischen Ausbildungsweg eingeordnet werden. Die Aufwertung der Lehre stehe auch deshalb auf der Agenda, weil in den meisten Mangelberufen Praxis und Qualifikation gefragt seien, heißt es auf Anfrage aus dem Ministerium.

Druck erhöhen

Die ÖVP und Bundeskanzler Karl Nehammer wollen indes den Druck auf Arbeitslose erhöhen und das Arbeitslosengeld auf "unter 50 Prozent" kürzen. Außerdem sei Nehammer gegen geringfügige Beschäftigungen neben dem Bezug von Arbeitslosengeld. SPÖ-Chef Andreas Babler reagierte darauf mit der Forderung nach einer Jobgarantie für Arbeitslose, die nicht "bestraft" werden sollten.

Aber auch Unternehmen sollten in die Pflicht genommen werden, appelliert AMS-Vorständin Petra Draxl. Neben besseren Arbeitsbedingungen solle es inklusivere Einstellungen geben: "Unternehmen können sich einen größeren Markt erschließen, wenn ältere Arbeitslose, Langzeitarbeitslose, ausländische Mitbürger und Menschen mit gesundheitlichen Benachteiligungen nicht von vornherein ausgeschlossen werden." Um ihre Forderung steht es gut, wenn es nach Arbeitnehmervertretern geht. Diese wittern durch den Fachkräftemangel auch Positives – etwa bessere Verhandlungspositionen für Angestellte. (Paul Sajovitz, Melanie Raidl, 20.2.2024)