Eine runde Darstellung der Hälfte des Himmels, mit unzähligen Punkten gesprenkelt, die für Galaxienhaufen stehen. Die Farbe gibt die Rotverschiebung an, die Informationen über die Entfernung der Objekte liefert.
Eine Übersicht der von E-Rosita entdeckten Galaxienhaufen, hier als Punkte dargestellt.
MPE, J. Sanders for the eROSITA consortium

Röntgenstrahlung begegnet uns im Alltag vor allem bei medizinischen Anwendungen. Doch auch kosmische Prozesse setzen Röntgenstrahlung frei, die allerdings die Erdatmosphäre nicht durchdringt. Um sie für astronomische Beobachtungen zu nutzen, braucht es Weltraumteleskope. Ein solches ist das 2019 ins All gestartete Instrument der E-Rosita-Mission, das vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching bei München entwickelt wurde und auf einem deutsch-russischen Satelliten sitzt. Sein vorrangiges Ziel: ein Röntgenbild des gesamten Himmels zu erstellen.

Solche großskaligen Röntgenbeobachtungen sind besonders nützlich zur Analyse der Zusammensetzung des Universums. Zur Erinnerung: Nur etwa 29 Prozent des Universums bestehen aus (sichtbarer und dunkler) Materie. Die restlichen 71 Prozent sind Dunkle Energie, eine bislang rätselhafte Substanz, die dafür sorgt, dass die Ausdehnung des Universums sich fortwährend beschleunigt.

90.000 Objekte

Um mehr darüber zu erfahren, braucht es genaue Daten über die im Universum vorhandenen Massen, insbesondere jene der riesigen Galaxienhaufen. Ihnen kann man mit Röntgenbeobachtungen zu Leibe rücken, denn rund um sie entsteht extrem heißes Gas, das bei Temperaturen von etwa zehn Millionen Grad Celsius Röntgenstrahlung aussendet. Die Strahlung verrät also etwas über Ort und Form von Galaxienhaufen.

Ein Erklärvideo zur E-Rosita-Mission.
DLR

Kürzlich veröffentlichte das E-Rosita-Konsortium einen Katalog aller zwischen 2019 und 2020 gefundenen Röntgenquellen in einem Abschnitt, der etwa die Hälfte des Himmels umfasst. In Summe sind es rund 900.000 Röntgenquellen, darunter 710.000 supermassive Schwarze Löcher, über 180.000 aktive Sterne in unserer eigenen Milchstraße und etwa 12.000 Galaxienhaufen. Dazu kommen einige exotischere Objekte wie Doppelsterne, Supernova-Überreste und Pulsare.

Heißes Gas und Linseneffekt

Doch um Schlüsse über die Zusammensetzung des Universums ziehen zu können, braucht es zudem Abschätzungen der Massen der Objekte, insbesondere der Galaxienhaufen. Solche steuerte ein Team um den Astrophysiker Tim Schrabback am Institut für Astro- und Teilchenphysik der Universität Innsbruck bei. Zusätzlich zur Strahlung des heißen Gases nutzte man Daten, die sich aus der von den Galaxienhaufen erzeugten Raumkrümmung gewinnen ließen. Die Krümmung wird nämlich allein durch die vorhandene Masse bestimmt. Mit eingeflossen sind Daten des Cerro Tololo Inter-American Observatory in der Atacama-Wüste in Chile.

"Wir analysieren die Form von Galaxien, die sich hinter den Galaxienhaufen befinden. Diese erscheinen verzerrt, weil das Licht der Hintergrundgalaxien auf dem Weg zu uns von der Schwerkraft der Haufen abgelenkt wurde", erklärt Sebastian Grandis aus dem Forschungsteam. Dieser Effekt ist bei fernen Galaxien häufig anzutreffen und war auch eines der Highlights der ersten Bilder des James-Webb-Weltraumteleskops. "Mit der Allgemeinen Relativitätstheorie von Einstein können wir dann die Masse abschätzen, die diese Verzerrung verursacht hat", sagt Grandis.

Eine kreisrunde Projektion des Himmels.
Die Hälfte des Himmels, wie sie sich im Röntgenspektrum darstellt. Horizontal zieht sich die Milchstraße durchs Bild, die Farben stehen für die Wellenlängen, wobei Rot für lange Wellenlängen (und niedrige Energie) und Blau für kürze Wellenlängen steht.
MPE, J. Sanders for the eROSITA consortium

Die Ergebnisse hat die internationale Kooperation hinter dem E-Rosita-Projekt nun veröffentlicht. Und sie bestätigen mit hoher Genauigkeit die bisher bekannte Massenverteilung des Universums. Um sicherzugehen, wurden die Ergebnisse mit Gravitationslinsendaten zweier weiterer, erdgebundener Beobachtungsprogramme abgeglichen.

"Die kosmologischen Parameter, die wir aus Galaxienhaufen messen, stimmen mit den modernsten Daten des kosmischen Mikrowellenhintergrunds überein und zeigen, dass das gleiche kosmologische Modell von kurz nach dem Urknall bis heute gilt", sagt die Physikerin Esra Bulbul vom Max-Planck-Institut, die das Cluster- und Kosmologieprogramm bei E-Rosita leitet. Die von manchen gehegte Hoffnung, auf Abweichungen des bisher Bekannten zu stoßen, die einen Hinweis auf eine Lösung des Rätsels um die Dunkle Energie liefern könnten, erfüllte sich also nicht. Das berichtet das Team nun in drei zur Publikation eingereichten Studien.

Eine Collage aus mehreren Aufnahmen von Galaxienhaufen, die als unscharfe Flecken erscheinen.
Die Bilder von vier Galaxienhaufen. Die Farbe steht für die Intensität der Strahlung, die Linien zeigen die Verzerrung der Raumzeit durch die Masse der Galaxien.
C.Garrel & M. Kluge

Rückschlüsse auf kleinste Teilchen

Neuigkeiten könnte es für die Teilchenphysik geben. Im Universum gibt es viele Phänomene mit extrem hohen Energien, wie sie in irdischen Experimenten unmöglich zu erreichen wären. Astrophysik und Teilchenphysik sind deshalb eng verbunden.

Die Verteilung von Galaxienhaufen wird zum Teil von der Masse von Neutrinos bestimmt. Diese flüchtigen Teilchen galten lange Zeit, wie die Lichtteilchen, als masselos. Inzwischen ist bekannt, dass sie über eine gewisse Masse verfügen. Die E-Rosita-Ergebnisse erlauben es, in Kombination mit anderen Verfahren, Angaben über den möglichen Massebereich der Neutrinos zu machen, sagt Grandis: "Die Häufigkeit der Galaxienhaufen bei einer gegebenen Masse und Entfernung lässt auch Rückschlüsse darauf zu, wie massereich Neutrinos sind, die frei durch den Kosmos fliegen und dadurch einen Einfluss auf seine Entwicklung und Struktur haben."

Vorzeitiges Missionsende

Die Erfolgsgeschichte hat allerdings einen Wermutstropfen. Der Muttersatellit des Teleskops, SRG genannt, ist eine Kooperation mit der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos. Mit dem Beenden der Zusammenarbeit wurde das Teleskop im Februar 2022 in einen Sicherheitsmodus versetzt, der prinzipiell ein Wiederaufwecken erlaubt. Die Chancen dafür sind wohl gering, den Forschenden bleibt nur die Aufarbeitung der bis 2022 gesammelten Daten. (Reinhard Kleindl, 15.2.2024)