Der Mars-Helikopter Ingenuity absolvierte am 18. Jänner 2024 seinen letzten Flug. Er ist das erste Flugobjekt, das aus eigener Kraft einen kontrollierten Flug auf einem anderen Himmelskörper absolvierte. Ingenuity ist Teil der Nasa-Mission Mars 2020, deren Hauptfokus auf dem Rover Perseverance liegt. Bis die autonom fliegende Drohne ihre Reise zum Mars antreten durfte, musste das Projekt aber zahlreiche Hindernisse überwinden. Die kühne Unternehmung hatte innerhalb der US-Weltraumagentur Nasa nämlich zahlreiche Gegner.
Idee aus den 90er-Jahren
MiMi Aung ist eine US-amerikanisch-burmesische Ingenieurin, die seit 1990 bei der Nasa arbeitet. Sie hatte sich als Projektmanagerin einen Namen gemacht, als sie 2014 mit einem kleinen Team ein Projekt übernahm, dessen Ziel die Entwicklung einer Helikopterdrohne für den Mars war. Die Idee geisterte schon seit den 90er-Jahren im Jet-Propulsion-Laboratory der Nasa herum, wo sie von einem Mann namens Bob Balaram verfolgt worden war. Neu belebt wurde sie vom langjährigen Direktor des Jet-Propulsion-Lab Charles Elachi, der sich für das Konzept von Drohnen auf dem Mars begeisterte.
Technisch gesehen ist ein Helikopter auf dem Mars eine besondere Herausforderung. Die Mars-Atmosphäre ist viel dünner als jene der Erde, der Atmosphärendruck beträgt nur etwa ein Prozent des irdischen. Die Rotorblätter müssen sich also mehrere tausend Mal in der Minute drehen. Aus gutem Grund war noch nie ein derartiges Fluggerät auf einen anderen Planeten gebracht worden.
Kein wissenschaftliches Interesse
Für Aung wurde der Helikopter von einem Seitenprojekt zu ihrem Hauptfokus. Doch schon bald sah sie sich mit Widerstand konfrontiert. "Die Wissenschaftsgemeinde war einfach nicht an Ingenuity interessiert", sagt Bobby Braun, ein Raumfahrtingenieur, der an der Mars-Pathfinder-Mission mitgearbeitet hat, gegenüber dem Technologieportal "Ars Technica".
Als die Nasa 2014 aus 58 Einreichungen sieben Wissenschaftsprojekte auswählte, die Teil der Mars-2020-Mission werden sollten, war der Helikopter nicht dabei. Es handelte sich, aus Sicht vieler, um eine reine Technikdemonstration, die nicht den gleichen Wert wie die Wissenschaftsprojekte für die Suche nach Leben hatte. Doch das Projekt hatte die Rückendeckung von Elachi. Der Direktor trieb weitere Mittel auf und hielt es am Leben.
Unterstützer geht in Pension
Doch Elachis Zeit bei der Nasa lief ab, 2016 zog er sich im Alter von 69 Jahren zurück. Wissenschaftsdirektor der Nasa wurde der schweizerisch-US-amerikanische Astrophysiker Thomas Zurbuchen. Er musste über den Fortbestand des Projekts entscheiden und sah es mit Widerstand von mehreren Fraktionen innerhalb der Nasa konfrontiert.
Einerseits waren es die Forschenden, die den wertvollen Stauraum für das eigentliche Missionsziel des Perseverance-Rovers nutzen wollten: die Beantwortung der Frage, wie lebensfreundlich der Mars einst gewesen war. Doch auch die Manager der Mission Mars 2020 waren dagegen und mit ihnen, was noch schlimmer war, Nasa-Administrator Charles Bolden und sein Stellvertreter Robert Lightfoot. "Sie waren dagegen", erinnert sich Zurbuchen. "Sie waren übrigens nur gute Manager. Das war genau die richtige Antwort. Man sollte sich nie mit Dingen ablenken, die nicht notwendig sind."
Management unter Druck
Zurbuchen hatte gute Gründe, die Ingenuity-Mission zu beenden. Die Mars-2020-Mission lag im Zeitplan zurück, und die Kosten liefen aus dem Ruder. 2017 begutachtete Zurbuchen den Fortschritt zweier Missionsprojekte. Einerseits ging es um eine Vorrichtung, die testen sollte, ob der Bohrer des Rovers verunreinigt war. Die Nasa verlangt für solche Missionsmodule eine Risikoeinschätzung, wie sehr sie die Mission gefährden könnten. Das für das Bohrertool verantwortliche Team schätzte die Vorrichtung als "hochriskant" ein.
Ganz anders hörte sich das beim Ingenuity-Team an. Man war gerade dabei, den Helikopter in einer mehrere Meter durchmessenden Vakuumkammer der Nasa unter atmosphärischen Bedingungen wie auf dem Mars zu testen. Zurbuchen erinnert sich, dass er von der Präsentation nicht voll überzeugt war. Als das Team den Helikopter dann auch noch als "wenig riskant" einstufte, platzte ihm der Kragen.
"Ich habe ihnen gesagt, dass ein steinzeitliches Verfahren, bei dem in den Boden gebohrt wurde, als sehr riskant angesehen wurde", erinnert er sich. "Eine Drohne an einem Ort mit einem Atmosphärendruck von ein Prozent sollte ein geringes Risiko sein?" Zurbuchen warf den Präsentatoren vor, ihn für dumm verkaufen zu wollen, und sagte, dass sie keinen Platz in dem Projekt bekommen würden.
Chance für den Helikopter
Das Projektteam von Ingenuity gestand später, dass es bisher mit der optimistischen Risikoeinschätzung immer durchgekommen war. Mit etwas Abstand gab Zurbuchen dem Team doch noch eine Chance. Man sollte demonstrieren, dass der Helikopter flog, und durfte ein Budget von 80 Millionen Dollar nicht überschreiten. Der Betrag war klein genug, um innerhalb der Nasa nicht unangenehm aufzufallen.
Zurbuchen machte eine weitere Vorgabe: Um das Risiko zu minimieren, musste der Helikopter an der Unterseite des Rovers sitzen. Das war allerdings ebenfalls riskant, falls der Rover auf unebenem Gelände landete oder sich das Gerät nicht wie geplant löste. Doch Zurbuchen hielt Aungs Team, auch mithilfe von Kontakten in den US-Kongress, die Tür offen.
Fluggerät besteht Test
Letztlich wurde das Gewicht auf 1,8 Kilogramm limitiert, was eine große Herausforderung war. Bei der Entwicklungsarbeit wurde um jedes Gramm gekämpft. 2017 musste das Team um Aung noch einmal seine Fortschritte präsentieren. Die Entscheidung fiel positiv aus: Die Flugfähigkeit und die Sicherheit waren aus Sicht externer Prüfer gewährleistet. Zurbuchen gab sein Okay.
Noch immer waren nicht alle glücklich damit. Die Zeit zur Betreuung des Helikopters fehlte bei den reinen Wissenschaftsprojekten. "Ich persönlich war dagegen, weil wir uns sehr um Effizienz bemühen, und 30 Tage für eine Technologiedemonstration bringen keinen Fortschritt für die Wissenschaftsziele", sagt Ken Farley, Leiter des Wissenschaftsteams von Perseverance.
Vom Stiefkind zum Vorzeigeprojekt
Doch bei der Nasa ging man in die Offensive und machte den Helikopter sogar zum Aufhänger. Der neue Nasa-Administrator Jim Bridenstine promotete das Projekt persönlich auf Twitter. Der Helikopter sorgte für willkommene PR.
Noch in den Monaten vor dem Start gab es Stimmen, die einen Stopp des Projekts forderten. Doch die Anstrengungen waren vergebens. 2020 wurde der Helikopter in einem öffentlichen Wettbewerb Ingenuity getauft. Drei Monate später brach er zum Mars auf.
Nach der Landung auf der Mars-Oberfläche im Februar 2021 gab es noch eine Schrecksekunde. Das Absetzen von Ingenuity funktionierte problemlos, doch der erste Rotortest scheiterte an einem Softwarefehler. Im April drehten sich die Rotoren, drei Tage später hob Ingenuity ab.
Letzte Ruhestätte in den Dünen
Aung erzählt von dem großartigen Gefühl. Alles sei auf diesen einen Flug konzentriert gewesen, den man unbedingt erreichen wollte. 72 Flüge wurden es letztlich, über einen Zeitraum von 33 Monaten. Die Forschenden der Mission stellten zähneknirschend die für die Verlängerung der Laufzeit nötige Betreuungszeit zur Verfügung.
In Summe war Ingenuity über zwei Stunden in der Luft, bevor er bei seinem letzten Flug die Rotorblätter beschädigte und in einer malerischen Dünenlandschaft auf dem Mars seine letzte Ruhe fand. Der Ort wurde, ihm zu Ehren, Valinor Hills genannt, nach dem "unsterblichen" Reich Valinor in J.R.R. Tolkiens "Herr der Ringe". (Reinhard Kleindl, 17.2.2024)