EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beim CDU-Meeting in Berlin.
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Ursula von der Leyen will es noch einmal wissen. Die Präsidentin der EU-Kommission strebt nach der Europawahl im Juni eine zweite Regierungszeit im politisch wichtigsten Amt der Europäischen Union an. Das hat sie am Montag in Berlin in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit CDU-Chef Friedrich Merz offiziell bestätigt. Die Weichen für eine Kandidatur der Deutschen wurden zuvor im Bundesparteivorstand der CDU in Berlin gestellt, "einstimmig", wie Merz betonte. Die Partei schlägt sie dem Dachverband Europäische Volkspartei (EVP) als gemeinsame Spitzenkandidatin für die EU-Wahl am 9. Juni in allen EU-Ländern vor.

Wie vom STANDARD berichtet, gibt es bisher keinen Gegenkandidaten. Es gilt daher als sicher, dass von der Leyen am 7. März beim EVP-Kongress in Bukarest bestätigt wird, wobei sie auf keiner nationalen Wahlliste steht. Wie sie selbst versicherte, werde es keine Vermischung von Amt und Wahlkampf geben.

Umstrittene Personalentscheidungen

Zuvor müssten aber erst noch die Staats- und Regierungschef an ihr festhalten, sie dem Parlament vorschlagen. Das gilt als sicher, anders als 2019. Damals hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron überraschend den EVP-Spitzenkandidaten und Wahlsieger Manfred Weber verhindert und die Deutsche durchgedrückt. Im Gegenzug wurde die Französin Christine Lagarde Chefin der Europäischen Zentralbank. Die Personalentscheidungen waren umstritten.

Bleibt die EVP-Fraktion bei der Wahl siegreich, worauf alle Umfragen hindeuten, wird sie Anspruch auf den Posten an der Kommissionsspitze stellen. In der EVP rechnet man mit 170 von 720 Mandaten in Straßburg, deutlich mehr als die zweitstärkste Gruppe, die Sozialdemokraten. Eine Mehrheit für von der Leyen soll durch eine Koalition der beiden mit den Liberalen, eventuell auch den Grünen, erreicht werden. Laut Merz habe von der Leyen seit der Wahl 2019 in vielen Krisen bewiesen, dass Europa zusammenstehe. Dafür sei sie ein Signal.

Diesmal soll es ganz anders, geordnet und berechenbar laufen, heißt es aus Regierungszentralen. Wegen der kritischen Lage im Ukrainekrieg und vielen anderen globalen Bedrohungen für die EU seien "Erfahrung und Stabilität" gefragt: kein "Wackeln", sondern "Stehen". Dafür sei die Deutsche bekannt, deren Amtszeit von der Pandemie, einer schweren Wirtschaftskrise, dem russischen Krieg gegen die Ukraine und zuletzt auch noch dem Nahostkrieg überschattet war. Dennoch habe sie mit dem Green Deal und dem Wiederaufbaufonds Pflöcke für zukunftsgerichtete Politik eingeschlagen.

Zweifache Hauptaufgabe

Kommt von der Leyen bei einer Wahl durch das Plenum im neu konstituierten Europäischen Parlament im Juli durch, wird eine zweifache Hauptaufgabe auf sie zukommen: Sie müsste gemeinsam mit den Regierungen der 27 Mitgliedsstaaten ein neues Team aus 27 EU-Kommissaren und deren Arbeitsprogramm bis 2029 zusammenstellen. Die Kommission überwacht die Einhaltung der EU-Verträge und Regeln durch die Staaten, nur sie allein hat das Recht, Gesetzesinitiativen vorzubringen, die dann mit Parlament und EU-Ministerrat erarbeitet werden.

Die Präsidentin fühle sich für all das gut vorbereitet, heißt es aus ihrer Umgebung. 2019 war sie dem Ruf an die Spitze noch eher "intuitiv" gefolgt. Diesmal sei die Entscheidung "wohlüberlegt", durch die Erfahrung aus vier Jahren Krisenmanagement begründet. Anders als Ende 2019 findet von der Leyen "in sehr schweren Zeiten" ein ganz anderes globales Problemfeld vor, für das sie Lösungen finden muss. Damals wurde der Brexit vollzogen, die Wirtschaft in Europa verzeichnete einen Aufschwung, von Pandemie war keine Rede. Eine ambitionierte Klimapolitik, der Green Deal, stand im Zentrum eines ambitionierten Programms.

2024 überschatten der Ukrainekrieg mit all seinen komplexen Folgen, die Klimakrise, die Bedrohungen der Wirtschaft durch China und Russland und die Unsicherheit in den USA mit einer möglichen Abwendung von Europa, sollte Donald Trump Präsident werden, ihre Zukunftsplanung.

Eigener EU-Verteidigungskommissar

Von der Leyen will darauf mit einem forcierten Sicherheitskonzept antworten: Sie will einen eigenen EU-Verteidigungskommissar einsetzen, der für eine bessere Planung der gemeinsamen Rüstungsproduktion sorgt. Das ändert nichts an der nationalen Zuständigkeit für Außen- und Sicherheitspolitik der Staaten. Aber die Armeen sollen effizienter, enger kooperieren – in Richtung Militärunion.

Unter dem Titel "Mehr Sicherheit" würde sich die Kommission II unter von der Leyen auch mehr als bisher dem Kampf gegen irreguläre Migration widmen: stärkerer Schutz der Außengrenzen, mehr Rückführung von Nichtaufenthaltsberechtigen, im Gegenzug dafür mehr legale, gesteuerte Zuwanderung nach Europa.

Den Green Deal will sie fortsetzen. Aber eine zweite, geänderte Priorität würde dabei der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft im globalen Konzert gelten. Stichwort: Abhängigkeiten reduzieren, bei Energie wie Rohstoffen, mehr Diversifizierung im Handel. Das Ziel: den Wohlstand erhalten, die Industrie durch ökologischen und digitalen Umbau stärken. (Thomas Mayer aus Berlin, 19.2.2024)