Jahrzehntelang wurde in Deutschland über die Freigabe von Cannabis diskutiert, bis zuletzt höchst kontrovers: Von einem "historischen Wendepunkt" sprachen bei der Debatte im Deutschen Bundestag die einen, von einem "Dealerschutzgesetz" die anderen. Am Freitagnachmittag war es schließlich um kurz vor 16 Uhr so weit: Per Regierungsmehrheit wurde die Ampel für Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten auf Grün geschaltet.

Konkret: Ab 1. April dürfen Erwachsene zwischen Sylt und Schneizlreuth legal bis zu 50 Gramm Marihuana oder Haschisch besitzen, davon 25 Gramm in der Öffentlichkeit mitführen und bis zu drei Cannabispflanzen zu Hause kultivieren.

Cannabisblatt vor Brandenburger Tor.
Vergangenen April demonstrierten diese – vermutlichen – Cannabisfans noch in Berlin für ihr Recht auf Rausch.
REUTERS/NADJA WOHLLEBEN

407 Abgeordnete stimmten am Freitag für, 226 gegen den Vorschlag der Regierungskoalition, der den wenig blumigen Titel "Entwurf eines Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften" trug. Vier Abgeordnete enthielten sich. Die zuletzt so viel gescholtene Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP bringt damit eines der wichtigsten gesellschaftspolitischen Projekte aus dem Koalitionsvertrag durch. Die Regierung will freilich nicht von einer kompletten Legalisierung sprechen, sondern von einer "kontrollierten Freigabe".

Video: Bundestag stimmt für teilweise Legalisierung von Cannabis.
AFP

Das Ziel: Konsumentinnen und Konsumenten vom Schwarzmarkt fernzuhalten, der laut Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zuletzt immer größer geworden sei und junge Menschen in Gefahr bringe. Das neue Gesetz wolle Erwachsenen "einen verantwortungsvollen Umgang mit Cannabis erleichtern", hieß es. Die jetzige Politik sei jedenfalls gescheitert, da es immer mehr Konsumenten gebe, auch unter Jugendlichen. Insgesamt, so wird geschätzt, haben mehr als 4,5 Millionen Menschen in Deutschland 2023 Cannabis konsumiert.

"Die Lage, so, wie sie bisher ist, ist in keiner Weise befriedigend", sagte der Minister in der Debatte am Freitag. Das vom Schwarzmarkt in Umlauf gebrachte Cannabis sei so stark, dass es die psychische Gesundheit der Bevölkerung gefährde: "Wir müssen uns den Problemen stellen."

Vereine statt Coffeeshops

Sogenannte Coffeeshops, wie sie in den Niederlanden seit Jahrzehnten Touristinnen und Touristen anziehen, sind in Deutschland vorerst nicht vorgesehen. Ab dem 1. Juli sollen Erwachsene, die in Deutschland wohnen, stattdessen in sogenannten Anbauvereinigungen gemeinschaftlich Cannabis anbauen und die Ernte untereinander "nichtgewinnorientiert" zum Eigenkonsum abgeben können. Die Grenzmenge dabei wurde mit 50 Gramm im Monat pro Mitglied festgelegt. Bis zum Jahresende könnte es laut Schätzungen schon bis zu 4.000 solche Vereine in Deutschland geben. Ein Boom mit Ansage.

Die Ampelregierung will aber auch das Kurz- und Langzeitgedächtnis der Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten nicht außer Acht lassen: Wer in der Vergangenheit wegen des Besitzes oder des Eigenanbaus von bis zu 25 Gramm Cannabis oder maximal dreier Pflanzen verurteilt wurde, soll seinen oder ihren Eintrag künftig aus dem Bundeszentralregister löschen lassen können.

Gesundheitsminister Lauterbach im Bundestag.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat seinen Plan, Cannabis zu liberalisieren, durchgebracht.
AFP/ODD ANDERSEN

Der Deutsche Richterbund warnt aufgrund der Vielzahl der potenziellen Anträge indes bereits vor einer Überlastung der Justiz. Mehr als 100.000 Akten könnten neu überprüft werden müssen. Ein Argument der Ampelregierung für einen liberaleren Umgang mit Cannabis ist hingegen die langfristige Entlastung von Polizei und Justiz.

Heikler Kinder- und Jugendschutz

Ausdrücklich ausgenommen aus der "kontrollierten Freigabe": Kinder und Jugendliche. 100 Meter rund um Spielplätze, in Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen sowie Sportstätten bleibt Cannabiskonsum weiter verboten. Wer als Minderjähriger mit Cannabis erwischt wird, muss künftig an speziellen Interventions- und Präventionsprogrammen teilnehmen. Die Bundesregierung will sechs Millionen Euro in neue Aufklärungskampagnen investieren, die sich vor allem an Jugendliche richten sollen.

Gesundheitsminister Lauterbach, der einer Liberalisierung jahrelang eher skeptisch gegenübergestanden war, hatte kurz vor der Abstimmung noch einmal den Charakter des neuen Gesetzes skizziert: "Cannabiskonsum wird legalisiert, das heißt aber nicht, dass er nicht gefährlich ist." (Florian Niederndorfer, 23.2.2024)