"Unter den Linden 63–65": Diese Adresse ist in Berlin gut bekannt. Östlich des Brandenburger Tores, auf dem großen Boulevard, steht seit den 1950er-Jahren die russische Botschaft. Hinweise auf den imposanten Bau im Stil des sozialistischen Klassizismus finden sich in vielen Reiseführern.

Geht es nach einer Initiative, dann würde die Adresse bald anders lauten. Laut dem Nachrichtenportal "The Pioneer" fordern deutsche Bundestagsabgeordnete fraktionsübergreifend, die Straßen vor Botschaften autoritärer Staaten nach politischen Gefangenen zu benennen. Der Initiative der Axel Springer Foundation haben sich Anton Hofreiter (Grüne), Roderich Kiesewetter (CDU), Michael Roth (SPD) und Renata Alt (FDP) angeschlossen. Kiesewetter will zudem, dass die Adresse der russischen Botschaft künftig "Wolodymyr-Selenskyj-Platz" heißt.

Vor der russischen Botschaft in Berlin  in der Straße Unter den Linden haben Menschen Blumen, Bilder und Briefe für Alexej Nawalny niedergelegt.
Vor der russischen Botschaft in Berlin in der Straße Unter den Linden haben Menschen Blumen, Bilder und Briefe für Alexej Nawalny niedergelegt.
IMAGO/Christoph Worsch

Diese Forderung war kurz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 schon einmal laut geworden. Am 10. März 2022 wurde auf der Plattform change.org eine Petition mit der Forderung eingebracht, die Adresse der Botschaft möge künftig "Wolodymyr-Selenskyj-Platz" lauten. Sogar eine Nummer wurde schon genannt: "1–3".

Ehrung für mutigen Europäer

"Unsere Initiative soll einen mutigen Europäer ehren. Wir wollen ihm persönlich und seinen Landsleuten sowie den Bürgern der russischen Föderation und auch uns in Deutschland Mut machen", heißt es in der Begründung. Bis jetzt haben 33.946 Menschen unterzeichnet.

Doch auch wenn viele dieses Anliegen unterstützen: Eine Umbenennung einer Straße oder eines Platzes ist nicht so einfach möglich. Zwar können, wie der Bezirk Mitte erklärt, "sobald es im öffentlichen Interesse erforderlich ist", Vorschläge von allen "Bürger*innen bei der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Mitte von Berlin oder deren Fraktionen eingereicht werden". Die Vorschläge sind auch gebührenfrei. Allerdings heißt es in den Ausführungsvorschriften des Berliner Straßengesetzes: "Straßen dürfen grundsätzlich erst nach Ablauf von fünf Jahren seit dem Tode der Person benannt werden. Über Ausnahmen entscheidet der Senat von Berlin. Voraussetzung hierfür ist, dass es sich um eine herausragende Persönlichkeit handelt und ein gesamtstädtisches Interesse beziehungsweise Hauptstadtbelange gegeben sind."

Bürgermeister will Beratungen

Auf die rechtlichen Rahmenbedingungen verweist die Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Mitte, Stefanie Remlinger (Grüne), auch in einem anderen Fall. Denn auf change.org wird nun auch gefordert: "Die Behrenstraße in Berlin in Alexej-Nawalny-Straße umbenennen!" Der russische Oppositionelle war am 16. Februar in einem sibirischen Straflager ums Leben gekommen. Die Behrenstraße befindet sich an der Rückseite der russischen Botschaft, dort ist das russische Konsulat untergebracht. Stand Montag hatte die Petition 31.595 Unterschriften. Zu den Unterzeichnern zählt auch der russische Schachweltmeister Garri Kasparow.

"Persönlich habe ich sehr große Sympathien für die Idee", sagte Bezirksbürgermeisterin Remlinger (Grüne) dem RBB (Rundfunk Berlin Brandenburg) hinsichtlich einer Umbenennung. Berlins Bürgermeister Kai Wegner (CDU) teilt mit, die Koalition und der Senat würden "zu gegebener Zeit über den Vorschlag, eine Straße oder einen Platz nach Alexej Nawalny zu benennen, beraten". Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) meint im "Tagesspiegel": "Nawalnys Kampf für die Freiheit ist unsterblich. Diesen weiterzuführen und an ihn zu erinnern ist Verantwortung aller Demokratinnen und Demokraten." Nawalny war nach dem Giftanschlag auf ihn im Jahr 2020 in der Berliner Charité behandelt worden, die damalige Kanzlerin Angela Merkel hatte ihn persönlich am Krankenbett besucht.

Leipzig und Prag

Berlin wäre nicht die erste Stadt, die Umbenennungen vornimmt: In Leipzig beschloss der Stadtrat auf Antrag der Linken der Turmgutstraße, in der das russische Generalkonsulat seinen Sitz hat, den Namen Boris-Romantschenko-Straße zu geben. Der Ukrainer Romantschenko hatte das Konzentrationslager Buchenwald überlebt, er starb 2022 mit 96 Jahren nach einem russischen Raketenangriff auf sein Wohnhaus im ukrainischen Charkiw.

In Prag gibt es nicht nur einen Boris-Nemzow-Platz, sondern auch eine Straße der ukrainischen Helden. An einer Brücke in Prag erinnert eine Tafel an einen jungen Ukrainer, der sich kurz nach Kriegsbeginn samt Brücke in die Luft sprengte, um den russischen Truppen den Weg abzuschneiden. (Birgit Baumann aus Berlin, 26.2.2024)