Zu wenige Studienabschlüsse an Österreichs Hochschulen: Die IT-Branche kann ihren Personalbedarf nicht decken.
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Österreichs IT-Branche braucht dringend Fachpersonal: Es fehlen 28.000 Fachkräfte in der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), rund ein Drittel davon in den IT-Betrieben selbst. Das sagen Branchenvertreter heute im Rahmen der Veröffentlichung des aktuellen IKT-Statusreports. Dieser jährlich von der Branche in Auftrag gegebene Bericht gibt einen Überblick über aktuelle Studierendenzahlen an österreichischen Fachhochschulen und Universitäten im IKT-Sektor. Es gibt deutlich zu wenige Studienabschlüsse, um den steigenden Bedarf an Fachkräften zu decken, und es brauche "neue Konzepte auf einer viel breiteren Basis", sagt Alfred Harl, Obmann des Fachverbands Unternehmensberatung, Buchhaltung und IT (Ubit).

Der Sektor wachse jedenfalls kräftig, es gebe im Zehn-Jahre-Vergleich ein Plus von 80 Prozent bei den Beschäftigten, bei den Betrieben ein Plus von über 40 Prozent, erklärt Harl. Im internationalen Vergleich stehe man laut World Economic Forum (WEF) zwar gut da, könne sich aber nicht darauf ausruhen und müsse viel von den Spitzenreitern wie Finnland, Estland oder Israel lernen. In der EU sei Österreich nur auf Platz zehn von 27. "Wir werden das Mittelfeld nicht los, das müssen wir aber", plädiert Harl für Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel. Jede zusätzliche Fachkraft würde im Schnitt 180.000 Euro mehr Wertschöpfung lukrieren, das ergebe in Summe rund fünf Milliarden Euro, die aufgrund des Personalmangels nicht erwirtschaftet werden können, beklagt der Branchenobmann.

Zu viele Dropouts, zu wenige Frauen

Ansetzen müsse man vor allem bei der Ausbildung. Laut IKT-Report, den Studienleiter Norbert Wohlgemuth vom Kärntner Institut für Höhere Studien (KIHS) präsentierte, belegten im Vorjahr zwar 25.000 Personen IKT-Studien, es gibt aber zu wenige Studienabschlüsse. Die Zahl der Abschlüsse hat sich über die letzten zehn Jahre kaum verändert, der Bedarf steigt aber von Jahr zu Jahr. Ursachen dafür sind zu hohe Dropout-Quoten und ein zu niedriger Anteil an Frauen in den Ausbildungen. Auch für Frauen müsse ein IKT-Studium attraktiver werden, hier sei die Branche gefragt, aktiv auf Frauen zuzugehen und nach ihren Bedürfnissen zu fragen.

Ein Problem ortet man im hohen Anteil an Absolventinnen von allgemeinbildenden höhere Schulen (AHS) bei den Frauen, wo diese weniger IT-Vorbildung bekämen als etwa in einer Höheren Technischen Lehranstalt (HTL). Auch diese müssten attraktiver für Frauen werden, plädiert Harl an den Bildungssektor. Außerdem brauche es weibliche "Role-Models" in der Branche, die bereit sind, als Mentorinnen zu fungieren und andere Frauen zu motivieren, eine IT-Ausbildung abzuschließen. Bei einem hypothetischen Frauenanteil von 50 Prozent hätte man rund 10.000 zusätzliche Abschlüsse im Jahr. Das sei aber nicht mir einer Maßnahme zu lösen, sondern brauche Ansätze auf einer sehr breiten Basis, ergänzt Harl.

Man müsse aber bereits viel früher ansetzen, sagt Branchenobmann-Stellvertreter Martin Zandonella. Der ideale Zeitpunkt sei der Kindergarten. Die neue digitale Grundbildung sei zwar positiv, aber noch viel zu wenig, beklagt der Branchenvertreter. Man fordere verpflichtenden Informatikunterricht im Ausmaß von zwei Stunden pro Woche von der fünften bis zur siebenten Klasse der Oberstufe, zusätzlich zu dem bereits bestehenden Angebot. Zu den aus seiner Sicht mangelhaft vermittelten digitalen Kompetenzen im AHS-Unterricht bemerkt Zandonella: "Es ist keine Allgemeinbildung, wenn die Welt, die man verstehen lernen soll, eine digitale ist." Auch bei der Berufs- und Bildungsberatung ortet man Nachbesserungsbedarf.

Pensionisten halten, Lehre fördern

An die Politik gerichtet fordert Branchenobmann Harl steuerfreie Zuverdienstmöglichkeiten für Pensionisten. "Für 20, 30 Euro macht man das nicht. Da muss stehen: steuerfrei", kritisiert er die bestehenden steuerlichen Hürden. 10.000 Fachkräfte würden in den nächsten zehn Jahren in Pension gehen, die nachzubesetzen sei enorm schwierig. Auch bei Geflüchteten aus der Ukraine habe man eine große Chance verpasst, ärgert sich Harl. Man hätte die "Tore weit aufmachen sollen" und qualifiziertes Personal aus der Ukraine nach Österreich einladen sollen.

Abhilfe schaffen sollen unter anderem Lehren im IT-Bereich. Die IT sei zwar kein klassischer Lehrberuf, aber ein Abschluss einer Lehre im IKT-Bereich sei, genau wie ein Studienabschluss, eine "Jobgarantie für den künftigen Werdegang", sagt Zandonella. Im Vorjahr habe man die Duale Akademie ins Leben gerufen, die sich vor allem an Maturantinnen und Maturanten und Studierende ohne Abschluss richtet. Dort kann man in maximal drei Jahren einen entsprechenden Lehrabschluss erlangen. Das sei aber noch kaum bekannt und müsse von den Medien in die Wohnzimmer getragen werden, wünschen sich die Branchenvertreter.

Die Branche selber mache vieles richtig, ließen die Vertreter auf Nachfrage der Journalistinnen und Journalisten wissen. Die Gehälter lägen "weitgehend über dem Kollektivvertrag", auch die Arbeitsbedingungen seien gemeinhin gut. Man sei außerdem nicht hier, um über die KV-Verhandlungen zu sprechen, winkte Branchenobmann Harl entsprechende Fragen ab. (Paul Sajovitz, 29.2.2024)