Während in Österreich die Details des Knebelvertrags zwischen der Gazprom und der OMV nicht öffentlich sind, wurden in Bulgarien nun entscheidende Deals zwischen der Regierung und dem russischen Erdgasunternehmen Gazprom geleakt. Die bulgarische Zeitung Kapital veröffentlichte Dokumente, die veranschaulichen, wie es dazu gekommen war, dass der EU-Staat Bulgarien 2017 der Schaffung einer Gaspipeline für die Gazprom durch sein Territorium zustimmte, obwohl dies eindeutig zum Nachteil der Ukraine war. Nur zur Erinnerung: 2017 hatte das Regime im Kreml die Krim überfallen und stellte damals bereits eine ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit Europas dar.

Auf Russlands Geheiß: Bau der Turkstream-Pipeline durch Bulgarien nahe der Stadt Letniza im Herbst 2022
Auf Russlands Geheiß: Bau der Turkstream-Pipeline durch Bulgarien nahe der Stadt Letniza im Herbst 2022.
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Am 3. Juni 2017 unterzeichnete die damalige Energieministerin, Temenuschka Petrowa Petkowa von der konservativ-klientelistischen GERB, die zur mächtigen Europäischen Volkspartei (EVP) gehört, den Fahrplan für die Pipeline Turkstream mit Gazprom-Direktor Alexej Miller. Aus einer nun durchgesickerten Korrespondenz von Jewgeni Zobnin – dem Assistenten des stellvertretenden Sprechers der russischen Staatsduma, Alexander Babakow – wird nachvollziehbar, wie der Deal vonstattenging.

Russische Kontrolle

"Zwischen 2018 und 2020 übernahm Russland die Kontrolle über den bulgarischen Energiesektor. Unter dem Druck Moskaus ermöglichten es Verstöße gegen die bulgarische Gesetzgebung und die Vernachlässigung nationaler und europäischer Interessen, dass die Wünsche des russischen Präsidenten Wladimir Putin, die Gaslieferung über die Ukraine zu umgehen, verwirklicht wurden", schreibt Kapital. Für die Turkstream bezahlte Bulgarien etwa 1,5 Milliarden Euro.

Video: Regierung bringt Gasnetz- und Stromnetz-Ausbau auf Schiene
DER STANDARD

Der Bau der Pipeline sei demnach vollständig auf Geheiß von Gazprom und den Behörden in Moskau erfolgt, so Kapital. "Aus geopolitischer Sicht gab der Bau des Turkstream durch Bulgarien Russland die Möglichkeit, die Ukraine anzugreifen, ohne seine Optionen für Gaslieferungen nach Serbien und Ungarn zu verlieren, was auch mit politischem Einfluss verbunden ist", so die renommierte Wirtschaftszeitung.

Auffälliges Verfahren

Tatsächlich war das Vergabeverfahren höchst auffällig. Am 3. April 2019 gab der Auftraggeber, die Bulgartransgaz, bekannt, dass das saudische Konsortium Arkad Engineering die Ausschreibung aufgrund des Preises gewonnen habe. Doch statt den Vertrag mit Arkade abzuschließen, entschied sich das staatliche bulgarische Unternehmen Bulgartransgaz am 28. Mai plötzlich für ein mit Russland verbundenes Konsortium namens "Gasentwicklung und -ausbau in Bulgarien", das gegen alle Regeln das Preisangebot nachträglich geändert hatte.

Aufklärungswürdige Rolle: Bojko Borissov, Bulgariens Premier zur Zeit des Pipeline-Beschlusses
Aufklärungswürdige Rolle: Bojko Borissow, Bulgariens Premier zur Zeit des Pipeline-Beschlusses.
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Die Wettbewerbsbehörde hob die Entscheidung von Bulgartransgaz Ende Juni 2019 auf. Doch dann folgte eine Gegenbeschwerde des russischen Anbieters. Einige Treffen in Sofia und Istanbul fanden statt. Aus den Leaks geht laut Kapital hervor, dass sich die "bulgarischen, russischen und arabischen Länder" bereits am 1. Juli 2019 in Istanbul darauf geeinigt hatten, wie Turkstream durch Bulgarien gebaut werden solle. Den Leaks zufolge wurden schon zuvor verschiedene Optionen entwickelt, damit Gazprom Export die Kontrolle über das Projekt übernehmen und die Gazprombank es finanzieren konnte – der formelle Gewinner der Ausschreibung, Arkad, jedoch außen vor gelassen werden konnte. Russland setzte demnach "aggressiv" Fristen und stellte Finanzierungen bereit, um seine Interessen in Bulgarien umzusetzen.

Saudi-Arabien

Laut Kapital ging es der russischen Seite vor allem darum, die Gaspipeline schnell in Betrieb zu nehmen, um die Ukraine zu umgehen. Am 14. Oktober 2019 reiste Putin schließlich nach Saudi-Arabien. Dort einigte man sich darauf, dass die Kontrolle des Gaspipeline-Projekts an die russische Seite ging. "Als Entschädigung dafür zahlte Russland zunächst 50 Millionen Dollar, dann noch einmal 35 Millionen Dollar an die Saudis", schreibt Kapital.

Anfang 2021 ging dann die Turkstream auch in Bulgarien in Betrieb. Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine vor zwei Jahren wird nach Bulgarien selbst kein russisches Gas mehr geliefert, denn die bulgarische Regierung hat sich deutlich von Moskau distanziert. Doch das Gazprom-Gas fließt weiter durch Bulgarien und versorgt von dort aus Serbien und Ungarn, wo moskaufreundliche Regime an der Macht sind.

Rolle des Premiers

Besonders aufklärungsbedürftig erscheint angesichts der neuen Dokumente die Rolle des ehemaligen bulgarischen Premiers Bojko Borissow. Als Regierungschef verteidigte Borissow beharrlich die Turkstream. Offensichtlich war er damals in der Lage, sämtliche Institutionen in Bulgarien zu kontrollieren, gesetzliche Vorschriften spielten für ihn keine Rolle. Der Premier führte Bulgarien in eine noch tiefere Abhängigkeit von Russland, obwohl Energieexperten meinen, dass die Pipeline wirtschaftlich für Bulgarien keine Vorteile bringt. Borissow, der als notorisch korrupt gilt, aber auch wegen der guten Beziehungen zu der deutschen CDU-Kanzlerin Angela Merkel nicht angetastet wurde, hat jedenfalls der Ukraine Schaden zugefügt. Es bleibt aufzuklären, weshalb er sich so für die Gazprom starkmachte.

Bereits am 5. Juni 2017 sagte Borissow, dass er sich wünsche, dass der mit Miller unterzeichnete Fahrplan vom Parlament genehmigt werde. Die damalige GERB-Regierung weigerte sich jedoch, das unterzeichnete Dokument öffentlich zu zeigen. Die Nachfolgeregierungen – als Borissow selbst nicht mehr Premier war – versuchten das Dokument zu finden und durchsuchten die Ministerien, aber auch die Schatzkammer. Nichts. 2021 wurde sogar erwogen, strafrechtlich zu ermitteln, weil das Dokument verschwunden blieb.

Aufklärung mangelhaft

Die Rolle der Partei GERB ist auch insbesondere brisant, da die GERB Teil der derzeitigen bulgarischen Regierung ist. Die ersten neun Monate hatte der liberale Politiker Nikolaj Denkow das Amt des Premierministers inne, am Mittwoch trat er wie vereinbart zurück. Nun wird die GERB-Politikerin und ehemalige EU-Kommissarin Marija Gabriel übernehmen. Die GERB hat wahrscheinlich wenig Interesse, die Hintergründe des Gazprom-Deals aufzuklären.

Trotz der Sanktionen gegen Russland fließen über die Turkstream weiterhin beträchtliche Mengen russisches Erdgas in den EU-Staat Rumänien sowie nach Serbien und Ungarn. Bulgarien erhebt darauf seit 2023 eine Transitgebühr von zehn Euro pro Megawattstunde. Bulgarien selbst bezieht mittlerweile aserbaidschanisches Gas über den LNG-Terminal in Griechenland. Von dort führt mittlerweile auch eine Alternativ-Pipeline zur Gazprom-Turkstream Richtung Serbien, um den Balkan aus der russischen Abhängigkeit zu bringen.

"Treueste Kunden"

Die Plattform InformNapalm, die die neuen geleakten Gazprom-Informationen von Hackern als Erste veröffentlichte, schreibt über die derzeitige Gaspolitik: "Nach der umfassenden Invasion der Ukraine wurden die russischen Gaslieferungen nach Europa deutlich reduziert, aber nicht vollständig eingestellt." Erwähnt werden neben der Turkstream auch die beiden Pipelines für die Gazprom durch die Ukraine. "Beide Pipelines sind auf die Mitte und den Süden Europas ausgerichtet. In dieser Region sind Ungarn, Österreich und Serbien weiterhin die treuesten Kunden von Gazprom auf dem Kontinent."

Ende 2024 läuft jedoch der Transitvertrag zwischen Russland und der Ukraine aus. Dann muss die Ukraine kein russisches Gas mehr über ihr Territorium liefern. Und dies eröffnet auch eine Möglichkeit für Österreich, sich aus dem Knebelvertrag mit der Gazprom zu befreien. Denn wenn die Gazprom kein Gas mehr bis zum österreichischen Knotenpunkt Baumgarten liefern kann, dann kann sie ihren Teil des Vertrags nicht mehr erfüllen. Außer das Gas kommt über die von Putin durchgesetzte Turkstream aus dem Süden. (Adelheid Wölfl, 7.3.2024)