Illustration des Darmtrakts
Im Darm greifen Stoffwechsel, Immunsystem, Mikrobiom und die Darm-Hirn-Achse ineinander. Werden ihm all diese Reize zu viel, stellt er auch schon mal die Arbeit ein – oder zeigt das mit anderen Wehwehchen.
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Der Darm scheint irgendwie eine ziemliche Mimose zu sein, bei der kleinsten Aufregung, hat man den Eindruck, stellt er die reguläre Arbeit ein. Die einen haben dann Magenweh, andere bekommen Durchfall und Blähungen, wieder andere können gar nicht auf die Toilette gehen. Das alles ist dabei keine Einbildung. Der Darm reagiert tatsächlich sehr sensibel auf äußere Umstände und vor allem auf Stress – und nichts anderes bedeutet Aufregung ja für den Stoffwechsel. "Der Körper schüttet dann Stresshormone aus, und die legen die Verdauung lahm", erklärt Günther Malek, Allgemeinmediziner mit Schwerpunkt Psychosomatik und Leiter des Zentrums für Integrative Medizin und Schmerztherapie Trinicum.

Das ist prinzipiell auch sehr sinnvoll. Die Aufgabe der Stresshormone ist es ja, uns in Sekundenschnelle für Kampf oder Flucht bereitzumachen. Darmtätigkeit ist dann das Letzte, was man brauchen kann. Also lähmen sie die Peristaltik, die Bewegungen im Darm, und verschließen die Schließmuskeln, von denen es mehrere gibt. "Und damit steht die komplette Verdauung."

Das ist kein Drama, wenn das einmal passiert. Es kann sich aber dann problematisch auswirken, wenn man viel und über längere Zeit Stress hat. Das ist natürlich nicht bei allen Menschen gleich intensiv ausgeprägt. Und nicht alle bekommen gleich Darmprobleme. Herzklopfen, Rückenprobleme oder Kopfschmerzen sind auch sehr verbreitet. Doch der Darm ist tatsächlich bei besonders vielen Menschen eine Art Stresszentrum und macht sich bei Überlastung als Erstes bemerkbar.

Treffpunkt der Reize

Das liegt daran, dass im Darm sehr viele Reize aufeinandertreffen: "Hier treffen sich Stoffwechsel, Immunsystem, Mikrobiom und vegetatives Nervensystem. Das sind vier unterschiedliche Systeme, die alle miteinander verbunden sind und ineinander übergreifen. Und alle können Probleme verursachen", erklärt Malek.

Der Stoffwechsel etwa in Form von Unverträglichkeiten. Prinzipiell wird der Nahrungsbrei im fast keimfreien Dünndarm in seine einzelnen Bestandteile aufgespalten, die Nährstoffe werden herausgefiltert und aufgenommen. Das geschieht mithilfe bestimmter Enzymen, es gibt etwa eines für Laktose, ein spezielles Aufnahmesystem für Fruktose und so weiter. Ist das geschehen, kommt der restliche Nahrungsbrei in den Dickdarm, dort werden nur noch Wasser, Mineralstoffe, Vitamine oder auch kurzkettige Fettsäuren entzogen. "Fehlt aber ein spezifisches Enzym, kann zum Beispiel die Laktose nicht aufgespaltet werden, zu viele dieser Zuckerverbindungen gelangen in den Dickdarm", erklärt Malek.

Weil die dort aber nichts verloren haben, kommt es zu Gär- und Fäulnisprozessen, Gase entstehen, die oft Bauchschmerzen auslösen und sich in Folge auch ihren Weg nach draußen suchen. Da riecht man in vielen Fällen auch. Vor allem wenn die Fettverdauung nicht richtig funktioniert, kann die olfaktorische Beeinträchtigung recht intensiv werden. Wie viele Flatulenzen sind aber noch in Ordnung? "Ein gewisses Ausmaß ist normal", beruhigt der Experte, "das ist kein Drama. Nach einem Feierwochenende oder wenn man etwas Ungewöhnliches isst, muss man sich keine Sorgen machen." Doch wenn das Problem ständig auftritt, stimmt etwas nicht mit dem Darm, und man sollte Unverträglichkeiten abklären.

Wenn das Immunsystem reagiert

Der nächste Punkt sind Allergien und andere immunologische Mechanismen. Die unterscheiden sich insofern von Unverträglichkeiten, als es dafür keine metabolischen Ursache gibt. Vielmehr reagiert das Immunsystem auf einen an sich ungefährlichen Stoff im Essen, es kommt zu Entzündungen. Klassische Nahrungsmittelallergien gegen Nüsse oder Steinobst gehören dazu, aber man kann auch auf Gluten, das Kleber-Eiweiß im Getreide, reagieren. Eine Allergie muss übrigens nicht angeboren sein, oft entsteht sie, weil das Verdauungssystem durch Stress überlastet ist. Dagegen hilft am besten, wenn man den immunologischen Auslöser weglässt.

Mit dem Immunsystem eng zusammen hängt das Mikrobiom, das ist die Gesamtheit aller Mikroorganismen, die im Darm leben. Je nachdem, welche Bakterien und Viren dort vorhanden sind, kann das das Immunsystem unterstützen oder beeinträchtigen. Dabei kann jeder Mensch die Zusammensetzung des Mikrobioms bis zu einem bestimmten Grad selbst steuern, einfach mit der Auswahl der Lebensmittel, die man zu sich nimmt. Das gelingt am besten mit sogenannten Präbiotika, das sind unverdauliche Nahrungsbestandteile wie Ballaststoffe. Die dienen als Futter für jene Bakterien im Darm, die nach heutigem Wissensstand mit guter Darmgesundheit in Verbindung gebracht werden. Hülsenfrüchte, Bittergemüse, erkaltete Pasta, Reis und Kartoffeln, Hafer und Roggen, aber auch Lauch- und Kohlgemüse zählen dazu.

Was dagegen nur bedingt hilft, ist die Einnahme von Probiotika, also Darmbakterien, betont Malek: "Einfach nur Keime, die nicht ausreichend vorhanden sind, reinzugeben, ist viel zu kurz gegriffen. Die gliedern sich im Darm nur bedingt ein und verschwinden nach kurzer Zeit wieder, vor allem wenn die Ernährung nicht passt." Die Bakterienstämme im Mikrobiom sind nämlich gar nicht so einfach zu erreichen: "Man darf sich das nicht so vorstellen, dass die Bakterienstämme im Darm nur frei herumschwimmen. Die sitzen vorwiegend in einer Schleimschicht, die die Darmwand auskleidet." Malek verteufelt Probiotika dabei nicht prinzipiell, aber "es ist einfach nicht so simpel. Wir haben das Mikrobiom noch immer nicht ausreichend verstanden, um hier einfache Lösungen zu bieten."

Der Darm und das Hirn

Schließlich interagiert der Darm intensiv mit dem Gehirn: "Es gibt eine sehr stark ausgeprägte Darm-Hirn-Achse, die Organe sind in beide Richtungen miteinander verbunden." Gesteuert wird das vom vegetativen Nervensystem, jenem Nervengeflecht, das ohne äußeres oder bewusstes Zutun arbeitet. Es regelt Vorgänge wie Atmung, Herzschlag oder Verdauung. Bekommt diese Darm-Hirn-Achse zu viele Reize ab, reagiert die Verdauung oft ziemlich schnell, mit Magenschmerzen, Verstopfung, Blähbauch, Bauchkrämpfen oder auch Durchfall. Und deshalb wirkt es sich auch auf Stimmung, Schmerzempfinden und mehr aus, wenn der Darm nicht gut arbeitet. Umgekehrt können psychische Befindlichkeiten die Aktivität des Darms beeinträchtigen.

Diese komplexe Gemengelage führt dazu, dass es oft sehr schwer ist, Darmprobleme in den Griff zu bekommen. Doch es gibt einige gute Ansatzpunkte. Der erste ist, wie schon beschrieben, die Ernährung. Isst man stark pflanzenbasiert, reduziert Fleisch- und Zuckerkonsum und verzichtet weitgehend auf hochverarbeitete Lebensmittel, entwickelt sich das Mikrobiom in eine positive Richtung. Besonders gut sind auch fermentierte Lebensmittel: "Die sind vor allem dann förderlich, wenn sie nicht pasteurisiert sind. Sonst werden die Milchsäurebakterien darin abgetötet", rät Malek.

Dann gilt es, auf Unverträglichkeiten zu reagieren. Die sind nämlich keinesfalls eingebildet, wie das schon einmal abgetan wird – vor allem wenn eine Person gleich mehrere Dinge nicht verträgt. Tatsächlich werden sie umso stärker, je schlechter der Zustand des Darms ist und je schlechter man sich psychisch fühlt. Das liegt wiederum an der Darm-Hirn-Achse, weiß Malek. "Hat sich zum Beispiel eine Fruktoseunverträglichkeit einmal etabliert und man tut nichts dagegen, wird sie immer schlimmer, mit immer gravierenderen Beschwerden." Dann muss man Fruktose für eine Weile wirklich komplett weglassen, damit sich das System wieder erholen kann. Das ist allerdings nicht so einfach, idealerweise lässt man sich dabei diätologisch begleiten.

Heilmittel Verzicht

Als Nächstes sollte man zwischen den Mahlzeiten ausreichend Pause machen. "Wir sind ja permanent kulinarischen Reizen ausgesetzt und entsprechend überladen", betont Malek. Das ist ein recht junges Phänomen, bis vor 100 Jahren war Essen für viele Menschen eher Mangelware. "Geht man dagegen heute durch die Stadt, riecht es an jeder Ecke nach Essen. Dadurch ist das ganze System ständig hochgefahren, das führt zu einer massiven Überreizung."

Manche Menschen halten das gut aus, es tut ihnen nichts. Andere dagegen können damit nur schwer umgehen. Deshalb, meint der Experte, hat auch das Fasten so eine große Fangemeinde: "Komme ich einmal aus dem ständigen Überfluss in den Mangel, entlastet das das komplette System. Der Darm hält wieder mehr aus, wenn er für eine Weile weniger Stress ausgesetzt ist."

Das Spannende am Darm übrigens: Placebo-Behandlungen wirken bei ihm besonders gut. "Studien zeigen, dass beinahe jede Intervention zumindest einen gewissen, kurzfristigen Effekt hat", weiß Malek. Das dürfte daran liegen, dass man das Gefühl hat, man tut sich etwas Gutes, es kommt vorübergehen zu einer Entspannung. Langfristig muss man dann aber natürlich den Ursachen für die Probleme auf den Grund gehen.

Fünf Jahre Zeit

Schließlich betont der Experte noch die Wichtigkeit der Darmkrebsvorsorge: "Den kann man durch Früherkennung in 90 Prozent aller Fälle heilen. Nur beim Gebärmutterhalskrebs funktioniert das ähnlich effizient." Das liegt daran, dass Darmkrebs in der Regel in kleinen Polypen, ähnlich einem Schwammerl, die ins Darmlumen hineinwachsen, entsteht. Das geht recht langsam, man hat im Schnitt zumindest fünf Jahre Zeit, um so einen Polypen zu entfernen, bevor er bösartig wird. "Holt man den raus, ist es damit auch erledigt."

Doch nur wenige Menschen gehen zur Darmspiegelung, die für die Früherkennung nötig ist, etwa eine Person von fünf ab 50 Jahren. "Dabei ist das wirklich eine einzigartige Chance. Jedes Jahr erkranken rund 5.000 Menschen in Österreich an Darmkrebs, und etwa 2.000 Personen sterben daran. Das sind fünfmal so viele wie Verkehrstote."

Die Screeningzahlen sind sicher auch deshalb so niedrig, weil eine Darmspiegelung einen ziemlichen Aufwand bedeutet. Doch es gibt mittlerweile neue, spezifische Tests, die FIT-Tests, die man selbst anwenden kann. Dafür nimmt man eine Stuhlprobe und schickt sie ins Labor, wo sie auf minimale, mit dem freien Auge nicht erkennbare Mengen menschlichen Bluts untersucht wird. Findet man etwas, folgt eine Koloskopie zur Abklärung. "Diese Tests haben die gleiche Erkennungsrate, die Vorsorge damit ist mittlerweile vom Nationalen Screening-Komittee einer Vorsorge mittels Darmspiegelung gleichgesetzt." Alle zwei Jahre sollte man den Test machen. Derzeit wird er nicht von der Gesundheitskasse übernommen – mit 39 Euro sind die Kosten dafür aber überschaubar.

Einfache Regeln

Was braucht ein gesunder Darm nun? Im Grunde ist es banal, weiß Malek: "Sich Zeit nehmen und in Ruhe hochwertige Kost auf Pflanzenbasis essen. Pausen sind extrem wichtig, ich muss das System nach einer Mahlzeit ein paar Stunden in Ruhe lassen." Auf Zwischenmahlzeiten sollte man also weitgehend verzichten, Fleisch ist eher als Beilage zu sehen. "Und es hilft, wenn man gut und ausgiebig kaut."

Auch Bewegung ist wichtig, Studien zeigen zum Beispiel, dass sich regelmäßiges Krafttraining positiv auf das Mikrobiom auswirkt. "Die Verdauung ist ein gut eingespieltes System, das viel aushält, auch gelegentliche Stressphasen. Aber irgendwann kippt es, und dann geht womöglich gar nichts mehr, obwohl unmittelbar davor nichts Großartiges verändert wurde. Man kann sich das so ähnlich vorstellen, wie wenn ein Staudamm bricht."

Und noch ein wichtiges Tool hat Malek: Genuss. "Man muss nicht zu heilig werden, Genuss ist wirklich wichtig. Wenn man zu 80 Prozent gesund isst, kann man die restlichen 20 Prozent das tun, worauf man sonst auch noch Lust hat." Das zeigt auch das sogenannte French Paradox: Obwohl die Nahrungszusammensetzung in der französischen Küche nicht immer die beste ist, man isst etwa viel Fleisch, haben die Menschen in Frankreich tendenziell eine bessere Verdauung. Das führt man auf die entspannte Esskultur dort zurück. (Pia Kruckenhauser, 9.3.2024)