In vielen deutschen Städten, wie hier in Hamburg, gab es in den vergangenen Wochen Demonstrationen gegen die AfD
In vielen deutschen Städten, hier in Hamburg, gab es in den vergangenen Wochen Demonstrationen gegen die AfD.
IMAGO/Markus Matzel

Alice Weidel und Tino Chrupalla sind nicht nach Münster gekommen. Die Chefin und der Chef der AfD wollten lieber während der aktuellen Sitzungswoche in Berlin im Bundestag Präsenz zeigen. Doch ihre Aufmerksamkeit dürfte am Dienstag und Mittwoch ganz dem Gerichtsverfahren am Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster gelten. Dort nämlich heißt es "Die AfD gegen die Bundesrepublik Deutschland".

4.200 Seiten an Akten liegen vor, Videomaterial über 116 Stunden, die Vorbereitung der Verhandlung hat Monate gedauert. Im Kern geht es um folgende Frage: Darf der deutsche Verfassungsschutz die AfD als "rechtsextremistischen Verdachtsfall" einstufen und somit ihre Aktivitäten auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln – etwa durch Einsatz von V-Leuten, Observation, Bild- und Tonaufzeichnungen – beobachten?

Durchforstung von Quellen

Ja, sagt der Verfassungsschutz, der seinen Sitz in Köln hat. 2021 stufte er die AfD als "rechtsextremistischen Verdachtsfall" ein. Zuvor war die Partei zwei Jahre lang beobachtet worden. In dieser Zeit hatten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Inlandsgeheimdiensts öffentlich zugängliche Quellen (Reden, Aussagen in sozialen Medien) ausgewertet und waren zum Schluss gekommen, dass bei der AfD und auch bei ihrer Jugendorganisation Junge Alternative (JA) hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung vorliegen.

Als gefährlich stufte die Behörde den Rassismus der AfD ein, der auf einem "biologisch-rassistischen oder ethnisch-kulturellen Volksbegriff" basiere. Die Grenze sei überschritten, wenn "eine bestimmte Bevölkerungsgruppe wie zum Beispiel Muslime oder 'außereuropäische Migranten' als ihrer Natur nach kriminell, aggressiv, triebgesteuert und gefährlich" dargestellt werde.

AfD wollte Vertagung

Die AfD wehrte sich, blitzte aber am Verwaltungsgericht Köln ab. Dieses ließ den Verfassungsschutz gewähren. Daraufhin wandte sich die AfD an die nächste Instanz – eben das Oberverwaltungsgericht Münster. Zwei Tage Verhandlung hat dieses zunächst angesetzt. Ob diese Woche noch ein Urteil kommt, ist unklar. Am ersten Tag, also am Dienstag, forderte der Anwalt der AfD, Christian Conrad, eine Vertagung der mündlichen Verhandlung, um das Beweismaterial sichten zu können. Dem gab das Gericht nicht statt – mit der Begründung, es seien keine neuen Argumente eingebracht worden.

Der AfD ist daran gelegen, das Verfahren in die Länge zu ziehen. Sollte sie nicht recht bekommen, wäre ein Urteil vor der Europawahl im Juni und auch vor den Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen im September ungünstig. Über die Erfolgsaussichten der AfD sagt Fabian Wittreck, Verfassungsjurist an der Universität Münster: "Sie dürften übersichtlich sein." Die Liste der "Entgleisungen von AfD-Funktionären", die dem Gericht vorliege, sei "höchst deprimierend". Medienberichten zufolge arbeitet das Bundesamt für Verfassungsschutz schon am nächsten Schritt. Es will die AfD als "gesichert extremistische Bestrebung" einstufen. Das würde die Möglichkeit der Beobachtung ausweiten.

Bericht: Mehr als 100 Rechtsextreme für AfD im Bundestag

Einem Medienbericht vom Dienstag zufolge sollen für die AfD-Bundestagsfraktion und AfD-Abgeordnete mehr als 100 Personen aus Organisationen arbeiten, die von deutschen Verfassungsschutzämtern als rechtsextremistisch eingestuft werden. Der Bayerische Rundfunk (BR) stützt sich in einem am Dienstag veröffentlichten entsprechenden Bericht auf "interne Namenslisten" aus dem deutschen Bundestag und Mitarbeiterverzeichnisse aus der AfD-Fraktion, die er einsehen konnte.

Unter den Mitarbeitern sollen laut BR Personen sein, die namentlich in Verfassungsschutzberichten erwähnt werden, die Führungspositionen in beobachteten Organisationen innehaben und die als Referenten beim als rechtsextremistisch eingestuften Institut für Staatspolitik (IfS) in Schnellroda aufgetreten sind. Einen großen Teil der mehr als 100 Mitarbeiter, von denen die Rede ist, machen den Recherchen zufolge Mitglieder der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA) aus, die der Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch einstuft, und Mitarbeiter aus den AfD-Landesverbänden Sachsen-Anhalt und Thüringen, die von den dortigen Verfassungsschutzämtern als gesichert rechtsextremistisch eingestuft werden.

Die AfD-Partei- und Fraktionschefs wiesen den Bericht prompt zurück. "Das ist so lächerlich, an den Haaren herbeigezogen", sagte Weidel bei einem Presse-Statement am Dienstag in Berlin vor einer Sitzung der Bundestagsfraktion. Es gehe darum, "die AfD weiter zu diskreditieren".

Chrupalla nannte die Recherchen zu den Mitarbeitern diffamierend. Die Beschäftigten seien intern von der Fraktion geprüft worden, "und alle, die hier arbeiten, die einen Hausausweis besitzen, sind auch vom Bundestag geprüft. Das sind unbescholtene Bürger, gegen die nichts vorliegt". Chrupalla wies darauf hin, dass auch er in Sachsen einem AfD-Landesverband angehöre, der vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wurde. "Was bin ich für Sie?", fragte er die anwesenden Journalisten. (Birgit Baumann aus Berlin, APA, 12.3.2024)