Vasco Alves Cordeiro
Vasco Alves Cordeiro, Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen, plädierte für mehr statt weniger Kohäsionspolitik.
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Protestierende Bauern zählen bei politischen Events dieser Tage fast schon zur Standardkulisse. Kein Wunder also, dass auch zum Start des zehnten EU-Gipfels der Städte und Regionen im belgischen Mons Montagmittag Traktoren vor dem Konferenzzentrum auffuhren. Gastgeber Vasco Alves Cordeiro, Präsident des EU-Regionalausschusses, nahm sich Zeit für eine Aussprache mit den Landwirten. Dass er sich zu seinem ersten offiziellen Termin leicht verspätete, nahm er fast wohlwollend in Kauf, stand der erste Konferenztag doch ganz im Zeichen der Kohäsions- und Förderpolitik der EU.

Cordeiro und der Europäische Ausschuss der Regionen fühlten sich durch die leichte Verzögerung quasi bestätigt. Die jüngsten Proteste der Landwirte seien das "sichtbarste Zeichen einer zunehmenden Unzufriedenheit mit der Umwelt- und Wirtschaftspolitik der EU, die zu mehr Armut und sozialer Ausgrenzung auf dem gesamten Kontinent und insbesondere in ländlichen Gebieten führen könnte", hieß es am Gipfel. Statt EU-Investitionen in Regionalentwicklung zu kürzen, brauche es – ganz im Gegenteil – eine Stärkung der Kohäsionspolitik, vor allem im Lichte des "grünen und digitalen Wandels".

Traktoren beim EU-Gipfel in Mons
Ein paar belgische Bauern ergriffen die Gelegenheit – und rannten bei Präsident Cordeiro offene Türen ein.
IMAGO/Didier Lebrun

Großer Budgetposten

Die Kohäsionsmaßnahmen der EU sollen Ungleichgewichte zwischen europäischen Regionen abbauen. Die Idee dahinter ist simpel: Ein gemeinsamer Binnenmarkt der EU-Staaten könne nur dann funktionieren, wenn Städte, Regionen und Mitgliedsstaaten auf annähernd gleichem Niveau miteinander konkurrieren und zusammenarbeiten können. Am Ende sollen vom wachsenden Wohlstand alle profitieren – nicht nur die geförderten Regionen selbst, sondern auch deren Nachbarregionen und letztlich die gesamte Union.

Abgewickelt werden die Investitionen über mehrere Fonds, die neben den Agrarförderungen zu den größten EU-Budgetposten zählen. Zuletzt wurde etwa ein Drittel der Mittel des ordentlichen EU-Haushalts für die Kohäsions- und Strukturpolitik eingesetzt. Für die aktuelle Periode von 2021 bis 2027 stehen rund 378 Milliarden Euro zur Verfügung. Dazu kommen Mittel aus dem EU-Wiederaufbaufonds nach der Pandemie.

Aktuell steht das System auf dem Prüfstand: EU-skeptische Kräfte wettern im Vorfeld der Parlamentswahl gegen die Kohäsionspolitik. Zudem läuft die aktuelle Förderperiode aus und soll ab 2027 erneuert werden. Derzeit findet eine öffentliche Konsultation über die künftige Ausrichtung statt.

Kohäsionspolitik ist "gefährdet"

"Die Kohäsionspolitik ist gefährdet, und wir müssen sie verteidigen", forderte Präsident Cordeiro in einer emotionalen Rede Montagnachmittag in Mons. Werde das System geschwächt, bestehe das Risiko, "ein fundamentales Werkzeug" für den digitalen Wandel und den Kampf gegen die Klimakrise zu verlieren. "Kohäsionspolitik und Binnenmarkt sind zwei Seiten derselben Medaille", sagte Cordeiro. "Kohäsion richtet sich nicht nur an ärmere Regionen, sondern an alle Regionen."

Zur Debatte steht das System nicht zuletzt aufgrund der angestrebten EU-Erweiterung auf dem Balkan, in Moldawien und – vor allem – in der Ukraine. Ohne eine Reform beziehungsweise eine Anpassung des Förderregimes wäre eine derartige EU-Erweiterung nicht möglich, sagte Elisa Ferreira, EU-Kommissarin für Kohäsion und Reformen. "Wir sprechen von 150 Millionen zusätzlichen EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern. Wir sprechen von Ländern, die auf einem niedrigeren wirtschaftlichen Niveau starten."

In Mons zeigte sich Ferreira dennoch zuversichtlich, dass die Erweiterung gelingen könnte. Beweisen würden das die Erfolge der Vergangenheit: Bei der Aufnahme der ersten osteuropäischen Staaten in die EU im Jahr 2004 hätten diese im Vergleich zum Rest der Union nur fünfzig Prozent der Wirtschaftsleistung pro Kopf gehabt. Heute liege der Wert bereits bei 75 Prozent. (Jakob Pflügl, 20.3.2024)