Wenn Andreas Babler eine Idee formuliert, dann kann sie ja nur aus der Ideenwelt von ganz links außen kommen. So jedenfalls reagierten die politischen Mitbewerber und Interessenvertreter, als der SPÖ-Chef vergangene Woche einen "Transformationsfonds" vorschlug, der mit 20 Milliarden Euro dotiert sein soll. Die Summe soll, sagte Babler, "die Mittel bereitstellen, die wir für den Umbau von Industrie, Landwirtschaft und den Ausbau des Sozialstaats brauchen".

Die Reaktionen rangierten von "Kopfschütteln" (Industriellenvereinigung) über "absurd" (ÖVP) bis zu "marxistischer Ausfall" und "Todesstoß" für Österreichs Wirtschaft (FPÖ).

Derart harte Worte sind zum Teil auch dem Wahlkampfbeginn geschuldet, dennoch: Es ist interessant, wie sich die Debatte in Österreich von jener auf internationaler Ebene unterscheidet. In Brüssel oder Washington würde Babler mit seinem Vorstoß nämlich nicht für Aufsehen sorgen. Im Gegenteil – er liegt voll im internationalen Trend.

"Ein regelrechter Cleantech-Wettlauf ist in vollem Gange", schreibt die EU-Kommission. Wer ihn gewinnen wird, ist noch offen.
Lukas Friesenbichler, DER STANDARD

"Industriepolitik" nennt man es, wenn Regierungen in die Wirtschaft und Industrie eingreifen, um Sektoren zu fördern, an deren Zukunftsfähigkeit sie glauben. Das Spektrum reicht von Subventionen aus Steuergeld für Branchen bis zu – viel umstrittener – Grenzschließungen für Güter, damit sich Wirtschaftsbereiche im Inland, geschützt vom Weltmarkt, besser entwickeln können. ?

Wiederaufstehung

Eben diese Industriepolitik feiert eine Wiederauferstehung, nachdem sie jahrzehntelang als Ausdruck staatswirtschaftlicher Ineffizienz verpönt war. Der US-Thinktank National Bureau of Economic Research (NBER) zählte im Jahr 2022 1568 neue industriepolitische Förderprogramme weltweit. Zehn Jahre zuvor, 2012, waren es nur 56.

Was Babler für Österreich will, wird also weltweit bereits praktiziert – und zwar immer mehr. US-Präsident Joe Biden etwa hat im Jahr 2022 den Inflation Reduction Act (IRA) verabschiedet. Rund 369 Milliarden Dollar fließen die Dekarbonisierung der Industrie. Konkret gehen sie als Subventionen an private Unternehmen. Wenn sie Vorprodukte und Rohstoffe verwenden, die aus den USA stammen, winkt noch mehr Geld.

Die EU hält mit dem sogenannten Grünen Industrieplan dagegen, einem Teil des Green Deals, präsentiert von der Kommission Anfang 2023. Eine Gesamtsumme, die ungefähr jener des IRA der USA gleichkommt, wandert etwa in Ausbildungsprogramme und Finanzierungen grüner Unternehmen. Dazu kommen Maßnahmen wie vereinfachte Genehmigungsprozesse.

"Großer Druck auf die EU"

"Ein regelrechter Cleantech-Wettlauf ist in vollem Gange", begründet die Kommission auf ihrer Website die Notwendigkeit des milliardenschweren Programms. "Die größten Wirtschaftsmächte wie die USA, Indien, China oder Japan investieren massiv in grüne Innovationen. Das ist zwar gut für unseren Planeten, übt aber natürlich großen Druck auf die EU aus."

Es ist also vor allem die Dekarbonisierung, die die industriewirtschaftliche Wende antreibt. Der Hintergedanke: Wenn man jetzt in den richtigen Bereichen in einer Phase der tiefgreifenden Transformation anschiebt – dann wird man vielleicht auf Jahrzehnte vorne dabei sein.

Paracetamol-Mangel

Doch die Debatte dreht sich nicht nur um Wettbewerbsfähigkeit, also den Erhalt von Fabriken und Arbeitsplätzen in Europa. "Es geht auch stark um Sicherheit", sagt Mario Holzner, Chef des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW): Strategisch heikle Güter sollen nicht ausschließlich aus anderen Weltteilen kommen, damit Europa nicht von den dortigen Regimen allzu abhängig wird. Die Gefahren solcher Abhängigkeiten haben sich in den vergangenen Jahren gleich mehrmals gezeigt: Während der Corona-Pandemie wurden Schutzmasken aus China und Paracetamol aus Indien knapp – ebenso wie bald darauf russisches Gas, nachdem Russland 2022 die Ukraine überfallen hatte. Die Folgen solcher Erfahrungen sind schwerwiegende wirtschaftspolitische Verschiebungen – auch wenn die breite Öffentlichkeit meist wenig davon mitbekommt, weil es sich durchwegs um komplexe EU-Gesetzesinitiativen handelt.

Mit dem European Chips Act vom Herbst 2023 etwa will Brüssel den EU-Weltmarktanteil bei kritischer Halbleitertechnologie auf 20 Prozent verdoppeln – bis 2030, also in lediglich sechs Jahren.

Der Net Zero Industry Act vom März 2023 wiederum sieht vor, dass bei ausgewählten Technologien 40 Prozent der EU-Nachfrage aus eigener Produktion gedeckt werden müssen. Frist: ebenfalls bis 2030. Es betrifft etwa Wärmepumpen, Biogas, Batterie-, Netz- und Solartechnologien – ebenjene Sektoren also, in denen in den vergangenen Jahren vieles nach China abgewandert ist. Als Finanzierung wird ein buntes Gemisch an Geldquellen angezapft: Unter anderem sollen bereits vorhandene EU-Mittel umgewidmet, aber auch Gelder aus dem EU-Emissionshandel herangezogen werden. Klimasünderstaaten, die zu viel CO2 ausstoßen, sollen also dafür Geld berappen.

"Andere Diskussion"

"Wir führen heute eine völlig andere Diskussion als vor zehn Jahren", fasst es Michael Soder zusammen, Industriepolitikexperte bei der Arbeiterkammer (AK). "Früher war das Motto: nur nicht eingreifen, abgesehen von ein bisschen Forschungsförderung. Das hat sich komplett verändert."

Das neue wirtschaftspolitische Zeitalter, das eher leise angebrochen ist, bringt allerdings Probleme und Risiken mit sich. Da wäre etwa das Faktum, dass sich Produkte verteuern, wenn sie nicht mehr billig gefertigt werden, etwa in China. "Ökonomisch betrachtet ist nationalistische Industriepolitik suboptimal", sagt Klaus Friesenbichler, Ökonom am Wiener Wifo: "Bei einer internationalen Arbeitsteilung lassen sich ein günstigeres Preis-Leistungs-Verhältnis und bessere Technologien erzielen." Im schlechten Fall erkauft man sich also, wenn man so will, mehr Sicherheit und Unabhängigkeit mit weniger Wohlstand. Im besseren hingegen können sich ganze neue, vitale Sektoren herausbilden – nach einem Schubs vom Staat.

Teure Irrwege

Ein weiteres Risiko ist die Frage, was genau staatlicherseits gefördert werden soll. Welche Technologien werden sich durchsetzen? Welche als Irrwege erweisen?

Es geht in Richtung Dekarbonisierung, so viel ist klar – aber das ist ein weites Feld. Ein anschauliches Beispiel liefert Japan. Die dortige Autoindustrie versucht sich mit massivem staatlichen Anschub seit langem an Wasserstofffahrzeugen – doch die E-Autos, auf die sich China gestürzt hat, erweisen sich als immer zukunftsfähiger. Hohe Subventionen, komplette Ausbildungszweige, ganze nationale Wirtschaftsstrategien können ins Leere laufen und sich als Fehler erweisen.

Oder Atomkraft. Auf EU-Ebene wird gerade gestritten, ob sie im Net Zero Industry Act inkludiert sein soll – Österreich ist strikt dagegen. Ist die Atomkraft trotz ihrer Gefahren letztlich ein notwendiger Teil der klimafreundlichen Wende? Oder vielmehr ein Milliardengrab?

Das bleibt offen. Genauso wie viele andere Fragen in Sachen Industriepolitik. Nur eines steht fest: Die 20 Milliarden Euro, von denen Andreas Babler spricht, werden es nicht gewesen sein. (Joseph Gepp, 31.3.2024)