Der Aktienkurs dieses Unternehmens steht auf einem Allzeithoch. Wer ein Produkt aus seinem Sortiment will, muss zehn Jahre warten. Die Nachfrage ist gar derart groß, dass derzeit sogar bei den Kunden wegen längerer Lieferfristen vorgesprochen wird.

Die Rede ist vom Flugzeug-, Raumfahrt- und Rüstungshersteller Airbus SE, 140.000 Mitarbeiter, 60 Milliarden Euro Jahresumsatz. Der Hauptsitz ist im niederländischen Leiden, die operative Zentrale im französischen Toulouse, das wichtigste Werk im deutschen Hamburg: Airbus ist ein wahrhaft europäisches Unternehmen, das einzige große seiner Art. Es ist ein "European Champion", wie das Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gern nennt: ein Konzern von Weltrang, der statt in einem einzelnen Nationalstaat in der EU als Ganzes verankert ist.

Airbus hängt den US-Konkurrenten Boeing gerade gehörig ab
Airbus hängt den US-Konkurrenten Boeing gerade gehörig ab
Lukas Friesenbichler/DER STANDARD

Auf globaler Ebene gibt es nur einen nennenswerten Konkurrenten, den US-Hersteller Boeing. Der aber kämpft gerade mit Problemen, etwa wegen Türen, die im Flug aus ihrer Verankerung fallen. Ökonomen sprechen von einem "Duopol" aus Airbus und Boeing. Wie konnte es in dem Sektor gelingen, dass Europa eine solche Rolle spielt? Was lässt sich daraus lernen? Welche Rolle hatte dabei der Staat?

"Airbus für Autos"

Andere Branchen jedenfalls blicken mit Neid auf Airbus. Renault-Chef Luca de Meo etwa wünschte sich Anfang März ein "Airbus für Autos": Europas Autokonzerne sollten sich zusammentun, um die enormen Investitionskosten für preiswerte E-Autos zu stemmen und es mit China aufzunehmen.

Wer die Frage nach dem Erfolg von Airbus stellt, muss zunächst bedenken, dass der Flugzeugbau "ein besonderer Markt" sei, wie es WIIW-Chef Mario Holzner ausdrückt. "Er ist noch technologie- und kapitalintensiver als die Autoindustrie und letztlich mit dem militärisch-industriellen Komplex verbunden." In solch einem Umfeld "geht ohne staatlichen Anschub eigentlich gar nichts", sagt Holzner.

Steuermilliarden

Die Geschichte von Airbus ist eine nachteiliger Startbedingungen, politischer Packeleien und Milliardenkosten für den Steuerzahler – und dennoch, am Ende ging alles hochgradig gut.

Bis zu den 1960er-Jahren dominierten die USA den Flugzeugmarkt; neben Boeing gab es etwa McDonnell Douglas und Lockheed Martin. In diesem ungünstigen Umfeld wollten die Europäer – deren Wirtschaft bei Flugzeugkomponenten durchaus stark war – eine eigene Produktion hochziehen.

Manche Politiker trieben den Plan besonders voran, etwa der einstige langjährige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß, erster Airbus-Aufsichtsratschef und selbst Hobbyflieger.

Airbus wurde hochgepäppelt, bis es funktionierte.
REUTERS/Stephane Mahe

Gegründet 1970 in Paris, wurden zunächst Flugzeugkomponentenbauer aus Deutschland und Frankreich zu einem losen Konglomerat vereint. Erst viel später, mit dem Börsengang im Jahr 2000, sollte daraus ein echter Konzern werden. Über die ganze Zeit flossen "Subventionen erheblichen Ausmaßes", liest man in einer Forschungsarbeit der deutschen Universität Witten aus dem Jahr 2000. Laut einer US-Studie erhielt Airbus allein bis zu den 1990er-Jahren rund 26 Milliarden US-Dollar Unterstützung. Im Jahr 1978 finanzierten Europas Steuerzahler sogar den Ausbau der Landebahn des Flughafens La Guardia in New York – im Gegenzug erwarb die dort beheimatete Eastern Air Lines Maschinen von Airbus.

"Politische Opportunität"

Was den Heimmarkt in Europa betrifft, schuf man sich die Nachfrage gewissermaßen selbst – indem man Fluglinien, damals noch meist in Staatsbesitz, schlicht zwang, Airbus-Maschinen einzusetzen. Der Betrieb lief "in erster Linie nicht nach Produktivitätsgesichtspunkten, sondern nach politischer Opportunität", heißt es in dem Papier der Uni Witte. Welcher Herkunft der Vorstandschef war, wo Standorte gegründet wurden – all das wurde, meist in Paris und Bonn, politisch entschieden, nicht ökonomisch.

Trotz alledem – Airbus wurde hochgepäppelt, bis es funktionierte. Schon der A300 (Erstflug 1972) galt als gutes, weil treibstoffsparsames Flugzeug. Mit dem A320 (Erstflug 1987) "war Airbus seiner Zeit voraus", sagt der Luftfahrtexperte Kurt Hofmann, etwa wegen des Cockpits und der Flügel. Teure Fehlschläge wie den viermotorigen A380 (letzte Auslieferung 2021) ließen sich wegstecken, erneut dank Milliardensubventionen.

"Pfadabhängigkeit"

Können andere Bereiche nun etwas lernen aus all dem? Nur zum Teil. Einerseits zeigt das Schicksal von Airbus, dass es sich auszahlt, mit jahrzehntelanger politischer Beharrlichkeit Ziele zu verfolgen und Fehlschläge in Kauf zu nehmen. Andererseits: "Bei Flugzeugen gibt es eine höhere Pfadabhängigkeit als etwa im Autosektor", sagt Wifo-Ökonom Klaus Friesenbichler: Die Technologie ändert sich nicht wesentlich; man baut stets auf dem Vorhandenen auf. Flugzeugbauer kennen also, wenn man so will, die Zukunft ihres Bereichs ein Stück besser als Autobauer – und Staaten können Erstere dadurch leichter fördern.

Das bedeutet freilich nicht, dass die Zukunft von Airbus auf ewig gesichert ist. Mit dem Comac-Konzern aus China taucht gerade ein neuer Konkurrent am Horizont auf. Technisch gesehen kann es Comac längst noch nicht mit dem EU-Mitbewerber aufnehmen. Aber das dachte man bei E-Autos lange auch. (Joseph Gepp, 31.3.2024)