Rund ein Dutzend syrische Männer sitzen zusammen und starren auf die Frau auf dem Zebrastreifen. "Sie geht über die Straße", sagt Trainer Martin und zeigt auf das Wimmelbild, das der Projektor an die Wand wirft, "aber was fällt euch noch an ihr auf?" Schweigen. "Baby", ruft jemand aus. Ja, wie heißt das, hakt der Trainer nach. "Sie ist schwanger", sagt einer der Männer schließlich.

Es ist Dienstagnachmittag, und im Seminarraum des Vereins zur Förderung von Arbeit und Beschäftigung (FAB) in Linz hat gerade der Deutschkurs für eine Gruppe von Asylwerbern aus Syrien begonnen. Die Männer sind alle zwischen 20 und 40 Jahre alt, manche erst seit einigen Monate in Österreich, andere schon eineinhalb Jahre. Nichts Besonderes auf den ersten Blick. Solche Kurse gibt es zuhauf im Land. Doch hier ist etwas anders. Die Männer sind Teil eines Ausbildungslehrganges, der ein Jahr dauern soll und im Idealfall damit endet, dass möglichst viele von ihnen eine Arbeit aufnehmen. Die Arbeitsmarktintegration inklusive Spracherwerb wird hier bereits forciert, obwohl noch keiner der Männer in Österreich Asyl bekommen hat. Das allein ist schon außergewöhnlich. Hinter dem Projekt steckt aber auch keine NGO, die der Politik verständlich machen will, dass Integration schnell beginnen muss, damit Menschen nicht Monate oder Jahre während ihrer Asylverfahren zum Nichtstun verdammt sind. Hinter dem Projekt steckt die schwarz-blaue Landesregierung in Oberösterreich.

Bald gibt es in Oberösterreich drei Pilotprojekte zur Integration syrischer Asylwerber.
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Für die Umsetzung verantwortlich ist der ÖVP-Landesrat für Sozialpolitik, Wolfgang Hattmannsdorfer, das Backing kommt direkt von seinem Parteikollegen, Landeshauptmann Thomas Stelzer. Neben dem Lehrgang in Linz, an dem 34 syrische Asylwerber teilnehmen, wurde gerade ein zweites Pilotprojekt in Ried auf Schiene gebracht, bei dem syrische Asylwerber für Industriejobs qualifiziert werden sollen. Ein drittes, größeres Projekt, ebenso nur für Syrer, ist in Planung, bei dem Asylwerber direkt in Unternehmen angelernt werden. "Ein Asylbescheid ist heute oft ein Freibrief dafür, dass die Leute in Sozialhilfe gehen", sagt Landesrat Hattmannsdorfer. "Ich will das ändern. Aber damit das gelingt, müssen wir den Leuten eine Chance bieten."

Rund 35.000 Asylverfahren laufen derzeit in Österreich laut Zahlen des Innenministeriums. Die meisten Anträge, rund die Hälfte, stammen von Syrern. Seit Jahren wird in Österreich um den Umgang mit dieser Gruppe gerungen. Die Menschen bekommen eine Unterkunft und ein wenig Taschengeld als Grundversorgung, solange ihre Asylverfahren laufen. Seit Jahren kämpfen in der Bundespolitik FPÖ und ÖVP dafür, Asylsuchende vom Arbeitsmarkt fernzuhalten. Eine Regelung in Österreich sah jahrelang vor, dass Asylwerber gar nicht arbeiten dürfen, außer als Erntehelfer oder Saisonkräfte im Tourismus. Die türkis-blaue Koalition unter Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Arbeitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) hat selbst die kleine Lücke, die sich in diesem System zwischenzeitlich aufgetan hatte, nach ihrem Amtsantritt 2017 geschlossen: Der Zugang junger Asylwerber zur Lehre wurde gekippt.

Vier Jahre in der Schule

Einer der Kursbesucher in Linz ist Halil. Er ist 22 Jahre alt und seit zehn Monaten in Österreich. An Halil zeigen sich exemplarisch Chance und Herausforderung, wenn es darum geht, ihn und die anderen Kursteilnehmer in den Jobmarkt zu integrieren. Halil sagt in bereits ganz gutem Deutsch, dass er gerade einmal vier Jahre lang eine Schule in Aleppo besucht hat. Dann war Krieg. Er floh in die Türkei, wo er jahrelang auf dem Bau beschäftigt war. "Aber in der Türkei hatten die Menschen keinen Respekt", sagte er. Er fühlte sich zunehmend angefeindet und kam nach Österreich, via Traiskirchen nach Linz. Hier will er Maler werden. Der Beruf zählt österreichweit zu den Mangelberufen, in denen Betriebe viele offen Stellen anbieten.

Am restriktiven Kurs der Regierung bei Asylwerbern und dem Arbeitsmarktzugang hat sich auch nichts geändert, nachdem die FPÖ aus der Regierung geflogen und durch die Grünen ersetzt worden war. Dann, im Sommer 2021, hob der Verfassungsgerichtshof das bisherige System aus den Angeln: Die strengen österreichischen Regeln verstießen gegen EU-Vorgaben, wonach Asylwerbern spätestens nach neun Monaten ein effektiver Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt werden müsse, so das Höchstgericht. Seither steht den Menschen der Arbeitsmarkt offen – theoretisch.

Seit Jänner besucht der Syrer Halil seinen Deutschkurs in Linz fünfmal in der Woche, ab Mai startet die Qualifikation für den Arbeitsmarkt. Die Asylwerber sollen erlernen, wie man sich bewirbt, was Arbeitgeber in Österreich erwarten, für sie sollen Vorstellungstermine bei Unternehmen organisiert werden, sagt die zuständige Projektleiterin beim Linzer Verein FAB, Irene Bisenberger-Raml. Auch mit den Firmen will man Kontakt aufnehmen: Die Integration von Syrern ist nicht nur schwer, weil viele über keine Qualifikation verfügen, sondern auch, weil Unternehmen oft aus Vorurteilen zurückschrecken, engagierte Bewerber zu nehmen. Und natürlich sind da die bürokratischen Hürden.

In der Praxis hat sich selbst nach dem Höchstgerichtsurteil zur Öffnung des Arbeitsmarktes zunächst wenig geändert. Wenn Unternehmen einen Asylwerber anstellen wollen, muss zunächst ein Ersatzkräfteverfahren beim AMS durchgeführt werden. Das Arbeitsmarktservice schaut dabei, ob ein arbeitsloser Österreicher oder EU-Bürger nicht doch den Job übernehmen könnte. Auf Weisung von Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) soll dieser Prozess strikt ausgelegt werden, sodass im Regelfall der Arbeitsmarkt für Asylwerber de facto doch verschlossen blieb. In der Praxis kann das AMS dem Betrieb laufend andere Bewerber schicken. Selbst wenn diese nie zu einem Vorstellungsgespräch auftauchen, zieht das den Prozess mitunter endlos in die Länge.

Die Zahl der Jobbewilligungen für Asylsuchende ist zuletzt deutlich angestiegen. Dass die Zahl der aktiv Beschäftigten niedriger ist, liegt auch daran, dass jemand der Asyl bekommt, ebenso aus der Statistik fällt wie jemand, der wegzieht
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In Oberösterreich steht nicht nur das Land, sondern auch das AMS hinter dem Projekt, das zugesagt hat, eine Jobmesse für Asylwerber zu organisieren. Der Arbeitsmarkt in Oberösterreich ist sehr eng, sagt der zuständige AMS-Mitarbeiter in Linz, Sefa Yetkin, Ersatzkräfte finden sich oft kaum. Werden Beschäftigungsbewilligungen für Asylwerber angefragt, würden sie im Regelfall erteilt werden. "Wir pflegen hier einen pragmatischen Zugang", sagt er.

Eine Frage der Intelligenz

Nachdem also zunächst alles getan wurde, um die Integration von Asylwerbern zu erschweren, setzen die ÖVP- und FPÖ-Landespolitiker in Oberösterreich dort, wo sie zuständig sind, auf Pragmatismus, selbst in der Migrationspolitik. Mehr noch: Sie gehen das Problem proaktiv an. Der zuständige Landesrat Hattmannsdorfer ist alles andere als ein linker Weltverbesserer. Der 44-Jährige sagt, dass Asylrecht ein Menschenrecht sei, aber nicht als Instrument der regulären Migration missbraucht werden dürfe. Aber bei Menschen, die nun einmal hier sind und wohl auch bleiben werden, wie den Syrern, "gebietet es doch die Intelligenz", rasch die Integration in den Arbeitsmarkt zu forcieren. Die Chance auf einen positiven Asylbescheid liegt bei Syrern bei 80 Prozent. Gelinge der Versuch mit dem Projekt, spare sich das Land Geld: Asylberechtigte, die nicht arbeiten, haben Anspruch auf Sozialhilfe, und das ist Landesaufgabe. Zweite Priorität: Viele Betriebe in Oberösterreich suchen Arbeitskräfte, auch hier könne das Projekt Abhilfe schaffen. Immerhin 1.200 syrische Asylwerber gibt es im Bundesland.

Einige Fragen bleiben offen: Schnelle Integration in den Jobmarkt klingt gut, aber wäre eine gute Ausbildung nicht langfristig besser? Und kann das Projekt nicht auch auf andere Gruppen ausgedehnt werden, etwa auf Afghanen? Diese bekommen zwar selten Asyl, können aber meist nicht abgeschoben werden. Hattmannsdorfer schüttelt Kopf: Zunächst sollen die drei Pilotprojekte gegen Jahresende evaluiert werden, dann will er schauen, was funktioniert und sich hochskalieren lässt. Der Ausgang ist offen. Aber nun gibt es eine Perspektive. (András Szigetvari, 7.4.2024)