Bunte Explosion im All
Eine künstlerische Darstellung des Urknalls. Seither dehnt sich das Universum aus. Ob das überall gleich schnell passiert, ist aber umstritten.
Getty Images/Science Photo Libra

Gesetze, die nicht überall gelten, sind ein nicht zu unterschätzendes Ärgernis. Besonders gilt das in der Wissenschaft. Ihre Erkenntnisse stellen den Anspruch, universell gültig zu sein. Salopp gesagt: In der rechten Hälfte des Universums soll nichts anderes gelten als in der linken.

Dementsprechend verwirrend ist das Ergebnis einer Gruppe um Nathan Secrest vom US-amerikanischen Naval Observatory. Die Untersuchung von einer Million Quasaren überall am Himmel ergab, dass sich in einer Richtung mehr davon befinden als in der anderen. Der Unterschied beträgt nur ein halbes Prozent, doch er fügt sich in eine Reihe anderer sonderbarer kosmischer Beobachtungen der letzten Jahre. Sie alle werfen die Frage auf, ob im Universum überall die gleichen Regeln gelten.

Konferenz um Grundsatzfrage

Das führte dazu, dass sich diese Woche Astrophysikerinnen und Astrophysiker in London zu einer großen Konferenz der britischen Royal Society trafen, um erstmals eine Grundannahme der Astronomie infrage zu stellen. Diese Annahme ist als kosmologisches Prinzip bekannt. Sie behauptet, dass das Universum annähernd gleichförmig ist, wenn man es aus großer Entfernung betrachtet. Einer der Organisatoren der Konferenz ist der Astrophysiker Subir Sarkar. Er erzählt gegenüber dem STANDARD von der Motivation für die Veranstaltung.

"Das kosmologische Prinzip besteht aus der üblichen Annahme, dass das Universum isotrop und homogen ist, wenn es auf großen Skalen betrachtet wird", sagt Sarkar. Das bedeutet, es sieht überall in etwa gleich aus. Man wisse jedoch, dass das lokal nicht der Fall sei. "Auf kleinen Skalen gibt es eine Menge Inhomogenität und Anisotropie." Unsere nächstgelegene Galaxie, Andromeda, entfernt sich beispielsweise nicht von uns, wie es die Ausdehnung des Universums erwarten lässt, sondern fällt auf uns zu, sagt Sarkar. Das sei "eigentümlich".

Doch es gibt inzwischen eine unangenehm große Anzahl solcher Eigentümlichkeiten. Wie viele Ausnahmen darf eine Regel haben, bis sie obsolet wird? Eine Reihe neuer Ergebnisse der letzten Jahre legen laut den Organisatoren nahe, dass der Punkt erreicht sein könnte, das kosmologische Prinzip aufzugeben.

Angespannte Situation

Sarkar hebt als wichtigstes Beispiel die "Hubble-Spannung" hervor. Dem US-amerikanischen Astronomen Edwin Hubble gelang es einst, frühere Vermutungen zu bestätigen, wonach das Universum expandiert. Die Hubble-Konstante gibt an, wie schnell sich das Universum ausdehnt. Doch in jüngerer Zeit führte die immer genauere Messung der Hubble-Konstante zu einem Problem: Verschiedene Experimente ergaben unterschiedliche Werte.

"Es handelt sich um eine Diskrepanz zwischen der lokal gemessenen Expansionsrate und dem aus Beobachtungen der kosmischen Hintergrundstrahlung abgeleiteten Wert", sagt Sarkar. Die "lokale" Expansionsrate wird einfach durch Messungen der Abstände ferner Objekte bestimmt. Weil unsere Mittel für diese Messung auf eine bestimmte Umgebung der Erde beschränkt sind, wird die dabei bestimmte Expansionsrate "lokal" genannt.

Ihr gegenüber stehen Messungen des kosmischen Mikrowellenhintergrunds. Dabei handelt es sich um eine Art elektromagnetischen Nachhall des Urknalls, aus dem sich ebenfalls auf die Ausdehnungsgeschwindigkeit des Universums rückschließen lässt. Diese Methode bildet auch fernere Bereiche des Universums ab.

Die "Spannung" zwischen diesen beiden Ergebnissen vertiefte sich, je genauer die Messungen wurden. Diese Spannung ist eines der aktuell wichtigsten und faszinierendsten Probleme der Astrophysik. Man hofft, beim Versuch, sie zu erklären, auf bislang unbekannte Physik zu stoßen.

Karte Mikrowellenhintergrund in blau, grün und gelb
Weil sich die Erde in Relation zum Großteil des Universums bewegt, verzerrt der Dopplereffekt die Lichtwellen der kosmischen Hintergrundstrahlung, wie diese Karte des Mikrowellenhintergrunds zeigt.
DMR, COBE, NASA

Schieflage des Universums

Die Hubble-Spannung ist das wichtigste und bekannteste Problem der Astrophysik, aber es gibt noch weitere. Eines davon sind kürzlich entdeckte Megastrukturen, die größer zu sein scheinen, als es das kosmologische Prinzip erlaubt, ein anderes hat ebenfalls mit der Hintergrundstrahlung zu tun.

"Als der kosmische Mikrowellenhintergrund entdeckt wurde, wurde vorhergesagt, dass die Bewegung der Erde ihn in der einen Hälfte des Himmels heißer erscheinen lassen sollte als in der anderen Hälfte", erklärt Sarkar. Dieser "CMB-Dipol" wurde tatsächlich durch Experimente nachgewiesen. "Entsprechend müsste es eine ähnliche Dipolanisotropie in der Verteilung von kosmologisch weit entfernten Objekten wie Radioquellen und Quasaren geben", sagt der Physiker. Gilt das kosmologische Prinzip, müsste für weit entfernte Objekte dasselbe gelten wie für nahe.

Die Untersuchung war aufwendig, man musste sich dazu Millionen Himmelsobjekte ansehen. Diese Daten sind erst seit kurzem verfügbar. Zur Überraschung der Forschenden stellte sich heraus, dass die Werte um das etwa Zwei- bis Dreifache unterschiedlich sind.

Lösung für alle Probleme

Auch hier könnte ein bislang unbekannter Effekt dahinterstecken, der das Tor zu neuer Physik öffnet. Doch es gibt noch eine andere Erklärung für das Phänomen: Was, wenn die mit Teleskopen sichtbare Umgebung der Erde einfach speziell ist und nicht repräsentativ für den Rest des Universums, wie es das kosmologische Prinzip nahelegt? Ein Aufgeben des kosmologischen Prinzips würde neben der Hubble-Spannung auch dieses Problem lösen.

Diese Frage zu diskutieren war der Zweck der Konferenz. Sarkar erzählt von dem Effekt, den sie auf die Teilnehmenden hatte. "Eröffnet wurde die Tagung von Prof. Jim Peebles aus Princeton, der allgemein als Vater des heutigen kosmologischen Modells gilt und 2019 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde", erzählt Sarkar. "Er sagte, dass das Standardmodell viele Tests bestanden habe und er glaube, dass es robust sei. Am Ende des Treffens gab er jedoch zu, dass seine Gewissheit erschüttert worden sei."

Hoher Preis

Ist es also klug, das veraltete Prinzip komplett aufzugeben, ganz im Sinn von "Jedes Gebiet des Universums hat seine eigene Wirklichkeit"? Was wie ein großer Erfolg klingt, könnte bedeuten, dass es deutlich schwieriger ist als bisher geglaubt, etwas über das Universum zu erfahren.

"Der Preis, den wir für die Schwächung des kosmologischen Prinzips zahlen müssen, ist, dass wir viel härter arbeiten müssen, um eine mathematische Beschreibung des Universums zu konstruieren", sagt Sarkar. Man müsse exakte Lösungen für Einsteins allgemeine Relativitätstheorie finden, die sehr schwer zu gewinnen seien. "Doch zunächst muss die Gemeinschaft davon überzeugt werden, dass es tatsächlich notwendig ist, das heutige Modell aufzugeben", betont Sarkar.

Die Summe der neuen Forschungsergebnisse legt nahe, dass dieser Schritt unmittelbar bevorsteht. (Reinhard Kleindl, 27.4.2024)