Es soll dem Klimaschutz dienen. Laut einer EU-Vorgabe aus dem Jahr 2018 müssen bis zu 13 Prozent der Kraftstoffe im Verkehrssektor aus erneuerbaren Quellen stammen statt aus fossilen. Es gibt dabei aber ein umstrittenes Schlupfloch: Wenn die dahinterstehenden Energieunternehmen das Ziel nicht erreichen, können sie andernorts Klimaschutzprojekte finanzieren – und sich die dort erzielten Einsparungen an Treibhausgasen auf das eigene Ziel anrechnen lassen. Die Ziele können "auch durch Übertragung der Verpflichtungen auf Dritte erreicht werden", heißt es auf der Website des Umweltbundesamts.

OMV Tankstelle in Wien
OMV-Tankstelle in Wien: Eigentlich müsste der Konzern zehn Prozent seines Kraftstoffs aus erneuerbaren Quellen liefern. Falls sich das nicht ausgeht, dürfen aber Ausgleichsgeschäfte gemacht werden – unter anderem äußerst umstrittene in China.
REUTERS/HEINZ-PETER BADER

Nun jedoch tauchen massive Betrugsvorwürfe in diesem System auf. Hunderttausende Tonnen eingespartes CO2, das sich europäische Energieunternehmen haben abgelten lassen, sollen schlicht erfunden worden sein, berichtete zuerst das deutsche ZDF. Inzwischen ermittelt in der Causa das Umweltbundesamt in Deutschland wie auch in Österreich. Ebenfalls Gegenstand dieser Ermittlungen: Dienstleister im Auftrag der teilstaatlichen OMV, des größten Industriebetriebs Österreichs.

OMV, MOL, Doppler

Konkret prüft das österreichische Umweltbundesamt 400.000 Tonnen klimaschädliches CO2, bei denen solcherart getrickst worden sein könnte. Man spricht von sogenannten UER-Zertifikaten (Upstream Emission Reduction), die Unternehmen zukaufen können, statt selbst CO2 einzusparen. Bedient haben sich dieser Möglichkeit vor allem bekannte Konzerne, neben der OMV etwa Shell Österreich, der Tankstellenbetreiber Doppler-Gruppe und die MOL Austria, Tochter der ungarischen MOL. Sie ließen Emissionen in großem Stil auch in China einsparen – und ebendort soll der Betrug stattgefunden haben.

"Viele dieser UER-Projekte wurden nur vorgetäuscht, existieren nur auf dem Papier", berichtete kürzlich das TV-Magazin ZDF Frontal. Im mutmaßlichen Millionenbetrug sollen deutsche Prüfstellen eine "zentrale Rolle" spielen, so ZDF Frontal. Ins Rollen gebracht hat die Affäre ein chinesischer Whistleblower, berichtete der Tagesspiegel.

Acht Projekte aus China

Was Österreich betrifft, sind seit dem Jahr 2020 acht UER-Projekte aus China eingereicht worden. Das kommt 400.000 Tonnen CO2 im Wert von sechs Millionen Euro gleich. Die Anlagen finden sich in der Provinz Gansu ebenso wie im Westen des Landes, in der Provinz Xinjiang nahe der Grenze zu Kirgistan. Oft besteht ihre Aufgabe darin, das Begleitgas – das bei Ölfeldern üblicherweise schlicht abgefackelt wird – abzufangen und zu Erdgasqualität aufzubereiten, um es als Energieträger nutzen zu können.

Ob diese Projekte wirklich von den Betrügereien betroffen sind – und falls ja, in welchem Ausmaß –, ist derzeit noch unklar. Jedenfalls prüft das Umweltbundesamt in Wien, das dem Klimaschutzministerium von Leonore Gewessler (Grüne) untersteht, "ob im angesprochenen Fall auch österreichische Unternehmen betroffen sind", sagt ein Sprecher des Ministeriums zum STANDARD. "Ein Ergebnis dazu steht noch aus." Es sei noch unklar, "ob es bei einzelnen oder mehreren dieser Projekte zu betrügerischen Handlungen gekommen ist". Beisatz: Man habe den Kompensationsmechanismus immer schon "sehr kritisch gesehen", setze die EU-Vorgabe aber regelkonform um. Die Pressestelle der OMV in Wien indes will zu "Verdachtsmomenten und Mutmaßungen" keine Stellung beziehen. Man handle "in Übereinstimmung mit Gesetzen" und erwarte dies auch von Geschäftspartnern, heißt es nur. Was der Konzern angesichts der Betrugsvorwürfe zu tun gedenkt, bleibt unbeantwortet.

Projekte in Uiguren-Provinz Xinjiang

Auch in Deutschland ließ sich die OMV im Jahr 2020 UERs aus mindestens einem chinesischen Projekt anrechnen, ebenfalls im Ausmaß von rund 100.000 Tonnen CO2. "Wir überprüfen gegenwärtig einzelne Projekt erneut und haben – soweit uns konkretisierte Betrugsvorwürfe gemeldet wurden – verschiedene Projektträger gebeten, zu diesen Punkten formal Stellung zu beziehen und uns diese zu erläutern", lässt das deutsche Umweltbundesamt den STANDARD wissen. Dem Vernehmen nach sind bei dieser Prüfung bereits erste Hinweise auf Unregelmäßigkeiten aufgetaucht. Die OMV lässt zu all dem lediglich wissen, dass man "seit 2022 keine UER-Aktivitäten in Deutschland" mehr verfolge.

Auch abseits von möglichen Betrügereien steht das System der UERs immer wieder in der Kritik. Im Jahr 2022 berichtete etwa DER STANDARD, dass UER-Geschäftspartner der OMV auch in der ostchinesischen Uiguren-Provinz Xinjiang tätig sind. Für den Umgang mit den dort lebenden muslimischen Uiguren wird China weltweit stark kritisiert: Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sprach im Zusammenhang mit staatlichen Umerziehungslagern schon 2018 von "massiven Menschenrechtsverletzungen", das kanadische Parlament gar von einem "Genozid".

Was heute die mutmaßlichen UER-Mogeleien betrifft, behalte man sich rechtliche Schritte vor und würde nachträglich "eine Aberkennung der Treibhausgasemissionen" prüfen, heißt es zum STANDARD aus Gewesslers Klimaschutzministerium – falls sich "ein Verdacht auf illegale Vorgehensweisen und Malversationen erhärtet". Mit einem Ergebnis der Prüfung sei in den nächsten Wochen zu rechnen. (Christof Mackinger, Mitarbeit: Joseph Gepp, 22.5.2024)