Knapp drei Wochen vor der EU-Wahl von 6. bis 9. Juni ist es am Donnerstag zu einem Eklat in der Fraktion der extrem rechten Parteien im Europäischen Parlament gekommen: Alle AfD-Europaabgeordneten wurden aus der ID-Fraktion ausgeschlossen. Ein entsprechender Antrag von Fraktionschef Marco Zanni habe die erforderliche Unterstützung bekommen, sagten mehrere Fraktionsvertreter der Deutschen Presse-Agentur. Zanni stammt von der italienischen Lega und begründete seinen Antrag auf sofortigen Ausschluss der deutschen Abgeordneten mit "der Reihe von Vorfällen, an denen Herr Maximilian Krah und damit auch die deutsche Delegation der Gruppe beteiligt waren". Die Vorfälle hätten "dem Zusammenhalt und dem Ruf der Fraktion geschadet".

AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah bleibt wohl auch nach der Wahl EU-Abgeordneter. Dass er und seine AfD dann in Brüssel ein besseres Standing genießen werden als zuvor, gilt aber als unwahrscheinlich.
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Die Fraktion vereint unter dem Namen "Identität und Demokratie" EU-Mandatare von rechtspopulistischen und extrem rechten Parteien, darunter die FPÖ, der belgische Vlaams Belang, die Freiheitspartei (PVV) des Niederländers Geert Wilders, der Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen und die Lega aus Italien.

Über den Ausschlussantrag wurde in einem fraktionsinternen schriftlichen Verfahren abgestimmt. Die FPÖ stimmte nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur dagegen, genauso wie die estnische Partei EKR. Die APA konnte die FPÖ-Delegation im Europaparlament vorerst nicht für eine Stellungnahme erreichen. Nach Angaben der dpa stimmten die Lega, der RN, Vlaams Belang, die Dänische Volkspartei sowie die tschechische Partei Freiheit und direkte Demokratie für den Ausschluss.

Aus der Traum von einer Großfraktion

Das Zerbrechen der ID-Fraktion so unmittelbar vor dem Wahltag ist ein schwerer Rückschlag für die Rechts-außen-Gruppe. Unter anderem hatte sie gehofft, durch einen Zusammenschluss mit der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) nach einem entsprechenden Wahlerfolg zur zweitstärksten Fraktion noch vor den Sozialdemokraten (S&D, 142 Mandate) aufzusteigen und das Geschehen im EU-Parlament stärker zu dominieren. Harald Vilimsky, der Delegationschef der FPÖ, war einer der vehementesten Verfechter dieser Strategie.

Die AfD liegt in Umfragen zur Europawahl derzeit bei 17 Prozent, kann also mit ungefähr so vielen Mandaten rechnen. Aus Deutschland kommen insgesamt 96 EU-Abgeordnete. Der Ausschluss begrenzt nun die ID in ihren Möglichkeiten.

Spionagevorwürfe und SS-Sager

Überraschend ist diese Entwicklung nicht, aber doch peinlich für Vilimsky. Er hatte sich bis zuletzt für Krah in die Bresche geworfen, ihn gegen Vorwürfe der Spionage für Russland ebenso verteidigt wie für extreme Aussagen. Die Vorwürfe gegen den Deutschen und einen seiner Mitarbeiter, der wegen mutmaßlicher Spionage für China in U-Haft sitzt, waren für Vilimsky eine "Kampagne" der politischen Gegner.

Aber die Lega und zuvor die Partei Le Pens sahen das nun anders. Marine Le Pen, die in Frankreich 2027 bei den Wahlen um das Amt der Staatspräsidentin antritt, vollzog den Bruch mit der AfD. Ihr Parteichef Jordan Bardella, der selbst EU-Abgeordneter ist, begründete das mit dem "Überschreiten von roten Linien durch die AfD", die seit 2019 in der ID-Fraktion war.

Rund um Krah hatte die AfD in Deutschland seit Wochen für Schlagzeilen gesorgt, geriet schwer unter Druck. Nach den Spionagevorwürfen stufte ein Gericht die Partei erneut als verfassungsfeindlich ein, weshalb der deutsche Verfassungsschutz sie weiter beobachten darf. Krah gab in einer italienischen Zeitung ein Interview, in der er sich zu der Aussage verstieg, dass nicht alle SS-Männer übel gewesen seien. Dazu kommt, dass auch die Nummer zwei auf der EU-Wahlliste der AfD, Petr Bystron, Gegenstand von Korruptionsermittlungen ist. Er soll gegen Geld Propaganda des Kreml unterstützt haben.

Einspruch der AfD-Delegation

Am Donnerstagmittag hieß es laut der Agentur dpa, mehrere AfD-Mandatare hätten gegen den Ausschluss Widerspruch eingelegt und verlangt, dass nur Krah ausgeschlossen werde. AfD-Delegationsleiterin Christine Anderson verlangte, dass sie angehört werden. Ob das Erfolg hat, war jedoch von vornherein fraglich. Die Lega und die Le Penisten stellen mehr als drei Viertel der gesamten Fraktion, der auch die Freiheitspartei des Niederländers Geert Wilders angehört, allerdings nur formell, weil ein PVV-Abgeordneter aus der ID ausscheiden musste.

Das Aufräumen mit der AfD in der ID-Fraktion dürfte mit dem Versuch verbunden sein, sich einen seriöseren Anstrich zu geben, um eine Annäherung an die EKR-Fraktion zu ermöglichen. Das will zumindest Le Pen, die auch einer Aufnahme der Fidesz des ungarischen Premiers Viktor Orbán positiv entgegensehen würde, trotz dessen Putin-freundlichen Kurses.

Gegen diesen Versuch stellen dürfte sich allerdings die Fratelli-Partei der italienischen Premierministerin Georgia Meloni, die selbst für ein EU-Mandat kandidiert (was in Italien möglich ist). Ihrer Partei wird eine Verfünffachung der EU-Mandate auf gut 25 prognostiziert. Meloni strebt dann die Führung in der EKR an, anstelle der polnischen Nationalpopulisten von der PiS. Meloni fährt einen Pro-Ukraine und Anti-Putin-Kurs, was sie massiv von der AfD und der FPÖ unterscheidet, aber auch von der Lega. Sie ist als EU-Partnerin konstruktiv und kann nicht mit der Lega ihres Vizepremiers Matteo Salvini. Dass Fratelli und Lega sich in einer EU-Fraktion in Straßburg wiederfinden, gilt derzeit als unwahrscheinlich. (Thomas Mayer, 23.5.2024)