In den USA sind digitale Rechtsgehilfen weiter verbereitet als in Europa.

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Digitalisierung und künstliche Intelligenz werden auf absehbare Zeit so gut wie jeden Lebens- und Arbeitsbereich beeinflussen. Was das bedeutet, wird hier exemplarisch anhand dreier Beispiele beschrieben: Landwirtschaft, Polizei und Justiz.

Scheidung gefällig? Das Webservice "Wevorce.com" hilft Paaren in den USA dabei, ein "optimales Ergebnis" bei ihrer Trennung zu finden. Die Nochehepartner geben ein, was ihnen – in finanzieller und familiärer Hinsicht – wichtig ist, und das System versucht auf dieser Basis einen Scheidungsverlauf zu antizipieren und die Vorstellungen in Einklang zu bringen. "Wevorce.com" verspricht, die Scheidung billiger und "friedlicher" zu machen. Die resultierenden Dokumente können gleich fürs Gericht verwendet werden.

Der Onlinescheidungshelfer mag erahnen lassen, welche (teil)automatisierten Services im Rechtsbereich künftig möglich sind. Gerade wenn es darum geht, Rechtsanliegen von Endverbrauchern günstig und in Masse zu managen, eröffnet sich für Tech-Start-ups ein Betätigungsfeld. Beratungsbots und intelligente Datenbankabfragen, die etwa bei der Fluggastentschädigung oder beim Einspruch gegen Strafzettel helfen, wenden ein spezifisches Regelwerk auf Nutzereingaben an und werden Konsumenten künftig immer besser "verstehen".

Zukunftstechnologien

Der Weg zum vielerorts beschworenen "Roboanwalt" ist aber dagegen noch weit. Hoffnung oder – je nach Blickwinkel – Angst machen etwa Meldungen, wonach IBMs Artificial-Intelligence-Technologie Watson sich bereits in großen US-Kanzleien durch virtuelle Aktenberge wühlt, um in unterschiedlichen Kontexten fallrelevante Informationen aufzuspüren.

Andere Systeme sind auf Vertragsprüfung zugeschnitten, gleichen die Schriftstücke mit ihren Datenbanken ab und werden mit jedem Durchlauf genauer. In den USA geht man davon aus, dass derartige Software die Branche in den kommenden Jahren fluten wird.

Die Juristin Sophie Martinetz beschäftigt sich in Wien mit Zukunftstechnologien im Rechtsbereich. Entwicklungen werden auf dem Onlineportal future-law.at, das sie betreibt, und bei einer jährlich stattfindenden Legal-Tech-Konferenz diskutiert. Sie warnt vor überzogenen Erwartungen.

"Natürlich wünschen sich viele Juristen, dass die Sachverhaltsaufbereitung bald automatisiert wird", sagt Martinetz. "Allerdings ist das bis jetzt vor allem bei stark standardisierten Inhalten zielführend – beispielsweise bei Software, die Immobilien-Verträge zusammenfasst."

Bei der Aussicht, Kosten zu sparen, dürfen zudem die Implementierungskosten nicht vergessen werden. Artificial-Intelligence-Systeme, die auf dem Prinzip des maschinellen Lernens basieren, lernen mit jeder Eingabe und jedem Suchvorgang dazu.

"Eine Anwendung wie Kira, die von einem US-Unternehmen für den Rechtsbereich entwickelt wurde, kann eine Vorauswahl an relevanten Unterlagen treffen. Beispielsweise kann man damit eine Verschwiegenheitsklausel identifizieren, egal wie sie formuliert ist", erklärt die Juristin. "Allerdings ist es sehr viel Arbeit, dem System die Fähigkeiten für den eigenen Anwendungsbereich beizubringen. Nur große Kanzleien können die Ressourcen dafür derzeit aufbringen."

Rechtsunterschiede in Europa

Martinetz glaubt also nicht, dass bei den "juristischen Fließbandarbeiten" Menschen bald überflüssig werden. Die Tätigkeit könnte sich aber verändern. "Zur Aufbereitung der Unterlagen wird gehören, dass man sie für das System klassifiziert und ihm die Fähigkeit für richtige Entscheidungen beibringt."

Dass in den USA derartige Systeme bereits viel verbreiteter sind als in Europa, liegt nicht nur an der größeren Offenheit für Veränderung. "Das Rechtssystem dort ist viel rechercheintensiver. Man hat größeren Bedarf an den Werkzeugen. In Europa stehen der Verbreitung zudem die Sprachenvielfalt und die Rechtsunterschiede zwischen den Ländern im Wege." (Alois Pumhösel, 28.4.2018)