SPD-Chef Martin Schulz spricht Dienstagvormittag vor den erneuten Verhandlungen mit der Presse.

Foto: APA/dpa/Kay Nietfeld

Bundeskanzlerin Merkel rief vor den Verhandlungen zu Kompromissbereitschaft auf.

Foto: APA/dpa/Kay Nietfeld

Berlin – Am Dienstag entscheiden Union und SPD, ob sie eine Regierung bilden wollen oder nicht. Eigentlich hatten sich die zwei Parteien vorgenommen, am Dienstag nur noch den Vertrag über eine neue "Groko", also Große Koalition, zu unterschreiben. Doch Montagabend gaben sie bekannt, dass am Dienstag doch noch einmal weiter verhandelt wird. Die Chef-Verhandler treffen sich um 10.00 Uhr im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin zu abermaligen Gesprächen.

SPD-Chef Martin Schulz nannte dabei den Dienstag einen "Tag der Entscheidung", wie er vor den Beratungen der SPD-Seite sagte. "Es geht um nichts weniger, als dass in einem der größten Industrieländer der Welt eine stabile, dauerhafte Regierung gebildet werden kann, die den Herausforderungen international und national gerecht wird." Man arbeite an einer seriösen Grundlage für eine solche Regierung. "Ich habe guten Grund anzunehmen, dass wir heute zu Ende kommen werden – ich hoffe in einem positiven Geist und mit einem guten Ergebnis für unser Land."

Auch CDU und CSU drängen auf Abschluss

CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel gab vor den Verhandlungen bekannt, bereit für "schmerzhafte Kompromisse" zu sein, um eine Koalition abschließen zu können. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sieht nach eigenen Worten keine Möglichkeit, die Koalitionsverhandlungen über Dienstag hinaus zu verlängern. "Deswegen wissen wir, dass wir heute Nacht zu einer Einigung kommen müssen. Alles andere wäre auch für die Bürger unzumutbar", sagte er vor der Fortsetzung der Gespräche.

Auch die CDU-Vize Julia Klöckner sagte bereits am Montagabend, dass sie mit positivem Verhandlungsergebnis für Dienstag auf Mittwoch Nacht rechnete. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, äußerte sich hingegen zuversichtlich , dass die endgültige Einigung nicht unbedingt in einer Nachtsitzung erfolgen müsse. "Ich finde, man kann das durchaus auch kürzer machen", sagte er im ARD-Morgenmagazin.

Auch Scheitern möglich

CDU-Vizevorsitzende Volker Bouffier schließt allerdings auch ein Scheitern der Koalitionsgespräche nicht aus. Er halte eine Verständigung noch für möglich, sagte des hessische Ministerpräsident vor der finalen Verhandlungsrunde am Dienstag in Berlin. "Aber gesichert ist hier gar nichts."

Die erneute Verschiebung der Entscheidung reiht sich nahtlos in das generelle Tempo der zähen Koalitionsverhandlungen ein. In kleinen Schritten nähern sich die Verhandler ihrem Ziel: Der Bildung einer Regierung.

Die Zib berichtet.
ORF

Zähe Verhandlungen

In trockenen Tüchern war tatsächlich am Montag längst noch nicht alles, da baute einer schon vor. Michael Groschek, Chef der einflussreichen SPD in Nordrhein-Westfalen, lud den sachsen-anhaltischen Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (CDU) auf ein Bier ein. Daraus konnte man durchaus einen Wink Groscheks an seine widerspenstigen Genossen erkennen: So schlimm sind die von der CDU ja gar nicht.

Denn die SPD in Nordrhein-Westfalen gilt als besonders kritisch gegenüber einer großen Koalition. Sie war es, die SPD-Chef Martin Schulz und seinem Verhandlungsteam noch ein paar harte Nüsse mitgegeben hatte: Er sollte für ein Ende der befristeten Kettenarbeitsverträge und für eine Angleichung bei den Arzthonoraren zwischen Privatpatienten und gesetzlich Versicherten sorgen.

Und es ging bis ganz zum Schluss ums Geld. Zwar einigten sich die Verhandler im Bankensektor auf einige Maßnahmen. So sollen kleine Banken weniger streng reguliert werden als große. Internetwährungen wie Bitcoin wollen die Koalitionäre stärker unter Aufsicht stellen. Mit Blick auf den Brexit soll der Finanzplatz Deutschland für Spitzenbanker attraktiver gemacht werden.

Finanzrahmen: 46 Milliarden

Was den eigenen Haushalt betrifft, so war klar, dass man ohne neue Schulden auskommen will und dass der Finanzrahmen bis 2021 bei 46 Milliarden Euro an zusätzlich verfügbaren Mitteln liegen soll. Allerdings war noch zu besprechen, was finanziert werden könnte, wenn die Steuereinnahmen höher liegen, wovon Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ausgeht. Im Auge hatte man die Bereiche Digitalisierung, Entwicklungspolitik und Bundeswehr.

Diese Themen waren es, die die eigentlich angepeilte Einigung am Sonntag verhinderten. Nachdem die Verhandler von Union und SPD ein Wohn- und Mietpaket auf den Tisch gelegt hatten, spießte es sich bei anderen Themen noch. Schließlich verkündete SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, man müsse doch noch mal am Montag ran und einiges klären.

Nicht zu leicht machen

In der SPD sah man das auch gar nicht als so tragisch an. Schließlich hatte Fraktionschefin Andrea Nahles am Parteitag vor Aufnahme der Koalitionsgespräche erklärt: "Wir werden verhandeln, bis es quietscht auf der anderen Seite." In der Union hatte man zwar Verständnis für die Verlängerung, man weiß auch um die Dramaturgie. Ein Ergebnis, das offenbar allzu leicht erzielt wurde, könnte bei der SPD-Basis den Eindruck erwecken, man habe sich über den Tisch ziehen lassen.

Doch am Montag waren es einige Unionsverhandler, die Tempo machten. "Mein Eindruck ist, dass das Klima so war, dass alle wussten, wir müssen jetzt zu einem Ergebnis kommen", sagte CDU-Vizechef Armin Laschet. Viele in der Bevölkerung wollten ja auch, dass "jetzt endlich diese Regierung" gebildet werde.

Paralleles Arbeiten

Tatsächlich wurde dann am Montag zunächst parallel gearbeitet. Während die diversen Runden noch beisammensaßen und verhandelten, wurden schon Pläne für den Dienstag geschmiedet. Um neun Uhr, hieß es, sollten die Vorsitzenden der drei Parteien – Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPD) – den Koalitionsvertrag im Bundestag unterzeichnen.

Danach wurden diverse Informationsveranstaltungen ersonnen: Die Fraktionschefs, so die Planung, sollten ihre Abgeordneten im Bundestag unterrichten, die Parteichefs in einer Pressekonferenz die Öffentlichkeit.

Doch dann, am Abend, zeigte sich: Der Zeitplan ist nicht einzuhalten, man hatte sich verhakt. Am Dienstag wird also ab zehn Uhr weiterverhandelt, diesmal nicht mehr im Willy-Brandt-Haus, sondern in der CDU-Zentrale.

Für lange Gesichter sorgte eine neue Umfrage: Die SPD kommt nicht aus ihrem Tief. Ein für RTL und n-tv erstelltes Trendbarometer von Forsa sieht die SPD bei 18 Prozent. Bei der Wahl am 24. September hatte sie 20,5 Prozent erreicht. Offenbar zieht auch Parteichef Schulz die SPD hinunter. Bei einer Direktwahl würden ihn nur noch 14 Prozent zum Kanzler wählen, vor einem Jahr waren es 37 Prozent der Befragten.

"Ende des Spardiktats"

Schulz selbst war es, der am Montag über eine Einigung im Kapitel Europa informierte. Aus Sicht der SPD seien "mehr Investitionen, ein Investitionshaushalt für die Eurozone und ein Ende des Spardiktats" die Erfolge. Vorgesehen seien auch mehr Mittel im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit und eine "gerechte Besteuerung von Unternehmen, gerade auch der Internetgiganten Google, Apple, Facebook und Amazon".

Apropos Internet: Bis zum Jahr 2025 sollen alle Bürger einen Rechtsanspruch auf einen Breitbandanschluss haben. Hier gibt es auf dem Land noch große Lücken, weil sich der Ausbau für die Anbieter oft nicht lohnt. (Birgit Baumann aus Berlin, red, 5.2.2018)